In Jean Echenoz’ Roman 14 wird aus der Perspektive zweier Männern und einer Frau kurz die Geschichte vom Ersten Weltkrieg erzählt – mehr scheint auch nicht nötig, denn eigentlich ist alles „schon tausendfach beschrieben worden“. Übrig bleiben Erinnerungssplitter an das Grauen, die Langeweile, die Liebe – und einige Anekdoten.
von JUDITH SCHÖNHOFF
Die Geschichten der drei jungen Menschen und ihrer Freunde scheinen exemplarisch zu sein, wird hier doch das ganze Spektrum bekannter Kriegsschicksale aufgerufen: die schwangere, zurückbleibende, unverheiratete Frau und die Gruppe der fünf Infanteristen, von denen keiner den Krieg unversehrt übersteht. Der erste, Charles, wird zwar schnell für höhere Aufgaben entdeckt und hat die Chance als wagemutiger Flieger und Fotograf ein moderner Held zu werden, wird jedoch schon bei einem Probeflug abgeschossen. Von den Übrigen fällt der erste bei einem Granatangriff, der zweite verliert zeitgleich seinen rechten Arm, der dritte erblindet bei einem späteren Gasangriff und der letzte wird gegen Kriegsende als Deserteur erschossen, ohne dass den einzelnen Schicksalen dabei ein tieferer Sinn zugesprochen wird oder es gar heroisch anmutet. Selbst die Fahnenflucht ist hier nicht Ausdruck einer Einsicht in die Sinnlosigkeit des Krieges, sondern lediglich Symptom der zunehmenden Deprivation des Letzten der kleinen Gruppe – entfernt er sich doch lediglich von der Truppe, weil er etwas Ruhe sucht und seine Freunde vermisst.
Doch gibt es wirklich exemplarische Kriegsschicksale?
Der Roman stellt das sowohl formal als auch auf der Handlungsebene infrage: Da sind zunächst die Namen der Brüder Anthime und Charles, sowie von deren Freundin Blanche und den Kameraden Arcenel, Padioleau und Bossis, die zum Großteil das strenge Namensrecht in Frankreich um 1900 wohl kaum passiert hätten. Als exemplarische Figuren scheinen sie damit ungeeignet, wirkten doch lediglich die Namen von Charles und Blanche authentisch, und gerade deren Schicksale sind alles andere als repräsentativ: Der Mann ist ein Pionier des im Ersten Weltkrieg erst in den Anfängen steckenden Luftkrieges und die Frau hat als unverheiratete Mutter in einer Kleinstadt nichts auszustehen – weder ihre Familie noch die Nachbarn nehmen an ihren Lebensumständen Anstoß.
Inwieweit lässt sich in diesem Kontext das Schicksal der restlichen vier Infanteristen noch als paradigmatisch verstehen? Der Krieg ist hier für jeden anders, es gibt keine vergleichbaren Erfahrungen. Besonders deutlich wird die Absurdität des Konzepts der repräsentativen Geschichten dann auch, wenn beispielsweise der Verlust des Armes bei Anthime bis hin zu seinen Phantomschmerzen an die historische Erfahrung von Lord Nelson gekoppelt wird, oder der Name des Piloten von Charles’Flugzeug dem des Erfinders des Dynamits und ausgewiesenen Kriegsgegners Alfred Nobel verblüffend ähnelt.
Historisches Erzählen
Da bleibt dann nur noch die Einbettung der Handlung in die reale Geschichtsüberlieferung, wenn sich der Text gleich zu Beginn durch das Zitat aus Victor Hugos 1793 „Aures habet, et non audit“ (Er hat Ohren und hört nicht), klar in die Tradition des historischen Romans stellt. Doch auch hier tun sich immer wieder Brüche auf: Wirkt vieles realistisch, wie die schon früh und sich leitmotivisch durch den Text ziehenden unpatriotischen Taten der Kriegsgewinnler, die vom Bauern bis zum Industriellen allen Gesellschaftsschichten entstammen, oder auch die Darstellung des Stellungskrieges mit Maschinengewehren, Granaten und Gasangriffen, nimmt der Erzähler es an anderer Stelle weniger genau – dabei ist Faktentreue die Basis jedes historischen Erzählens. So erfolgte die MobilmachungFrankreichs beispielsweise zwischen dem 2. und 18. August 1914 und nicht, wie gleich zu Anfang behauptet wird, am 1., und auch andere Details, wie die fiktive Geschichte von der Erfindung des Mokassins durch den einarmigen Anthime (es ist eigentlich eines der ältesten Schuhmodelle der Welt), oder die Idee, dass die Banane ihren Siegeszug durch Europa ausgerechnet während der Hungerjahre des Ersten Weltkrieges begann, sind leicht als ahistorische Einsprengsel durchschaubar.
Kann die Gegenwartsliteratur denn Neues über den Ersten Weltkrieg erzählen?
Diese wichtige Frage scheint Jean Echenoz in seinem oft fragmentarisch wirkenden Roman zu stellen. Welche Perspektive sollen wir heute einnehmen, da doch die Zeitzeugen mit dem 100. Jahrestag des Kriegsbeginns endgültig abhanden gekommen sind? Das Fazit des Erzählers scheint hier eindeutig: „[O]bgleich der Krieg […] gewaltig ist, atemberaubend, exzessiv, voller quälender Längen [, ist er] auf die Dauer meist auch ziemlich langweilig“. Und vielleicht ist das die Wahrheit und wir sollten unsere Ohren benutzen, um zu diese hören.
Dennoch ein kleiner Roman, der sich gut liest und ein Bild vom Ersten Weltkrieg jenseits des Heroischen zeichnet.