Yasmina Rezas Erzählung zeigt die Momentaufnahme eines Mikrokosmos der Besserverdiener, Sorglosen und Wohlstandgeschädigten. Hinter gut situierten Fassaden verbergen sich Einsamkeit, Bindungslosigkeit und Langeweile – wie Glücklich die Glücklichen tatsächlich sind, ist äußerst relativ.
von KARIN BÜRGENER
Ein Paar beim Einkauf im Supermarkt. Die Wahl des falschen Käses führt zu Wortgefechten und anschließenden Handgreiflichkeiten in der Schlange, bis Robert seine Frau Odile am Handgelenk ins Auto zerrt. Was er nicht weiß: dass sie längst einen Liebhaber hat, der wiederum sein Herz an eine unerreichbare Frau verloren hat. Wie Odile und Robert ihre Freunde, die Hutners beneiden, deren Miteinander so harmonisch aussieht. Was beide nicht wissen: Deren Sohn arbeitet nicht etwa im Ausland, wie im Freundeskreis erzählt wird, sondern steckt in einer Irrenanstalt, weil er sich für die Sängerin Céline Dion hält. Dieser Junge scheint als einziger sein Glück gefunden zu haben, da er sich seine eigene Welt erschaffen hat und nicht erahnt, dass seine Umwelt ihn für verrückt hält. Er glaubt sich in einem Hotel, spricht weiterhin im Quebecer Akzent und verteilt in der Psychiatrie Autogramme.
Das Verborgene, Abseitige hinter den scheinbar intakten Fassaden schwant nur dem Leser, der nacheinander 18 mehr oder weniger miteinander bekannte Figuren kennenlernt. Jedes Kapitel wird aus der Sicht eines anderen Protagonisten erzählt – erst ganz zum Schluss akkumuliert sich der verwirrende Reigen und die Figuren treffen aufeinander.
Dramatische Verzierung
Die tragisch-komischen Situationen treibt die Theaterautorin Reza auf die Spitze. Die Verfasserin von Stücken wie Kunst, in dem sich drei Freunde über ein weißes Bild mit weißen Streifen streiten, oder Der Gott des Gemetzels, in dem zwei gutbürgerliche, zivilisierte Ehepaare zähnefletschend aufeinander losgehen, lässt dramatische Elemente in die Erzählung einfließen – peitschende Dialoge und dominante Charaktere beherrschen die 21 Kapitel. Betrug, verschmähte Liebe und verpasste Chancen sind die Hauptmotive, die sich durch sämtliche Texte ziehen. Kein Wunder, dass dieses Stück Prosa bisweilen so slapstickhaft wirkt wie ein Woody-Allen-Film.
Die Eigenwilligkeit des Glücks
Der Titel Glücklich die Glücklichen – ein Zitat des Schriftstellers Jorge Luis Borges – wirft ein ironisch verkehrtes Licht auf das Geschehen. „Langeweile ist das Unglück der Glücklichen“, wiederum ein Zitat, diesmal von Horace Walpole, trifft dann wohl den Kern der Erzählung, auch wenn es nicht in Rezas Text vorkommt: Die Protagonisten, vor allem Anwälte, Ärzte, Journalisten, Schauspieler oder nicht genauer klassifizierte Besserverdiener, haben theoretisch alle Ressourcen, um ein sorgenfreies, glückliches Leben mit ihren Angetrauten zu führen. Stattdessen gibt es keinen, der nicht fremdgeht, der Vergangenheit hinterhertrauert, seine Mitmenschen beneidet oder ernsthafte psychische Probleme hat. Die erfolgsverwöhnte Schauspielerin hat ihr Herz an einen Hallodri verloren, der Aufnahmeleiter würde viel lieber Regie führen. Und wenn man sein Unglück den besten Freunden anvertraut, wird schallend gelacht. Dass Glück keine Frage des Geldes ist, sei damit wieder einmal bewiesen. Aber steckt hinter dem Text noch mehr als diese oberflächliche Erkenntnis?
Das Komische im Tragischen
Wie bei den Vorgängertexten Rezas legt Glücklich die Glücklichen den Finger in diverse Wunden der Wohlstandsgesellschaft. Stück für Stück wird die archaische Primitivität freigelegt, die unter einer hauchdünnen zivilisatorischen Schicht verborgen ist. Wenn alle Masken fallen, bleibt schließlich nur noch etwas Befremdliches, Unverständliches und Skurriles, das sich nicht vollständig begreifen lässt – man kann über dieses allzumenschliche Straucheln und Stolpern aber wenigstens noch herzlich lachen. Passenderweise handeln die letzten Szenen von der Beerdigung von Odines Vater, bei der alle Protagonisten zusammenkommen. Die Überführung der Urne vollzieht sich in einer schäbigen Tasche und die Ausstreuung der Asche findet zur Hauptverkehrszeit auf einer stark befahrenen Brücke statt. Diese groteske Situation verleiht selbst dem Unerhörten des Sterbens eine Banalität, die dem Tod für eine kurze Zeit seinen Schrecken nimmt. Damit erscheint Glücklich die Glücklichen als typischer Reza-Text: Leben und Tod, Belanglosigkeiten und Wichtiges, Lachen und Trauer liegen selten so dicht beieinander wie in ihren Erzählungen.
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