Gestatten Hemgesberg. Ja, ich bin wieder da. Und ich habe Verstörendes zu berichten. In einer traumatischen Wahnvorstellung arbeitete ich als Sibylle Lewitscharoffs Eckermann, zusammen feierten wir Karneval als doppelköpfiger Frankenstein, es konnte kaum schöner sein. Nun lasse ich Sie live teilhaben an dieser Geisterbahnfahrt durch dieSchriftstellerinnenschublade der verworfenen Reden.
von NADINE HEMGESBERG
Was lag sie mir damit in den Ohren, als sie umtriebig, immer schneller im Kreise laufend und bis zur Unkenntlichkeit schwäbelnd um meinen Schreibtisch herum sauste. Sie hätte doch gar eine andere Rede aufsagen sollen, eine, in der klarer wird, dass sie sich selber nicht so ganz traut. Diese unzuverlässige Sibylle im Gewand der Gewissheit, ja, das hätte noch viel krasser, ja mit mehr Saft sein müssen. Und auch verstehe sie diesen ganz Aufruhr nun gar nicht, was sind die Leute doch schäbig mit ihrer Hetze. Ihre christlichen Werte, ja, die solle man doch hochhalten, wie konnte man sie nur so falsch verstehen, solch schwarze Fantasien hat doch jeder. Ach hätte sie sich doch diese elenden, „die Phantasmen, die in den Köpfen siedeln“, diese Ebooks, die das gute alte Buch abschaffen sollen vorgenommen.
„Eckermann, schreiben Sie, also Sie, er, also es, also Sie schreiben. Eckermann, was sind sie nun eigentlich?“
„Wenn Sie so fragen, verehrteste Sibylle, eine Kopfgeburt. Ihre, um genau zu sein. Ihre Schöpfung, zwischen Eckermann und Eckerfrau.“
„Ich bin selber zunächst einmal jemand, der so denkt oft, ja, also sozusagen, der sich so, ich bin nicht wahnsinnig, aber ich habe ein Gefühl dafür, wie das sehr leicht entgrenzbar ist, was man sich zusammen denkt, wie das überschnappen kann.“
„Dichterfürstin Sibylle, gewiss verrückt, gar wahnsinnig sind sie noch lange nicht [spricht zur Seite: hoffentlich noch nicht]. Wie ist es denn nun mit der Idee rund um das Ebook?“
„Die Ideen fangen an zu wimmeln, ja, bevor man einschläft, das geht ja jedem so, Brausekopf, bevor man sich ins Kissen vollends verwurschtelt hat, geht’s los. Das sind viele Ideen, kümmerliche, kleine Verreckerle, die sofort wieder verenden, kaum geboren. Aber dann gibt’s eine, die sich durchsetzt, die ich doch interessant finde, wo ich sozusagen die kleinen Vampirzähnchen feile und die Öhrchen spitze.“
Auch die Eckerfrau spitztedie Öhrchen. Die Dichterfürstin trat zum sperrangelweit aufgerissenen Fenster, klappte die Schädeldecke auf, dabei knicksend wie bei einer höflichen Verbeugung mit Zylinder: die Vampirzähnchen gefletscht, die Verreckerle vom Winde verweht.
„Eckerfrau, schreiben Sie! Mit vollem Ernste, nein, lustig wird es heute nicht mit der unpolitischen Schwäbin, will ich Ihnen, all jenen, die das Buch lieben, ja, die das geschriebene Wort, das Kulturgut und unser Vermächtnis, ja, es darf nicht in den Laboren entstehen! Im Statistiklabor von Amazon!“
„Ach Frau Preisträgerin, das ist alles andere als ausgezeichnet, gehen Sie nochmal lüften!“
„Eckerfrau, nächste Woche, da versuchen wir es nochmal!“
Die fiktive Schublade wird geschlossen. Seien Sie nächste Woche wieder dabei, wenn sich Sibylles Schmuckschatulle mit Eckermann wieder öffnet.
Alle kursiv gesetzten Teile sind einem Interview des Kulturmagazins kultur.21 der Deutschen Welle mit Sibylle Lewitscharoff aus dem Oktober 2013 entnommen.