Welcome aboard flight 22162! This is your captain speaking. Schön, dass Sie sich die Zeit nehmen, unsere gemeinsame Reise durch die Gefilde der neueren amerikanischen Essayistik fortzusetzen. Nachdem ich Ihnen letzte Woche einen Überblick über die Tradition des Essays gegeben habe, werden wir heute gemeinsam bei einem der bekanntesten Schriftsteller Nordamerikas landen: David Foster Wallace (im Folgenden und ganz in seinem Sinne als Akronym: DFW). Wenn Sie so freundlich wären, das Anschnallzeichen zu beachten, wir setzen dann zum Sinkflug an.
von KAI FISCHER
Den Leserinnen und Lesern dieses Blogs DFW vorzustellen, ist nicht nötig, als Verfasser dicker Romane und anspruchsvoller Erzählungen dürfte er hinreichend bekannt sein. Bei dem Essayisten DFW bin ich mir da jedoch nicht so sicher. Seine Kreuzfahrtreportage Schrecklich amüsant – aber in Zukunft ohne mich (A supposedly fun thing I’ll never do again) gehört zwar zu den meistverkauften und sicherlich auch zu den am häufigsten gelesenen Texten von DFW. Allerdings vermittelt die Übersetzung einen, nun ja, nicht falschen, aber doch irgendwie anderen Eindruck als das Original. Sie möchten ein Beispiel für diese Behauptung? Bitteschön, willkürlich ausgewählt, die Fußnote 41, die im Original lautet „Which by the way trust me, I used to life-guard part-time, and fuck this SPF hooha: good old ZnO will keep your nose looking like a newborn’s.”. Hier nun die Übersetzung: „Zinkoxydsalbe, die nehme ich immer – in bademeisterlicher Dosierung. Ist allemal besser als das ganze Schutzfaktor-Zeug und pflegt selbst journalistische Schnüffelnasen babyzart.“. Man muss kein professioneller Übersetzer sein, um zu erkennen, dass das Original in verschiedener Hinsicht verfehlt wurde. Woher kommen in der Übersetzung die „journalistischen Schnüffelnasen“? Naja, vielleicht muss man auch kein professioneller Übersetzer sein, um eine Übersetzung anzufertigen.
Schlechte Verlagsarbeit
Diese verlegerische Nachlässigkeit konnte man bereits bei der Veröffentlichung der Erzählungen DFWs beobachten. Zwar wurde mittlerweile sämtliche Kurzprosa in Übersetzung publiziert, allerdings ohne Rücksicht auf die inneren Zusammenhänge des jeweiligen Erzählbandes. So wurde etwa Girl with curious hair aus dem Jahr 1989 in Deutschland in zwei Bänden veröffentlicht: Kleines Mädchen mit komischen Haaren (Woher kommt das „klein“?) erschien 2001 und enthielt fünf Erzählungen. 2011 folgten dann die restlichen fünf in dem Band Alles ist grün. Dieselbe merkwürdige Publikationspraxis erfuhr auch das letzte Werk Oblivion, das auf die beiden Bücher In alter Vertrautheit und Vergessenheit aufgeteilt wurde. Zwar weisen die Impressumsangaben darauf hin, dass es sich bei diesen Ausgaben um eine vom Autor genehmigte Auswahl handele, doch wird man die berechtigte Frage stellen dürfen, welchen Grund, außer ökonomischem Kalkül, dieses Vorgehen haben könnte. Respekt vor dem literarischen Werk wird es nicht sein.
Entschuldigen Sie bitte, Captain Fischer, ich dachte, es soll hier um die Essays von DFW gehen? Oh ja, natürlich, verzeihen Sie, aber immer wenn ich darüber nachdenke, beginnt mein Blut zu kochen und ich stehe kurz vor einem Schlaganfall. Also gut, Essays, DFW, genau …
Doch auch die zweite, medienwirksame Veröffentlichung eines Essays von DFW in Deutschland, Am Beispiel des Hummers (Consider the Lobster), verursacht bei mir Bluthochdruck. Kann man die Einzelveröffentlichung des Kreuzfahrtessays als Buch aufgrund seiner Originallänge von 100 Seiten noch irgendwie sinnvoll oder wenigstens gerechtfertigt nennen, müffelt Am Beispiel des Hummers, im Original gerade mal 29 Seiten lang, nach fauliger Geldmacherei. Es scheint so, als habe Kiepenheuer & Witsch mit der Publikation lediglich versucht, im Verlagsrennen um den ersten Text, der tierethische mit konsumkritischen Aspekten kombiniert, die Nase vorn zu haben. Platz zwei und drei gingen übrigens an Jonathan Safran Foers Tiere essen und den Fischer-Verlag sowie Karen Duves Anständig essenerschienen im Goldmann-Verlag.
Eine Kreuzfahrt, ein Wahlkampf und Tennis
Natürlich sind weitere Essays von DFW auf Deutsch publiziert worden, allerdings in Zeitschriften, die sich eher an ein Nischenpublikum wenden, wie etwa die Veröffentlichung des Essays zu David Marksons Roman Wittgenstein’s Mistress im Schreibheft (2003). Das ist schade, denn der Essayist DFW schreibt für ein großes Publikum. Er schafft es, seine Themen nicht bloß unterhaltsam darzustellen, sondern in der Darstellung einen Grad von Komplexität zu erreichen, der der Leserin/dem Leser das Gefühl vermittelt, den entsprechenden Gegenstand zum ersten Mal wirklich wahrzunehmen. Dass ihm das gelingt, liegt nicht zuletzt an dem, je nach Sichtweise, berühmten oder berüchtigten Einsatz von Fußnoten, die den Text dynamisieren und in gewisser Weise der zur Abschweifung neigenden Bewegung von Gedanken, Eindrücken und Einfällen des Text-Ichs DFW entsprechen. Das ist es, was die einzelnen Texte über die Gattungsgrenzen etwa des Reiseberichts, der Buchrezension, der politischen Reportage hinaustreibt und sie zu Essays macht.
Im Fall von A supposedly fun thing I’ll never do again geht es natürlich auch um die Darstellung der Kreuzfahrt. Dahinter allerdings steht die interessantere Beobachtung, dass das Versprechen, umfassend verwöhnt zu werden und sich auf der Reise um nichts kümmern zu müssen, bedeuten kann, dass man sich nur einer anderen Form von Stress ausgesetzt sieht. Sein Essay Up, Simba über den Wahlkampf John McCains im Jahr 1999 steht nicht nur in der Tradition der Wahlkampfberichterstattung wie sie etwa Hunter S. Thompson vorgelegt hat, sondern fragt unter anderem auch danach, was passiert, wenn politische Sprache zu Werbeslogans verkommt, wenn man nicht mehr unterscheiden kann, ob die Ernsthaftigkeit eines politischen Anliegens authentisch ist, ob der Eindruck der Authentizität Teil der Werbung um Wählerstimmen ist und ob damit das politische Anliegen selbst immer schon kontaminiert ist. Und das, obwohl genau dieses Anliegen wirklich Aufmerksamkeit verdient. Dass sich über Sport in der gleichen komplexen Weise schreiben lässt beweisen seine Essays über Tennis – Derivative Sport in Tornado Alley; Tennis Player Michael Joyce’s Professional Artistry as a Paradigm of Certain Stuff about Choice, Freedom, Discipline, Joy, Grotesquerie, and Human Completeness; How Tracy Austin Broke My Heart; Federer Both Flesh and Not. In ihnen erfährt der Leser nicht nur, was für ein Tennisspieler der junge DFW gewesen ist, man bekommt auch Einsichten in die Komplexität des Spiels, in die Vermarktung des Sports, und zwar sowohl in Bezug auf Turniere als auch auf das Genre der in Amerika äußerst beliebten Sportlerbiographien, sowie in die Gemeinsamkeiten, die zwischen der Hingabe besteht, die jemand Literatur oder eben Tennis widmen muss, um erfolgreich zu sein.
Wenn Sie jetzt Lust bekommen haben, den Essayisten DFW (neu) kennenzulernen, greifen Sie zu den Originalausgaben A supposedly fun thing I’ll never do again, Consider the Lobster and other essays und der postum zusammengestellten Sammlung Both Flesh and Not, die alle kostengünstig zu haben sind. Sollte ein deutscher Verlag noch einmal auf die Idee kommen, Essays von DFW zu veröffentlichen, hier ein Vorschlag: Geben Sie Ulrich Blumenbach genügend Geld in die Hand und publizieren Sie die kompletten Bände. Alles andere wäre ein Betrug am Leser. Kiepenheuer & Witsch hat übrigens angekündigt, DFWs und Mark Costellos Buch über Rap, Signifying Rappers, auf Deutsch herauszubringen. Hoffentlich machen sie gute Arbeit …
Nächste Woche besuchen wir dann Jonathan Franzen, einen guten Freund von DFW, und Jonathan Lethem, DFWs Lehrstuhl-Nachfolger am Pomona College. Der amerikanische Literaturbetrieb ist, wie Sie sehen, auch nur ein Dorf.
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