Das Blutbuchenfest steht am Ende eines langen schweren Lesestoffs, der in der Altherrengemeinde des gesetzten und gesitteten Feuilletons sicher seine feingeistigen, genusssüchtigen Freunde gefunden hätte. Oder nicht? Handy- und Fußball-Anachronismen stehen dem entgegen. Dabei scheint doch die Leseanweisung für diese Stellen mitgeliefert: Denn es ist ein „Wahnsinn, der sich ergibt, wenn man Literatur und Leben verwechselt“. Eine Erkenntnis, die vielen Figuren in diesem Buch abgeht, allen voran dem Ich-Erzähler.
von SYLVIA KOKOT
Dieser, ein spätpromovierter Kunsthistoriker mit Sinnkrise, scheint nur allzu häufig Kunst und Leben zu verwechseln. Und so nimmt er die Geschichte in die Hand und gibt die Ereignisse in einer Retrospektive zum Besten. Er suggeriert Szenarien, die am Ende nicht eintreten, weist an anderer Stelle auf kommende Katastrophen hin, die sich dann auch vollziehen, alles aber eher beiläufig. Sein eigentlicher Standort bleibt unklar. Andere Figuren bekommen eine Er- bzw. Sie-Perspektive aufoktroyiert, aber woher kommt die dann präsentierte vermeintliche Innenschau? Sind es die Gedanken des Ichs, das eben die beschriebenen Regungen in das Gegenüber implantiert? Es wird jedenfalls munter zusammengesetzt, Figuren werden gegeneinander ausgespielt, Ereignisse parallel montiert. Immer wieder greift das Ich ein und der Leser fragt sich bei all der Komposition: Woher kommt dieses Wissen? Und warum? Die eigentümliche Erzählerkonstruktion scheint Ursprung und literarische Rechtfertigung dieses Durcheinanders, dieser Dichtheit, dieses intellektuellen Exzesses und bleibt doch fragwürdig.
Kunst und Krieg
Kunst und Kultur als Mittel gegen Krieg, so verkauft die Figur Wereschnikow sein ehrgeiziges Projekt, einen internationalen Kongress über die Würde des Menschen in den verschiedenen Balkan-Kulturen in Frankfurt abzuhalten. In diesem Licht betrachtet, gewinnt Das Blutbuchenfest – als fiktives Event der Figur Rotzoff innerhalb des Romans, und als literarisches Werk – eine nicht unbedingt positive Facette an Tiefenschärfe dazu: Manche sehen darin ein gekonntes Meisterwerk. Aber lässt sich nicht auch eine ungebührliche Flachheit und Vereinfachung der Dinge erkennen, wenn es Wereschnikow in all seinem Handeln und Streben, ebenso wie Rotzoff nur um die Beschaffung von Geld geht und eben nicht um den drohenden Krieg? Die narrative Dimension des drohenden Bosnienkrieges und seiner hier literarisierten Ausgestaltung und Präfiguration lesen sich unter diesem Gesichtspunkt mehr als ein Kokettieren, denn als eine Auseinandersetzung mit einer wie auch immer gearteten gesellschaftspolitischen Relevanz. Und dies vor allem in Bezug auf die eigens als Erzählanlass nach Frankfurt wie importiert wirkenden Putzfrau Ivana.
Frauen und Kunst
Überhaupt, die Frauen in diesem Roman: Sie sind Spiegelbilder und Projektionsflächen, manchmal auch Beistand für die Männer. Teilweise arm an Kontur und Tiefe gleichen sie lediglich Versatzstücken zur Charakterisierung der bohèmehaften und finanziell gutstehenden Frankfurter Oberschicht. Im Zentrum der Betrachtung durch den Erzähler befinden sich vor allem Ivana und Winnie. Letztere engelsgleich, als oberflächliche kleine Fee, wie ein Irrlicht oder eine Motte, Unverbindlichkeit, Flatterhaftigkeit in Person: So unbedarft, wie sie auftaucht, so verschwindet sie auch wieder aus dem Roman, tragisch aber verkraftbar. Ivana, an mentaler Grobheit in ihrem Gebaren teilweise nicht zu überbieten, urtümlich, pragmatisch, eigen, direkt, mit einem „für sie höchst bezeichnende[n] Dunst“: „kräftig gesund, keineswegs schweißig abgestanden“, und einer ihr eigentümlichen Schönheit ausgestattet gleicht der Idealgestalt eines romantisierten Bauernmädchens. Sie ist trotz harter Schicksalsschläge nicht aus dem Romanfeld zu verbannen. Vielmehr ermöglicht der Tod ihres kleinen Sohnes bei der Hochzeitsfeier in der Heimat erst ihren Verbleib in der Narration und somit auch den weiteren Bericht über die Eskalation im Bosnienkonflikt.
Ekphrastische Exzesse
Dass hier ein Kunsthistoriker erzählt und dass der Roman in der Kunst- und Intellektuellenszene Frankfurts spielt, vermag Grund genug für die vielen kleinen und großen ekphrastischen Spielereien im Text sein. So steigt der Leser über die Beschreibung Ivanas in die Geschichte ein, wenn sie ihm, aus ihrem Jogginganzug steigend, nackt in ihrer „unauffällige[n] Vollkommenheit“ im Badezimmer einer ihrer Kundinnen präsentiert wird: „Als Ivana die Beine anzog, sich mit den Armen auf dem Badewannenrand abstützte und unter Anspannung der unter der weichen Bauchdecke verborgenen kräftigen Muskulatur […] aus der Wanne aufstand, war es ein Rauschen und Sprudeln. Der Körper wuchs aus den bewegten Wogen hervor, schien selbst aus herabströmendem Wasser zu bestehen, glänzend wie Porzellan“. Der Kapiteltitel „Ivana, schaumgeboren“ beschwört natürlich allerlei Venusdarstellungen herauf, vordergründig zumindest. Die voyeuristische Beobachterposition lässt aber auch – nicht unkritisch – an „Ivana im Bade“ denken.
Funktionalisierung als Prinzip
Und so schließt sich der Kreis, denn allzu vieles in diesem Roman scheint funktionalisiert. Nicht nur, dass der Roman ohne den Handy-Anachronismus nicht funktioniert: Es ist an prägnanten Stellen der notwendige Handlungsmotor, wenn nur durch seine technische Präsenz die narrative Parallelmontage zwischen dem Blutbuchenfest und dem Kriegsausbruch in Bosnien – als jeweilige Punkte der Handlungskulmination – möglich ist. Auch die von vielen Rezensenten als Verbindungsstück zwischen den verschiedenen Figuren und Ebenen im Roman gelesene Ivana scheint letztlich den Erfordernissen der gewünschten Kulmination von Kunst und Krieg, Literatur und Krieg sowie Literatur und Kunst unterworfen und somit, trotz der vielen ihr anbei gestellten Beschreibungen und Szenen eigentümlich kühl und unnahbar. Das vermeintliche Zentrum des Romans muss ganz und gar hochkarätigen Gesellschaftsbeschreibungen bzw. der Ausgestaltung bewusster Pinselführung und Farbspielereien und somit der Selbstgenügsamkeit literarischer Kunstfertigkeit weichen.
Matin Mosebach: Das Blutbuchenfest
Carl Hanser, 448 Seiten
Preis: 24,90€
ISBN: 978-3-446-24479-5
Schöne Besprechung, ich habe sie sehr gerne gelesen. Auf die Lektüre des Romans werde ich aber wohl eher verzichten … 🙂
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