Wenn in einem Literaturblog oder dem Feuilleton über deutsche Comics geschrieben wird, heißen diese in der Regel Graphic Novels und sollten dann im besten Fall nicht bunt, nicht lustig, nicht phantastisch, nicht erotisch, nicht spannend oder kreativ, dafür aber Deutsch-LK-tauglich sein. Lescheks Flug von Sebastian Stamm gehört definitiv nicht in diese Kategorie. Trotzdem sollte man hier durchaus einen Blick riskieren.
von LARS BANHOLD
Die Story ist entwaffnend simpel: Leschek ist ein unscheinbarer, wenig charismatischer Roboter, der auf dem heruntergekommenen Provinzplaneten Neulins ein karges Dasein als Arbeiter in einer Spielzeugfabrik fristet. Von seiner despotischen Chefin gequält und den eigenen fortschreitenden Materialzerfall vor Augen, erkennt Leschek Licht am Ende des Tunnels, als er unverhofft in den Besitz seines eigenen Raumschiffs gelangt, das ihm die Möglichkeit verspricht, Neulins endlich zu verlassen. Doch was soll man mit einem Raumschiff anfangen, wenn man es nicht fliegen, geschweige denn die Tankfüllung bezahlen kann?
Der mechanische Nerd im Weltraumwestern
Was der eigentlichen Handlung an Komplexität vielleicht fehlt, macht der Comic in der Ausführung mehr als wett. Autor und Zeichner Sebastian Stamm profitiert dabei anscheinend von seinen Erfahrungen in der Computerspielbranche. Neulins mit seinen vielen Eigenheiten, wie die Form der Gebrauchsanweisungen für Raumschiffe oder der bizarren, multifunktionalen Währung, ist ein Beispiel für wirklich gelungenes World-Building, wie man es zu selten in Science Fiction-Literatur und -Filmen findet. Und trotz zahlreicher Anleihen aus den Bereichen Steampunk und Space Western meidet der Comic einigermaßen geschickt viele der damit verbundenen Klischees. Vor allem liegt die Stärke des Comics aber in den Figuren, allen voran Leschek. An diesem runden, verbeulten kleinen Maschinenmenschen wird charmant eine kleine, liebevolle Allegorie auf das erwachsene Nerd-Dasein gesponnen, die selten ausgesprochen werden muss, sondern vor allem von der einfach richtig guten Cartoonisierung lebt. Den restlichen Figuren fehlt zwar solche Tiefe oder eine ausgefeilte Psychologie, aber das Spiel von Mimik und Gestik, das Stamm zeichnet, verleiht jedem der Akteure so etwas wie Seele – von dem cleveren Charakterdesign ganz zu schweigen. Diese Souveränität, mit der Lescheks Flug sich auf das rein graphische Erzählen verlässt ohne dabei wie eine Bachelorarbeit nach Scott McCloud zu wirken, ist schlicht eine Freude.
Ein Punkrockalbum für die deutsche Comicszene
In einem von Adaptionen und (Auto-)Biographien überlaufenen Comicmarkt tut es gut, einfach mal richtig gut gemachte, kreative und erfindungsreiche Fiktion zu lesen. Das gilt auch für den Zeichenstil, der sich ausnahmsweise nicht an der vermeintlich intellektuellen ligne claire oder einem elaborierten Realismus orientiert, sondern bunt, expressiv und originell ist. Wenn überhaupt erinnert der Comic an bessere amerikanische Independentcomics, vor allem an Lilli Carré und Paul Pope, sowie an die Cartoonserie Invader Zim.
Alles an Lescheks Flug wirkt auf den ersten Blick einfach und könnte von manchen sogar als unambitioniert missverstanden werden, aber wie bei einem guten Punk-Album ist es gerade das Simple, was die Geschichte so gut macht – einfach nur ein ganz souverän guter, origineller und handwerklich mehr als solider Comic, der geradezu nach einer Fortsetzung schreit. ’nuff said!
Sebastian Stamm: Lescheks Flug
Rotopolpress, 112 S.
Preis: 19 Euro
ISBN 978-3-940304-86-5