Gestatten: Hemgesberg. Ich lade Sie hier und heute auf die brandheiß diskutierten Themen der vergangenen Woche ein. Setzen Sie sich, es ist genug geschehen in dieser Welt der Fortschrittsverweigerer und konformistischen JungschriftstellerInnen, damit wir ein wenig plaudern können: Friedrich Forssman findet neben eBooks auch Hipster scheiße und die deutsche Gegenwartsliteratur wird beherrscht von straight-edge-Bürgerkindern.
von NADINE HEMGESBERG
Lassen Sie es mich so sagen, diese Verspätung kommt nicht von ungefähr. Diese Verspätung ist vielmehr dem Ansinnen geschuldet, auch nach einer bukowskiwürdigen Nacht (und in meinem momentanen Verständnis eines Rauschhorizonts heißt das: eine Flasche Weißwein) noch vernünftig in die Tasten hauen zu können. Denn wahres Dichter- und Schreibgenie, so der irrwitzige noch immer präsente Glaube, lassen sich nur entfalten, wenn man stramm ist wie eine Haubitze oder auf irgendeinem, alle physischen Grenzen sprengenden Trip des Pudels Kern entdeckt und darüber zu schreiben weiß (Häufig in diesem Sinne zitierte und leider auch zu oft darauf reduzierte sind z.B. die “Junkie”-Schriftsteller der Beat-Generation oder auch die fröhlichen Opiumkonsumenten Oscar Wilde und Thomas De Quincey, Letzterer sehr prägnant mit seinen Bekenntnissen eines Opiumessers von 1822.). So schrieb Florian Kessler in einem Kommentar in der ZEIT zum Stand der deutschen Gegenwartsliteratur: „Denn nüchterner als etwa auf dem letzten Berliner Open Mike im November nippte noch keine Autorengeneration an ihrem Bier.“ Natürlich sei das nur ein Symptom der nicht entfesselten, kühl kalkulierenden und konformistischen Jungautorenschaft, die zuhauf aus den Literaturinstituten ausgespuckt werde. En gros handele es sich hierbei schließlich nur um Professorentöchter, Ärztesöhne etc., aber es gäbe schließlich auch noch „einige Olga Grjasnowas, Saša Stanišićs und Clemens Meyers da draußen, wobei übrigens auch jemand mit Häkchen über dem Nachnamen humanistische Bildung genossen haben kann, und [ihm, Kessler] persönlich überhaupt alle drei Autoren unangenehm häufig auf ihre angeblich artfremden Hintergründe hin exotisiert werden.“ Die Erwiderung eben jener hier von Kessler erwähnten Autorin Olga Grjasnowa ist in der WELT zu lesen: „Es geht noch immer um Herkunft, aber auch um politische Teilhabe und kulturelle Hegemonie. Doch Kessler verwechselt eine politische mit einer literarischen Diskussion. Problematisch ist nicht die bildungsbürgerliche Herkunft der Autoren, problematisch ist, dass in unserer Gesellschaft nur bestimmte Personen Zugang zur Bildung und zum symbolischen Kapital bekommen.“
Fortschrittsverweigerer und eBook-Gralshüter
Eine äußerst emotional geführte Debatte entbrannte nach Friedrich Forssmans Artikel auf dem Suhrkamp-Blog Logbuch. Forssman eröffnete seine Polemik gegen eBooks und Hipster mit folgenden Worten: „Muß man eigentlich noch etwas gegen E-Books sagen? Müssen sie einem nicht womöglich leid tun, die albernen Dateien, die gern Bücher wären, es aber niemals sein dürfen? Ja, das muß man, und nein, das müssen sie nicht, sie sind ein Unfug, ein Beschiß und ein Niedergang.“ Um einen Rundumschlag gegen das eBook und „analphabetische Digitalhipster mit ADHS“ anzusetzen. Das Pamphlet mit all seinen Verunglimpfungen hat hohe Wellen im Netz geschlagen, so konterte Zoë Beck, Schriftstellerin und Verlegerin bei CulturBooks, bei CULTurMAG: „Und der Vorteil von Medien, die wenig Startkapital, wenig Investment fordern, ist, dass sie sich schwerer monopolisieren, kartellisieren, vermainstreamen, vereinnahmen lassen. Ja, da darf jeder. Auch die Bösen und Schlechten, die Mittelmäßigen und Nichtssagenden. Aber eben auch die Guten.“ Volker Oppmann nimmt den etwas zu kurz gekommenen Gedanken Forssmans, Arno Schmidts Texte könne es gar nicht als eBook geben, erneut in einem Beitrag auf Suhrkamps Logbuch auf und führt diesen Gedanken in diametraler Ausrichtung aus: Sehr wohl wäre das eBook ein technischer Ausprobierort Schmidts gewesen, der seine wahre Freude an der Sprengung der technischen Möglichkeiten gehabt hätte. Und schließlich müsse man sich über die Ausrichtung der Branche als Ganzes Gedanken machen: „Unsere Aufgabe als Branche ist es nicht (mehr), einzelne Bücher oder gerne auch Reihen zu gestalten – wir müssen den Buchmarkt als solchen gestalten und die Balance zwischen dem Buch als Wirtschaftsgut und dem Buch als Kulturgut wieder herstellen.“
Mit Blick auf den Beitrag von Forssman fasst Carta zusammen: „Das Perfide am Text ist, dass durchaus berechtige Kritikpunkte an heutigen eBooks mit haltlosen Unterstellungen, wüsten Beschimpfungen und der Aufzeigung höchst zweifelhafter Zukunftsszenarien vermischt werden.“
Also, weniger Emotionen könnten hier vielleicht eine äußerst gewinnbringende Debatte in Gang setzen, die freilich schon eine ganze Weile in Gang ist.
Und ab der nächsten Woche? Übernimmt hier Kai Fischer den Samstag und setzt sich fünf Wochen lang mit der Tradition des Essays auseinander. Und dieses Mal keine Häppchen, nur ein nicht annähernd inspirierender Kater. Und trotzdem: auf Wiederlesen!