2013 war das Jahr der Todestage und ihrer Jubiläen, unter anderem auch der 50. Todestag von Sylvia Plath, die sich am 11.02.1963 das Leben nahm. Es ist also längst Zeit, der amerikanischen Dichterin auch auf literaturundfeuilleton zu huldigen. Das von ihr hinterlassene lyrische Werk zeugt von ihren Ängsten und Wahnvorstellungen, ist düster und augenzwinkernd zugleich. Über 40 Jahre nach der englischen Erstveröffentlichung bringt der Luxbooks Verlag den Lyrikband Crossing the Water / Übers Wasser zum ersten Mal in deutscher Übersetzung heraus.
von ESRA CANPALAT
Erst nach dem Tod Plaths prägte M.L. Rosenthal 1967 den Begriff der confessional poetry, einer Dichtung, die dem bisherigen Konzept des Dichters und Denkers als Moralist und Gewissen der Nation widersprach. Gemeint sind damit Lyriker des 20. Jahrhunderts, wie Hart Crane, John Berryman und Anne Sexton (alle wohlgemerkt auch Dichter, die Selbstmord begingen), die in ihren Dichtungen in der Form der Beichte ihr Seelenleben enthüllten. Themen wie Klinikaufenthalte, psychisch bedingte Wahnvorstellungen und Paranoia wurden darin und vor allem auch in der Folge von Robert Lowells Life Studies (1959) literaturfähig. Liest man das lyrische Werk Plaths im Hinblick auf die Form als autobiographisches Bekenntnis, wirkt ihr Freitod, nach Ansicht von Ingrid Kerkhoff, postum umso aufrichtiger und seriöser. Ein makaberer Gedanke, der aber in der Veröffentlichung von Plaths einzigem Roman Die Glasglocke (1963) einen Monat vor ihrem Tod seine Bestätigung findet: Esther Greenwood, die Protagonistin des Romans, verkriecht sich unter das elterliche Haus und begeht einen Selbstmordversuch. Auch in dem wenige Tage vor Plaths Tod verfassten Gedicht Edge spiegelt sich die schlussendlich zum Freitod führende Verzweiflung wider: „The woman is perfected./ Her dead/ Body wears the smile of accomplishment […]/ Her bare/ Feet seem to be saying:/ We have come so far, it is over.“
Die Glasglocke namens Natur
Die in Übers Wasser zusammengefassten Gedichte entstanden in der Zeit von 1961 bis 1962. Bereits 1960 konnte Plath mit Der Koloss ihre erste Veröffentlichung vorweisen. Wie in dieser Publikation auch handeln die Gedichte in Übers Wasser vom Todeswunsch, aber auch von der Angst vor einem bürgerlichen Dasein als Hausfrau, einer Lebenssituation, in der die meisten Frauen der 1950er Jahre gefangen waren. Plath beherrschte es schon sehr früh in ihren Texten triviale Themen mit einer rhetorischen Finesse und einem Stückchen Ironie zu fassen, wofür sie mehrfach Stipendien für das renommierte Smith College und letztendlich ein Volontariat bei der Modezeitschrift Mademoiselle erhielt.
Das Gefühl der emotionalen und sozialen Enge, in ihrem einzigen Roman als Glasglocke metaphorisiert, findet sich in Übers Wasser vor allem in einer Fülle von Naturgedichten. Die Natur ist hier keineswegs ein Raum der Freiheit, sondern Ausdruck der bürgerlichen Hölle einer emotional zutiefst verstörten Frau: „Die Horizonte umringen mich wie Bündel aus Reisig/ Geneigt und ungleich und stets instabil.“ Sie ist bedrängend, verstörend oder gar abartig: „Brombeeren/ Groß wie mein Daumenballen, stumm wie Augen,/ Ebenhölzern in den Hecken, fett/ Von blau-roten Säften.“ Pflanzen und Tiere verstärken diesen finsteren Eindruck des Naturerlebnisses, stellen sogar eine Bedrohung dar: „Die Schafe wissen, wo sie sind,/ […] Die schwarzen Pupillen nehmen mich auf./ Es ist wie versandt zu werden ins All,/ Eine dünne, dumme Nachricht./ Sie stehen herum in großmütterlichem Kostüm,/ Ganz Perückenlocken und gelbe Zähne/ Und harte, achtlose Bäähs“. Sich mit der kraftvollen Vertikalen von Bäumen vergleichend, konstatiert Plath voller Todessehnsucht: „Ich bin vertikal/ Aber ich wäre lieber horizontal./ […] Und wenn ich mich endgültig hinlege, werde ich nützlich […]“. Der Gedanke, erst durch den Tod nützlich für die Natur zu sein ist ebenso makaber, wie die Auffassung, Plaths Gedichte wirkten erst authentisch durch ihren Selbstmord. Zeitlebens stand Plath im Schatten ihres Ehemannes, des Schriftstellers Ted Hughes. Und erst nach ihrem Suizid wurde die Öffentlichkeit aufmerksam auf sie.
Klinische Lyrik
Zu dieser schauerlichen Naturlyrik gesellen sich schockierende Gedichte, die thematisch am klinisch-medizinischen Diskurs angelehnt sind: Gedichte über Klinikaufenthalte wie in Facelifting, über einen in seinen Patienten herumwühlenden Arzt wie in Der Chirurg um 2 Uhr nachts. In Totgeboren vergleicht Plath selbstkritisch ihre Gedichte mit einer in einer Flüssigkeit schwimmenden Totgeburt in einem Glas: „Sie sitzen so nett in der salzigen Flüssigkeit!/ Sie lächeln mir zu./ Und doch füllen die Lungen sich nicht und das Herz bleibt stumm.“ Und selbstredend ist auch von psychischen Krankheiten und Wahnvorstellungen die Rede: Das schizophrene lyrische Ich im Gedicht In Gips versteht den Gips als eine Art zweites Ich, das zusehends Macht über es gewinnt: „Und heimlich begann sie zu hoffen, ich würde sterben./ Dann könnte sie meinen Mund, meine Augen, mich vollständig bedecken/ Und mein gemaltes Gesicht tragen in der Art wie ein Sarkophag/ Das Gesicht eines Pharaos trägt […].“
Wichtig und gelungen
Übers Wasser bietet eine Reihe von bisher unbekannten Gedichten, die zum einen der Bekenntnislyrik entsprechend das Innenleben der Dichterin aufzeigen, zum anderen aber auch auf die gesellschaftlich schwierige Lage vieler Frauen der 1950er/1960er Jahre verweisen. Die Veröffentlichung dieses Lyrikbands ist nicht nur deshalb wichtig, weil er erstmals in deutscher Übersetzung vorliegt, sondern weil er auch eine große Lücke füllt, die bisher für den deutschsprachigen Raum im Werk Sylvia Plaths klaffte. Allen voran ist es die Arbeit der mehrfach ausgezeichneten Übersetzerin Judith Zander, die den Band lesenswert macht. Zander arbeitet nah am amerikanischen Original, doch ihre Übertragungen ins Deutsche klingen keineswegs holprig, sondern halten den Stil der Gedichte aufrecht. Und auch optisch ist Übers Wasser (Broschur in handlichem Format) eine äußerst beachtliche und gelungene Veröffentlichung!
Danke, ich hab mich sehr über diese Besprechung gefreut, die wirklich gute Anhaltspunkte gibt zu diesem wichtigen Band. Übrigens: Am 21. März ist World Poetry Day!
Ach ja, und in den bibliografischen Angaben hat sich ein Fehler im Namen der Autorin eingeschlichen 🙂