Gestatten Hemgesberg, alias der Eckermann oder auch die Eckerfrau, ihres Zeichens Schreibhilfssklave, Freund oder einfach nur Sekretärin der Dichterfürstin Sibylle Lewitscharoff. Halten Sie sich fest, eine neue Runde, eine neue Wahnsinnsfahrt – ab und an auch rückwärts/reaktionär/rückständig … Im Traum sprach wieder das Universalgenie zu mir.
von NADINE HEMGESBERG
Mit flinken Hacken wetzt sie über den Dielenboden, der Hausponcho weht im Kreuzberger Frühlingslüftchen, die Fenster stehen sperrangelweit offen, die Eckerfrau wedelt Staub vom Beistelltischchen der Chaiselongue.
„Eckerfrau, ich habe da etwas gefunden! Nein, nein, das E-Book langweilt mich bis ins Mark, auch Amazon kann mich nicht mehr reizen. Das Krakerl, es wird schon vergehen an seiner Gefräßigkeit. Immer mehr, mehr und nochmals mehr, das hat noch niemandem gut getan. Kapitalismus ach, oh weh, welch Schmutzfleck an der Menschheit. Aber das ist ein anderes Thema. Also: Ich sagte es doch bereits, dieses E-Book, ein Krepierer, ein Untergeherle im stürmischen Büchermeer, ein Kurzschluss in der Elektrosmogwolke. Eckerfrau, derlei ist es genug. Aber da, in der Schublade meiner verworfenen Reden, habe ich noch ein Schmankerl gefunden.“
Frau Sibylle eilt schnellen Schrittes voran, den deckenartigen Lappen um sich gerafft und die Eckerfrau schließt hinter ihr die Tür, setzt sich in das Schreibstüberl, fühlt sich wie das Zentrum der stürmischen Gedanken der Dichterfürstin und ebenso toxisch benebelt von dem Universalgenie.
„Verehrteste Sibylle, schwätzen Sie nicht so elendig lang, verraten Sie es mir!“
„Ein Tatzengleichnis, ich der Stachel im Fleische der Politik. Wissen Sie, Eckerfrau, wie mit dem Blumenberglöwen, all das Heiligengedöns, ja als Gleichnis mit mir und diesem infamen Grünen-Politiker, der mir doch gar die Gosch verbieten will.“
„Verschleierung, jaja, ein Gleichnis, Dichterfürstin, ich bin ganz bei Ihnen! Verstricken Sie sich ruhig erneut, es soll mir recht sein, der Schreibgriffel ist bereit. Aber ganz ohne Realismus, nur wieder ein Phantasma?“
„Ich will mich doch nicht geben, wie all die Autoren, die schreiben wie verschwitzte Hausschuhe. Der Realismus ist natürlich schon auch da, also gaaaanz ohne Realismus kommen wir nicht weit. Ein realistischer Untergrund oder ein Teppich muss schon sein.“
Nun geht ein laueres Lüftchen durch das Schreibzimmer, die Noch-Büchner-Preisträgerin geht schnellen Schrittes in der Lauffurche umher.
„Ich bin die schriftstellerisch-christliche Stimme, die es zu hören gilt. Ich bin der Stachel, ich bin die Verwundung, die einen Herrn Brause zum Nachdenken bringen sollte. ICH ICH ICH. Schreiben Sie, Eckerfrau: Meine Damen und Herren, nun, in vollem Ernst und Vollbesitz meiner geistigen Kräfte und als Tochter eines toten Gynäkologen, will ich Ihnen folgende Mär berichten. Eines Morgens erwachte der Politicus Rüdiger Brause nicht als Käfer, so doch als Löwe in einer Höhle nicht weit der Stadt Bad Soden. Eckerfrau, halt. Streichen Sie! Bad Sodom!“
„Halten Sie das für den besten Beginn, verehrteste Dichterfürstin?“
„Ihr Einwand, das ist mir Wurscht.“
Versonnen betrachtet die Schriftstellerin ihren gerahmten Scherenschnitt an der Wand.
„Aber … das werd’ ich doch wohl noch sagen dürfen! Neulich erst, bei meinem äußerst konspirativen Gespräch mit Thilo, er bekräftigte: Man darf. Man darf sagen, meinen, man darf!“
Die Eckerfrau sah sich bemüßigt, den Schreibgriffel fallen zu lassen, aus dem Nebenzimmer die rollbare Glotzkommode hineinzustellen und die Vorrichtung zu betätigen, damit 10 Jahre aufgenommenes Dschungelcamp auf die Dichterfürstin einprasseln möge.
„Ein Versuch der Menschlichkeit, verehrte Sibylle.“
Und in der nächsten Woche hört die Eckerfrau endlich auf, schlecht zu träumen und schaut sich wieder im Literaturbetrieb um.
Kursiv gekennzeichnet sind Zitate von Sibylle Lewitscharoff. Sie sind dem Interview mit Denis Scheck auf der Frankfurter Buchmesse 2011 zu ihrem Roman Blumenberg entnommen.
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