Kleine Fische

Holger Teschke - Heringe   Cover: Matthes & SeitzSie haben keine Beziehung zu ihrem Hering in Tomatensoße, der seit Jahren zwischen den Konserven versauert? Hatte ich auch nicht. Hätte man mich zu dem befragt, was da gerollt, geräuchert, gesalzen oder mariniert aus Dose und Glas kommt, hätte ich wohl mit den Schultern gezuckt. Hätte man Holger Teschke gefragt, wäre die Antwort sehr wahrscheinlich um einiges umfangreicher ausgefallen.

von RAMONA SCHERMER

Der Band mit dem minimalistischen Namen Heringe ist Teil der Reihe Naturkunden, die bei Matthes & Seitz erscheint und von Judith Schalansky herausgegeben wird. Präsentiert wird ein weit gereistes Grätentier, das sich zu allen Zeiten größter Beliebtheit erfreut hat, wie Tescke versucht deutlich zu machen. Wenn man ein Buch über Fische liest, packt einen in direkter Konsequenz die Ahnung, dass sie nun kommen wird, die ewige Litanei von der Überfischung, den Schleppnetzen, dem Fischen mit Dynamit. Die ersten Seiten schaffen es auch nicht, diese Ahnung zu vertreiben. Mit blumigen Worten werden hier die groß(artig)en Fischschwärme beschrieben, die dereinst unsere Meere bevölkerten. „Dicht unter der Wasseroberfläche schwimmend, reflektierten die riesigen Schwärme das Mondlicht so stark, dass die See meilenweit glänzte und funkelte, als würde das Meer einen neuen Stern gebären.“ Dass der Fisch in allen Zeiten – außer den unsrigen natürlich – hinlänglich gewürdigt wurde, versucht uns Teschke in den folgenden Kapiteln nachzuzeichnen. So wird dem Leser die kulturelle Bedeutung des Fisches anhand einer manchmal allzu seichten Butterfahrt durch die Geschichte präsentiert.

Heringskulturen

Die kurze Überfahrt von Plinius zu Alexandre Dumas wirkt dabei jedoch allzu oberflächlich. Auf gerade einmal fünfzehn Seiten wird hier der starke Einfluss des Kiemenatmers thematisiert, der im Mittelalter mit Gold und Pelzen aufgewogen worden sei. Zuvor jedoch wird der zoologische Aspekt des Themas abgearbeitet. Unter dem Kapitel „Woher kommt der Hering?“ werden die Punkte Verhalten, Vorkommen, Aussehen etwas lieblos zusammengetragen. Nicht jedoch, ohne auch hier wie so oft in diesem Buch, eine erstaunliche Anekdote aus der Rubrik „Dinge, die man auf der nächsten Cocktailparty anbringen kann“ einzuflechten. „Diese Geräusche, die der Hering unter Wasser mithilfe der Schwimmblase bis zu 10 Meter weit aussenden kann, sind auch für das menschliche Ohr hörbar. Sie werden von den Fischern als ‚Heringsfurzen‘ bezeichnet.“

Einfahrt in den Heimathafen bei trüben Aussichten

Positiver fallen hier jene Passagen auf, in denen die persönliche Verbindung Teschkes zum Thema ins Spiel kommt, die ihn zum Autor dieses Büchleins werden ließen. Auf Rügen geboren und selbst für einige Zeit auf einem Fischkutter unterwegs, weiß er immer wieder einen persönlichen Bezug zum Heringsfang unserer Zeit herzustellen. Der Schwerpunkt liegt klar im 20. Jahrhundert. Und hier macht das Buch auch Spaß. Zumal sich die Vorahnung vom erhobenen Zeigefinger des Naturschutzes nicht bewahrheitet. Natürlich bringt Teschke die Überfischung der Meere zur Sprache, woran ja auch kein Weg vorbei führt. Er verwebt dieses Thema jedoch mit seiner eigenen Geschichte. „Jedes Mal, wenn ich nach Hause kam, lagen weniger Kutter im Hafen.“

Im Großen und Ganzen kommt der Band aber dem Ergebnis einer Suchmaschine gleich. Man bekommt allerlei Anekdötchen, Sprichwörter, ein bisschen Geschichte und die Rezeptklassiker, zusammen mit ein paar Gemälden. Das Buch bietet dabei als populärwissenschaftliche Abhandlung einen kleinen Einblick in das Thema, wird jedoch keiner wissenschaftlichen Disziplin so wirklich gerecht, was mit Sicherheit auch nicht das Ziel war. Doch spannender wird es durch seine Oberflächlichkeit auch nicht.

Holger Teschke: Heringe. Ein Porträt.
Matthes & Seitz Berlin, 119 Seiten
Preis: 18 Euro
ISBN: 978-3882213928

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