Zum 60. Geburtstag von Christoph Ransmayr bringt der Fischer-Verlag einen reich ausgestatteten Materialienband zum Werk des Autors heraus, dessen Titel bereits die Spuren des Archaischen im Modernen spürbar macht, für die Ransmayrs Romane den Leser auf vielfältige Weisen sensibilisieren: Bericht am Feuer. Gespräche, E-Mails und Telefonate zum Werk von Christoph Ransmayr heißt das gerade erschienene Buch.
von BERNHARD STRICKER
Dass und wie sich unterschiedliche Formen und Medien der Kommunikation als Versuche des Menschen begreifen lassen, ein Gleichgewicht von Dauerhaftigkeit und Wandel zu schaffen, in dem sich leben lässt, ist ein wiederkehrendes Motiv der Erzählungen Christoph Ransmayrs, die auf diese Weise stets auch ihren eigenen erzählerischen Anspruch reflektieren. Für den Materialienband zum Œuvre des österreichischen und kosmopolitischen Romanciers hat die Herausgeberin Insa Wilke eine Form gewählt, deren Ursprung ins Unvordenkliche zurückreicht und die noch modernste Werkzeuge der Kommunikation bestimmt: das Gespräch. Das Gespräch ist der rote Faden, anhand dessen Ransmayrs Werk aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet wird, und der Leitfaden, der auf den Wegen der Telekommunikation den Globus umspannt: in Unterhaltungen mit den Übersetzern von Ransmayrs Werk ebenso wie in Interviews mit Literaturwissenschaftlern, die sich mit Ransmayrs Texten auseinandersetzen. Den Auftakt aber bildet ein langes Gespräch mit dem Autor selbst.
Die Langeweile des Erzählens von sich selbst
Mitten in der Unterhaltung mit Insa Wilke in seiner Wohnung hoch oben in einem Wiener Altbau sieht Christoph Ransmayr plötzlich unzufrieden aus. Was ist los? „Ich langweile mich“, sagt er. „Im Reden über sich und über die eigene Arbeit beginnt man sehr schnell zu rotieren. Die Anzahl der Spuren, denen man folgen kann, ist eben begrenzt, und damit sind es auch die Möglichkeiten, auf Fragen […] zu antworten. Wahrhaftes Erzählen führt dagegen immer in unbekannte Gebiete.“ Nur selten streift das Gespräch darum das Anekdotisch-Biographische, Ransmayrs Studienzeit etwa. Viel öfter geht es dagegen um das Reisen, im buchstäblichen wie im übertragenen Sinne: um Ransmayrs Entdeckerfahrten rund um den Globus und um seine literarischen Expeditionen. Dass das Schreiben eine Fahrt ins Unbekannte, eine Spurensuche, einen Weg mit unbestimmtem Ziel darstellt, darum kreisen die Fragen und Antworten in diesem Autorengespräch bei dem Versuch einer Bestimmung des Verhältnisses von Erzählung und Wirklichkeit. Um das „Material“ des Schriftstellers im wörtlichen Sinne geht es diesem Materialienband. Und als solches ergibt sich in der Unterhaltung immer wieder das „Drama der Materie“, die großen kosmischen und naturgeschichtlichen Prozesse also, am Maßstab derer gemessen sich das menschliche Leben verschwindend klein, aber darum doch nicht zwangsläufig unbedeutend ausnimmt. Als Konfrontation auch mit dem Ungeheuerlichen und Erschreckenden, das etwa in der Vorstellung des endgültigen Verschwindens stecken mag, als ein Zur-Sprache-Bringen des Menschenmöglichen also, bestimmt Ransmayr bündig die Aufgabe der Literatur.
„Aliens“
Das Interview wird begleitet nicht nur von Zitaten aus dem Œuvre Ransmayrs, die am Seitenrand stehen und in vielfältige Beziehungen zum Gesprächstext treten, sondern auch von zahlreichen Schwarzweißphotographien, die Ransmayr von seinen Reisen mitgebracht hat. Eine dieser „Fotonotizen“ zeigt einen Pinguin mit ausgebreiteten Flügeln auf einer grenzenlos scheinenden Eisfläche, die an eine Mondlandschaft erinnert. Passend dazu ist das Bild mit „Aliens“ untertitelt. Doch wer ist hier ein „Alien“? Der Pinguin, dessen etwas verloren wirkende Gestalt auch nach seiner Domestizierung in europäischen Zoos nicht gänzlich den Charakter des Exotischen verloren hat? Oder sind es nicht eher seine Betrachter, deren zwei Schatten in das Bild hinein- und den Pinguin überragen, Eindringlinge vermutlich in seine natürliche Umgebung? Solche Begegnungen mit dem Fremden sind dem Ransmayr-Leser bestens vertraut: Begegnungen in der Fremde, die stets auch Begegnungen mit dem Fremden, nicht zuletzt im Eigenen und Vertrauten, sein können. John Woods, Ransmayrs Übersetzer ins Amerikanische, bringt es auf den Punkt, wenn er sagt: „Ob es das Schwarze Meer im ersten Jahrhundert ist, die Arktis, eine fiktive Nachkriegsgeschichte oder das Himalaya-Gebirge. Alle Leser haben diese eine Voraussetzung gemeinsam: Da war ich nicht.“
Resonanzräume des Erzählens
Woods gehört mit Jean-Pierre Lefebvre (Französisch) und Claudio Groff (Italienisch) zu den Übersetzern Ransmayrs, die in den Interviews im zweiten Teil des Bandes den Eigenschaften von dessen Texten nachspüren. „Auf die Welt ist kein Verlass“ – so charakterisiert Woods den „Grundton“ von Ransmayrs Texten. „Und gleichzeitig ist die Welt in jeder Einzelheit da.“ In diesem „Widerspruch zwischen der Stimmung und der Genauigkeit der Darstellung“ sieht er den faszinierenden Spielraum der Texte. In der Konfrontation mit dem „Material“, welches der Originaltext für den Übersetzer darstellt, wird eine besondere Dimension der Fremdheit von Texten erfahrbar – ihre Fremdsprachlichkeit –, an welcher die Übersetzergespräche den Leser hier Anteil nehmen lassen. Noch einen anderen Resonanzraum eröffnen schließlich die zwei literaturwissenschaftlichen Essays im dritten Teil des Bandes in ihrer Auseinandersetzung mit Morbus Kitahara (1995), einem zu Unrecht weniger beachteten Roman Ransmayrs. Thomas Wild erschließt in Wortlaut der Erinnerung die zahlreichen intertextuellen Verweise des dystopischen Nachkriegsszenarios – insbesondere auf Jean Amérys KZ-Erinnerungen in Jenseits von Schuld und Sühne – und wirft die Frage auf, ob das Versäumnis der deutschsprachigen Kritik, diese Einflüsse in Morbus Kitahara aufzuspüren, nicht einer der Augenkrankheit des Romantitels möglicherweise verwandten Blindheit geschuldet sei. Leider sind die Assoziationen, die der Roman bei Wild weckt, ziemlich sprunghaft und ausschweifend, nicht weniger als Christine Abbts Ausführungen in ihrem Essay Angstwandeln, in welchem Ransmayr nacheinander mit Jacques Derrida, Marcel Proust, Imre Kertész und Jean-François Lyotard in Verbindung gebracht wird. Auch ihre Reflexionen zur Verwandlung, die ohne Zweifel ein zentrales Thema bei Ransmayr darstellt, scheinen eher von eigenen Forschungsinteressen als von einem genuinen Interesse am Roman Morbus Kitahara geleitet zu sein. Wenn die literaturwissenschaftliche Auseinandersetzung somit enttäuschender Weise den am wenigsten erhellenden Teil des Materialienbandes darstellt, so wird doch jeder Literaturwissenschaftler die ausführliche Bibliographie am Ende des Bandes zu schätzen wissen, die einen Überblick über die umfangreiche Forschung zu den je einzelnen Werken wie zum Gesamtwerk Christoph Ransmayrs verschafft.
Gespräche seien ja das eigentliche Material seiner Arbeit, soll Christoph Ransmayr gesagt haben. Und tatsächlich gelingt es über die Gespräche in diesem Band, einen Einblick zu gewinnen in die schriftstellerische Werkstatt, den status nascendi von Literatur und ihren Fortschreibungen bei Lesern, Kritikern, Übersetzern und Kommentatoren. Vor allem aber ist hier nichts in Stein gemeißelt, sondern alle Aussagen verdanken sich der Dynamik eines Dialogs und erhalten die Begegnung mit Ransmayrs Werk in einer Beweglichkeit, Flüchtigkeit, Vorläufigkeit, die vielleicht am besten der andauernden Reflexion Ransmayrs auf das Verhältnis von Dauer und beständigem Wandel zu entsprechen vermag.
Christoph Ransmayr: Bericht am Feuer
Hrsg. von Insa Wilke
Fischer Verlag, 319 Seiten
Preis: 18,99€
ISBN: 978-3-10-062953-1
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