Damit ein Comic in Deutschland die Aufmerksamkeit von Buchhandel und Feuilleton auf sich ziehen kann, muss er sich an wenige, aber entscheidende Grundregeln halten: Der Comic sollte sich Graphic Novel nennen und entweder eine Literaturadaption, die Aufbereitung eines historischen Stoffes oder autobiographisch sein. Jan Bauer entschied sich mit Der salzige Fluss für Letzteres und verarbeitet hier zeitnah eine Episode seiner eigenen jüngsten Vergangenheit, womit er sich jedoch nicht unbedingt einen Gefallen getan hat.
von LARS BANHOLD
Im Sommer 2012 war der Illustrator aufgrund zweier persönlicher Schicksalsschläge nach Australien gereist, um bei einer Wanderung durch die Wildnis wieder zu sich selbst zu finden. Im Comic klingt das so: „Ich suche die Einsamkeit … um in mich hineinzuhorchen. Um in mich zu gehen. Mich frei zu machen. Stark zu sein. Mich meinen Gefühlen zu stellen. Meine Grenzen kennenzulernen. Und meinen Horizont zu erweitern“. Das klingt nach Esoterik-Workshop oder Werbeanzeige für Outdoor-Erlebnisreisen, ist aber völlig ernst gemeint und es wäre zynisch, das abzuwerten. Denn zweifellos war die Reise durchs Outback für Jan Bauer eine bemerkenswerte Erfahrung, um die man ihn nur beneiden kann. Bestimmt waren die Jahre zuvor durch das Ende einer langen Beziehung, sowie Krankheit und Tod der Mutter für den Autoren tragisch und er verdient jedes Mitgefühl. Und auch die Liebesbeziehung, die sich unverhofft auf der Wanderung entwickelte, muss in ihm viel bewegt haben. All das steht außer Frage und soll in keiner Weise kritisiert werden. Leider transportiert Der salzige Fluss nicht viel davon, sondern trivialisiert es mit Plattitüden, die zudem durchweg den Habitus bedeutungsschwangerer Kunst tragen.
„Hättest Du geschwiegen, wärst Du Philosoph geblieben“
Dabei ist der Comic graphisch ein echtes Kleinod. Auf der Bildebene erschafft Bauer wunderbare Stimmungen, erzählt völlig unangestrengt und macht, abgesehen von wenigen missglückten Metaphern, zeitweise selbst verbal nicht-artikulierbare Erfahrungen eindrücklich sichtbar. Auch die Aufgabe, das Atemberaubende der Landschaft in schematischem Schwarz-Weiß anzudeuten, gelingt ihm. Als graphischer Erzähler ist Jan Bauer definitiv ein Talent, von dem man mehr sehen möchte. Doch leider kommen das geschriebene Wort und die Handlung in diesem Fall nicht mit.
Die Dialoge sind unbeholfen und gezwungen, was teilweise gewollt sein mag, um die Unsicherheit der Figuren zu verdeutlichen. Es macht sie allerdings vor allem hölzern, unzugänglich und lässt die Szenen gekünstelt erscheinen. Ebenso verhält es sich mit der missglückt lyrischen Kommentierung, die Bauers Abbild als Ich-Erzähler in den Captions gibt. Formulierungen wie „In der Ferne ein einsamer Dingo. Sein Heulen ist schön wie die Nacht“ oder „Manche Geschichten sind ausgedacht. Das heißt, ein Mensch hat sie erfunden. Andere Geschichten sind wahr. Das heißt, das Leben hat sie erfunden“ wirken auf den wunderschönen Panels, die für sich eine viel größere Kraft hätten, deplaziert und fast einfältig.
„My thoughts went into my inner-self and all I got was this lousy T-Shirt“
Ähnliches gilt für die Figuren. Egal wie ergriffen der reale Bauer von der Erfahrung Australiens war, sein Comic-Abbild läuft durch das Outback als wäre es der Eifelsteig oder ein beliebiger Pauschalurlaub. Er macht Yoga, nicht weil es etwas bewirkt, sondern weil er es kann und es gut aussieht. Sogar seine Trauer scheint lediglich Entschuldigung für diesen ausgedehnten Urlaub zu sein. Hier liegt eine Tücke der Cartoonisierung von Figuren: Zwar erleichtert sie dem Leser die Identifikation, kann im Zweifelsfall aber Charakter und emotionale Ambivalenz reduzieren. Auch zu sehen an Comic-Bauers Urlaubsliebe, dem verhaltensunauffälligen Manic-Pixie-Dream-Girl Morgane, und ihrer simplen Charakterisierung: Sie ist weiblich, in der selben nicht-alltäglichen Situation, leidlich attraktiv und körperlicher Nähe gegenüber nicht abgeneigt. Das mag für einen Kurschatten reichen, nicht aber für die plötzliche tiefe Liebe, die Comic-Jan aus heiterem Himmel zu empfinden vorgibt. Im Gegenteil, die fehlende Grundlage im Zusammenspiel mit den missglückten Dialogen und Erzählerkommentaren machen viele Szenen eher unfreiwillig komisch, im schlimmsten Fall sogar lächerlich. Das hat der Comic, vor allem aber haben es die realen Menschen, deren Leben hier benutzt wird, nicht verdient, inklusive Jan Bauer selbst.
Dabei sein ist alles
Vielleicht hätte es dem Comic gut getan, wenn Bauer sich einige Jahre Zeit genommen hätte, diese Reise auf sich wirken zu lassen, um sie dann mit größerer zeitlicher und emotionaler Distanz zu erzählen. Als Zeichner hätte er, mit mehr Vertrauen in seine Panels und weniger Text, definitiv Potential für viel mehr.
So kann man am Ende über Der salzige Fluss nur dasselbe sagen, wie über unzählige andere Urlaubserzählungen: Man hätte wohl dabei gewesen sein müssen.