Zombie-Geschichten können vieles sein: unfreiwillig komisch, dünn geplottet, geschmacklos – langweilig sind sie jedoch selten. Aber es gibt ihn, den blutleeren Wiedergänger. Den intellektuellen Zombie. Keine Rezension, sondern Resignation zu Colson Whiteheads Zone One.
von YANNICK SIEVERS
Zombie-Geschichten sind nie frei von Mängeln. Und das hat nicht einmal etwas damit zu tun, dass sie die wiederauferstandenen Toten zum Inhalt haben – also auf den ersten Blick nicht viel mehr sind als sensationalistischer Grusel. Cheap Thrills. Die willentliche Aussetzung der Ungläubigkeit, dass „sie gekommen sind, um uns zu holen“, ist das Fundament jedes Erfolgs, den die Untoten als literarische Figuren oder Satirevehikel haben können. So ist auch das Untoten-Genre mittlerweile seinen Kinderschuhen entwachsen und hat in seinen besten Momenten die Figuren vom Reißbrett, alibihaften Plot-Skelette und billigen Schockmomente der Vergangenheit vermeintlich hinter sich gelassen. Natürlich produziert die Unterhaltungsindustrie nach wie vor eine Menge massakrierten Müll – was den Genre-Fan nicht weiter stört – aber immerhin haben Filme und Romane über die Living Dead mittlerweile gelernt, mehr zu sein als morbides Entertainment. Mehr Brrraaaaiiiins, wenn man so will. Zombie-Fiktion stellt bereits seit längerem Fragen über die menschliche Verfassung, provoziert kollektive Ängste und thematisiert Bildung und Störung von Identitäten. The Walking Dead, Monster Island und World War Z sind nur einige Beispiele für zeitgenössische Untoten-Literatur, die mehr ist als Cheap Thrills. Zombies sind erwachsen geworden – doch Alter schützt vor Torheit nicht.
Zombie-kalypse vom Reißbrett
Verwesende Wiedergänger sind momentan so sehr in Mode, dass die Überschwemmung des Popkulturmarktes mit Zombies an die Szene in 28 Weeks Later erinnert, in der ein Helikopter durch eine Horde Untoter mäht und die blutigen Fetzen in alle Himmelsrichtungen verteilt. So schien sogar Colson Whitehead – Pulitzer-nominierter Autor von eigentlich „ernstzunehmender“ Literatur – einen Untoten-Roman auf den Markt werfen zu müssen. Zone One ist im Frühjahr 2014 nun auch auf Deutsch erschienen. Es ist ein Zombie-kalypse-Plot vom Reißbrett: Die Welt ist von Untoten überrannt, die wenigen Überlebenden haben sich in Gruppen zusammengefunden, zunächst gezeichnet von Verzweiflung und schließlich verbunden in Kampfgeist und Überlebensinstinkt. Man beginnt, die Welt zurückzuerobern, Stadt für Stadt. Hauptfigur Mark Spitz ist Mitglied einer der „Sweeper-Einheiten“. Letztendlich wird das Bollwerk der Überlebenden dann aber doch von geifernden Untoten erobert, die Nebenfiguren beißen ins Gras und unser Held entkommt knapp, sieht jedoch einem ungewissen Schicksal ins Auge.
Narrative Tristesse
Es ist nicht leicht in Worte zu fassen, wie langatmig Zone One tatsächlich ist – gerade, weil der Intellektuelle Whitehead seine Geschichte so wortgewandt verfasst hat. Aber der hohe sprachliche Stil wirkt teilnahmslos, das Vokabular technisch. Die Erzählperspektive ist extrem distanziert, der Ton kalt und unpersönlich. Und das ist auch schon das hauptsächliche Problem. Zombies sind eine zutiefst körperliche Angelegenheit und werden am effektivsten durch eine gewisse Nähe zum Widerwärtigen vermittelt. Das gefühlt häufigste Wort in Whiteheads Roman ist allerdings „Planquadrat“. Ob und welch einem Zweck die narrative Tristesse dienen soll, bleibt unklar. Als bloßer Spiegel eines grauen Alltags aus Orientierungslosigkeit, Leistungsdruck und Identitätskrise sind gewisse Passagen in Zone One gut gelungen. Leider bleiben diese Erinnerungen an die Alte Welt ohne Konsequenz für die Kerngeschichte und Mark Spitz’ Schicksal in der zombifizierten Gegenwart. Whiteheads philosophische Konzepte bleiben im großen Rahmen weitgehend unverständlich. Ein Beispiel: Unser Held ist der durchschnittlichste Durchschnittstyp, den man sich vorstellen kann. Ein bewährter Standard in phantastischen Erzählungen. Dieser Umstand wird dem Leser jedoch so oft um die Ohren gehauen, dass man sich bei einem versierten Autor wie Whitehead fragen muss, was das Ganze eigentlich soll. Whitehead überzeichnet die Durchschnittlichkeit seines Protagonisten schließlich derart, dass dieser über den Rest der Menschheit gehoben wird: „Er hatte ein mittelmäßiges Leben geführt, das nur im Ausmaß seiner Gewöhnlichkeit außergewöhnlich gewesen war. Jetzt war die ganze Welt mittelmäßig, und das machte ihn vollkommen. Er fragte sich: Wie kann ich sterben? Ich war schon immer so. Jetzt bin ich noch mehr ich. Er hatte genügend Munition. Er erledigte sie alle.“
Das ist nicht nur langweilig zu lesen, sondern schlicht banal. Als Gesellschaftssatire bleibt Zone One durchweg harmlos, während spannende Zombie-Unterhaltung der alten Schule dank der drögen Erzählweise völlig flachfällt. Es ist halt so eine Sache mit den Brrraaaaiiiins.
Colson Whitehead: Zone One
Carl Hanser Verlag, 304 Seiten
Preis: 19,90€
ISBN 978-3446244863
Ich sehe das ähnlich: http://guenterkeil.wordpress.com/2014/05/30/colson-whitehead-zone-one-literaturblog-guenter-keil/
Interessiere mich “eigentlich” überhaupt nicht für Zombie-Geschichten, habe mich hier aber festgelesen … Klasse Rezension – klug und gut geschrieben!
Die FAZ sieht das ganz anders. Lobeshymnen gibt es dort für diese Persiflage auf die Gegenwart und Liebenserklärung an New York. Beide Positionen sind Anreiz genug, sich das Buch man näher anzusehen…vielleicht mit ein wenig de Certeau im Hinterkopf? 😉