Frauenfroschmonster und Schwanzzerkleinerer

Dietmar Dath/Oliver Scheibler: Mensch wie Gras wie   Cover: Verbrecher VerlagDietmar Dath schreibt jetzt Comics. Und er erklärt sie einem auch. Mensch wie Gras wie besteht aus zwei sehr ungleichen Teilen: dem Comic, gezeichnet von Oliver Scheibler, und Daths Nachwort bzw., in seinen Worten, „Liner Notes“, deren Lektüre durchaus mehr Zeit in Anspruch nimmt als die des Comics. Für eingefleischte Dathianer mögen sie den Höhepunkt des Buches darstellen, während sie allen anderen Lesern nachträglich den Spaß an einem interessanten Text verderben könnten.

von HANS-JOACHIM BACKE

Mensch wie Gras wie ist ein faszinierender Text, und das nicht in erster Linie wegen Dietmar Daths Beteiligung. Die Themen Identitätskrise, Liebe und Gentechnik kennt man von Dath schon, und seine Dialoge werden nicht weniger ungelenk und aufdringlich dadurch, dass sie, ganz comic-traditionell, in Großbuchstaben mit vielen kursivierten Betonungen daherkommen. Die Handlung um die (selbstverständlich mit einem alliterierenden Un-Namen geschlagenen) Biologin Elin Elwert, die Genexperimente an Gras durchführt, von ihrem Freund Thomas gelangweilt ist und ihre alte Liebe wiedertrifft – den schwulen Martin, mit dem sie mal eine lesbische Beziehung geführt hat –, ist bemüht um Originalität, Aktualität und Bedeutungsschwere. Zwischen einem Tokio, das nach Fukushima wieder den Schatten Godzillas über sich spürt, und einem Frankfurt, dessen Finanzjongleure im Verborgenen die Welt lenken, entwirft der Text ein Szenario globaler Bedrohung und individueller Einsamkeit. Zwischen Karriere und Exzess, Bürgerlichkeit und Künstlertum bewegen sich eine Frau und zwei Männer geradewegs auf ein Ende zu, das von vornherein nicht anders als tragisch sein kann.

Scheibler findet hierfür Bilder, die manchmal von direkter Emotionalität sind – wenn Elin Elwert als kleines Mädchen nicht mit den Jungs Fußball spielen darf, deutet das viel von ihrem späteren Leben voraus –, viel öfter aber rauschhaft, assoziativ Unausgesprochenes und Unaussprechliches andeuten. Scheiblers kraftvolle Bildsprache schafft immer wieder Resonanzen mit Dialogen und Erzählung, was dem Ganzen eine gewisse Poesie verleiht. Das heißt nicht, dass Mensch wie Gras wie ein schöner Comic wäre. Scheibler gibt Daths verkopfter Lovestory durch sprödes, wuchtiges Schwarz-Weiß im Stil der Underground Comix der 1960er und 1970er Jahre viel Interpretationspotential mit. Mit selten mehr als vier Panels pro Seite und vielen vollformatigen Einzelzeichnungen proklamiert Scheibler für jede Linie Gewicht und oszilliert damit ständig zwischen überzeichneter Eindeutigkeit und unerwarteter Subtilität. Vieles an diesen Bildern bleibt rätselhaft und fordert damit Leser zur Auseinandersetzung heraus. Scheibler zitiert häufig andere Bilder, packt immer wieder Details in Panels, die wie zufällig wirken, und lässt manche visuelle Motive rätselhafte Permutationen durchlaufen.

Go und No-Go

Das Go-Spiel ist das Element des Buchs, in dem Autor und Zeichner am produktivsten zusammengearbeitet haben. Elin und Martin zerstreiten sich während einer Partie Go, just dem Spiel, das Farczády, der mit Spinne und Werwolf assoziierte sinistre Großkapitalist der Geschichte, als Beispiel für seine Zukunftsvision einer neuen Weltordnung mit „mehr Raum für die Pflanzen“ anbringt. Spielbrett und -steine durchziehen das Buch als Leitmotiv, das zum schwarzen Loch, zum Smiley, zur Collage und zur Schlachtplatte mutiert, dessen strenge Geometrie sich aber auch subtil in gekachelte Räume und Hochhausfassaden hineinschmuggelt und sogar in der isometrischen Perspektive nachhallt, aus der Elins und Thomas’ Alltag gezeigt werden.

Die „Liner Notes“ am Ende des Bandes machen jedoch klar, dass Interpretationsspielraum ein Konzept ist, mit dem Dietmar Dath seine Schwierigkeiten hat. Vordergründig geht es ihm um den Lobpreis der künstlerischen Arbeitsteilung. Alan Moore sei, so Dath, nur aufgrund des von der Kulturindustrie erzwungenen arbeitsteiligen Prozesses zum größten aller Comicautoren geworden. Trotz dieser Wertschätzung identifiziert sich Dath eher mit Autor/Zeichner Neal Adams, dem „Originalgenie“ und vorbildlichen Einzelnen, dessen Tugenden „zu vergesellschaften“ sind. Doch auch hier bleibt das Nachwort auf Distanz – wie zum Autor Dietmar Dath. Distanziert spricht das Nachwort in der dritten Person von D., einem Künstler, den die Interpretationsversuche seines Publikums zutiefst befremden. An einigen Stellen wird von D.s Beteiligung an Mensch wie Gras wie berichtet – Scheibler zeigt ihm anregende Skizzen, D. entwirft einen Plot und schreibt Dialoge, Scheibler tut den Rest –, womit auch eine klare Distanzierung zum Comic geschaffen wird. Scheiblers Bilder werden in ihrer Uneindeutigkeit gelobt, nur um sie dann auf einfachste und eindeutigste Weise zu interpretieren und überbordende Komplexität auf „Schwanzzerkleinerer“ und „Frauenfroschmonster“ zu reduzieren.

Ein schlimmes Ende im Marxismus aufsagen

Diese potentiell unabsichtlich proklamierte alleinige Deutungshoheit über ein gemeinschaftlich geschaffenes Werk ist jedoch nur ein Nebenschauplatz der „Liner Notes“. Größtenteils geht es darum, dass D. immer unterstellt würde, er hätte eine Botschaft, und er in der Öffentlichkeit immer „den Marxismus aufsagen“ müsse. Dabei gehe es D. nicht um politische Metaphern: Wenn er einen Berg beschreibt, dann meint er auch nur einen Berg und nichts anderes.

Umso bemerkenswerter ist, wie sehr sich das Porträt des unpolitischen Künstlers D. mit Besitz und Aneignung beschäftigt, auch und gerade dort, wo der Comic zur Sprache kommt. Da ist die Rede davon, dass die Samen dem Kapitalisten gehören, die lebendigen Pflanzen aber Elin, und davon, dass die Liebesgeschichte von Mensch wie Gras wie für die Ausbeutung und Verachtung der Arbeiterklasse steht. D. ist aber kein Marxist, er redet nur gern von Dingen, „die Karl Marx herausgefunden hat.“ „Herausgefunden“, also unzweifelhaft in der Welt Präsentes nur offengelegt, so wie Isaac Newton, der als Vergleich bemüht wird.

Ob D. Marxist ist oder nicht, spielt keine Rolle für Mensch wie Gras wie. Und ob jemand diese Frage angesichts des Textes aufgeworfen hätte, wenn es das Nachwort nicht täte, sei dahingestellt. Dass diese Nachtgedanken eines missverstandenen Unpolitischen mit dem Comic zusammen erscheinen, ist schade, denn sie arbeitet mehr gegen ihn als mit ihm zusammen. Vereindeutigend, erklärend, behauptend verschafft sich Dietmar Dath das letzte Wort in einer Gemeinschaftsproduktion, deren kreatives Potential er im Lippenbekenntnis lobt, nur um im Schreiben des Nachworts seine Aussagehoheit wiederherzustellen. Ganz am Schluss fragt sich der Nachwort-Autor, ob sein Text ein schlimmes Ende habe, meint den Comic und verneint (natürlich). Bezieht man das Nachwort mit ein, bekommt diese Überlegung einen wundervoll selbstironischen Unterton, der sehr passend scheint für einen Text darüber, dass nichts so mächtig ist wie das Zusammenwirken von Wort und Bild – außer die Selbstinterpretation, versteht sich.

Dietmar Dath / Oliver Scheibler: Mensch wie Gras wie
Verbrecher Verlag, 206 Seiten
Preis: 24,00€
ISBN 978-3-943167-76-4

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