Eduard Saxberger hatte eigentlich schon vergessen, dass er mal ein Dichter war. Erst der junge Mann, den er eines Tages in seinem Wohnzimmer vorfindet, bringt die Erinnerung zurück. Wolfgang Meier, Vertreter des literarischen Vereins „Begeisterung“, überschüttet den alten Mann mit ebensolcher und weckt in ihm den längst verloren geglaubten Wunsch nach Anerkennung. Schnitzlers nun erstmals veröffentlichte Novelle Später Ruhm nähert sich der Diskrepanz zwischen Dichtung, Kunststreben und Geltungswunsch mit einigem Humor und sieht dank seiner scharfsinnigen Darstellung der Literaturszene der Wiener Moderne alles andere als alt aus.
von SOLVEJG NITZKE
Man muss nicht selbst schon alt geworden (oder ein Dichter) sein, um die Ausgangssituation dieser Novelle verführerisch zu finden: Nichts ahnend nach Hause zu schlendern, um dort festzustellen, dass man gleichsam über Nacht doch noch berühmt geworden ist – es gibt Schlimmeres. Eduard Saxberger, Beamter von bürgerlichem Beruf, blüht angesichts der jugendlichen Bewunderung, die ihm da so unerwartet entgegengebracht wird, endlich wieder auf. Er, der sich über Jahrzehnte in seiner bürgerlichen Existenz eingerichtet hatte, wird von der Reflexion seines eigenen Jugendwerks wieder daran erinnert, dass auch er einmal jung war – pathosfähig, begeistert, ein Dichter!
Endlich wieder Dichter sein
Es braucht nicht viel Überzeugungsarbeit, um den „greisen Dichter Saxberger“ dazu zu überreden, seinen Stammtisch zu versetzen, um stattdessen den Treffen der jungen Künstler des Vereins „Begeisterung“ im Kaffeehaus beizuwohnen. Wer würde nicht gerne im Mittelpunkt stehen, „Meister“ genannt und um seinen Rat und seine Einschätzung gebeten werden? Wer nicht gern hören, wie die Jüngeren das Unglück beklagen, dass ihn, den großen Dichter, zwang, seine Kunst zugunsten einer bürgerlichen Existenz aufzugeben, anstatt „abseits der Heerstraße“ zu wandeln und „Großes“ zu schaffen?
Die Mitglieder der illustren Runde, allesamt leidlich jung und leidlich begabt, überschütten den „Meister“ nur zu gerne mit ihrer Begeisterung und sonnen sich ebenso gern in seinem Glanze. Ein geplanter Vortragsabend soll sie nun endlich ins rechte Licht rücken. Saxberger, ihre (Wieder-)Entdeckung, spielt dabei eine Schlüsselrolle. Eine neue Dichtung soll der Wiener Öffentlichkeit (obwohl allesamt Banausen und lausige Kritiker) endlich ihren Irrtum vor Augen führen. Denn natürlich ist es angesichts einer so oberflächlichen Bande, die sogar einen wie Saxberger verkannte, kein Wunder, dass auch den Mitgliedern des Vereins „Begeisterung“ alles andere als Interesse entgegen gebracht wird. Mit Hilfe des Alten wollen die Jungen seinem Schicksal entgehen und seinen späten Ruhm in ihren gegenwärtigen verwandeln. Saxberger sagt seine Teilnahme zu – auch wenn er den pathetischen Reden nicht immer ganz folgen kann; auch wenn er die Dichtungen der jungen Künstler nicht ganz versteht oder zumindest nicht direkt in Begeisterung ausbricht; auch wenn ihm, wie sich herausstellt, wirklich nichts einfallen will…
Fahle „Begeisterung“
Es dauert nicht lange, bis die Begeisterung der jungen Männer und der (nicht mehr ganz so jungen) Frau des Vereins auch dem geschmeichelten Dichter-Beamten recht fahl erscheint. Ist der ausbleibende Erfolg der Künstler wirklich allein auf die Unfähigkeit des Wiener Publikums zurückzuführen – auf den „Neid der Talentlosen, die Leichtfertigkeit und Böswilligkeit der Rezensenten und dann die entsetzliche Teilnahmslosigkeit der Menge“ – oder kann es sein, dass sie vielleicht gar nicht so gut sind, wie sie von sich glauben? Wenn selbst seine Stammtischbrüder sich für Dichter halten, gar jeder früher einmal Gedichte publiziert hat, wie steht es dann mit seiner „hohen Kunst“ und Besonderheit? Gibt allein das Alter seinen Dichtungen recht oder ist er bloß ein „armer Teufel“, der den Schmeicheleien anderer ebenso mittelmäßiger Dichter auf den Leim geht? Saxberger ist hin und hergerissen zwischen dem ihm neuerdings entgegenstrahlenden Dichter-Spiegelbild und seinem über Jahrzehnte gewachsenen bürgerlichen Selbstverständnis. So viel sie ihm schmeicheln, es scheint, als gingen ihm die begeisterten Reden seiner Anhänger gehörig auf den Geist – zumindest, wenn sie nicht über ihn reden. Die Belanglosigkeit des Pathos’ scheint sich ihm immer mehr aufzudrängen, denn alle reden, keiner schreibt und, schlimmer noch, keiner liest.
Alte Dichter und Neuveröffentlichungen
Schnitzlers nun erstmals veröffentlichte Novelle erfindet das Rad wahrlich nicht neu. Die Entdeckung, dass die Beziehung von Kunststreben und dem Wunsch nach Anerkennung und Ruhm oftmals knirscht, ist weder damals wie heute besonders überraschend. Doch der Erscheinungskontext der Novelle geht mit ihrem Inhalt und ihrem Entstehungsumfeld eine interessante Verbindung ein. Dem Nachwort der Herausgeber Wilhelm Hemecker und David Österle ist zu entnehmen, dass Schnitzler bei der Abfassung der Novelle eher im Alter der „jungen“ Künstler als dem des greisen Dichters war, was als ironische Stellungnahme auf die eigene Teilnahme an den literarischen Kaffeehauszirkeln interpretiert wird. Auch wenn Später Ruhm „freilich […] kein Schlüsselroman“ sei, so stellen die Herausgeber doch einige Parallelen zu zeitgenössischen Vereinen, Schriftstellern und Vortragsabenden heraus.
Damit lassen sie jedoch außer Acht, was die Novelle eigentlich so interessant bzw. unabhängig davon, dass es sich um einen „neuen“ Text vom großen Schnitzler handelt (auch wenn ich meine Zweifel habe, ob man davon absehen kann), zu einem solchen Lesevergnügen macht: Die affektierten Posen der Kaffeehausdichter ebenso wie die ironisch distanzierte Erzählhaltung, die einem in diesem Text begegnen, ähneln auf frappante Weise jener literarischen „Szene“, die außer angesagten „Locations“ und „Projekten“ nicht viel produziert. Schnitzlers Text rückt so in die Nähe von Texten wie Herrndorfs In Plüschgewittern und birgt – damals wie heute – das Vergnügen, herzlich über die „Begeisterung“ zu lachen, die die Literaturszene bzw. die Dichter sich selbst entgegen zu bringen vermögen. Was Schnitzlers Kaffeehausliteraten mit den Künstlern der (nicht nur) Berliner Szenebars gemeinsam haben ist nämlich nicht notwendig Begeisterung über Texte, Werke oder Ideale, sondern vor allem die künstlerische Pose. Hinter dem flamboyanten Auftreten blitzt dennoch die unsichere Frage auf, was einen Dichter-Künstler ausmacht. Reicht die Performance? Reicht die Veröffentlichung? Oder braucht es den (wenn auch späten) Ruhm, die Anerkennung durch das Publikum? Schnitzlers Novelle legt einen ebenso erheiternden, wie erschreckenden Gedanken nahe: Vielleicht geht es in der Kunst gar nicht, um die Künstler. Vielleicht machen nicht die Dichter „Literatur“ – möglicherweise geht es, aller (Selbst-)Vermarktung zum Trotz, am Ende doch um das Werk…
Arthur Schnitzler: Später Ruhm
Herausgegeben und mit einem Nachwort von Wilhelm Hemecker und David Österle
Paul Zsolnay Verlag, 160 Seiten
Preis: 17,90 Euro
ISBN 978-3-552-05693-0
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