Gestatten Hemgesberg. Am Mittwoch wurde die alljährliche Longlist mit den 20 Anwärterromanen für den Deutschen Buchpreis veröffentlicht. Eben jene Liste führte zu allerlei Reaktionen seitens des Feuilletons, größtenteils keine guten. Wo sind die Frauen? Wo ist der Herbst? Wo sind die Indies? Warum? Wieso? WTF?
von NADINE HEMGESBERG
Ich kann Ihnen sagen: „Boah, wat war dat für ’ne Woche!“ Ich muss mich gerade davon erholen, dass mir aus lauter Fremdscham am Freitag beinahe Augen und Ohren abgefault sind angesichts dieser hirnamputiert langweiligen Geschichte mit den mehr oder minder (minder!) prominenten Containerkindern im Big-Brother-Haus. Die Z-Prominenz rund um Teppichluder Janina Youssefian und den Ex-Bachelor stecken sich hoffentlich im Höllenkeller des Hauses noch aus lauter Langeweile das spiegelnde Kehrblech (Janina wird ohne das Gewahrwerden ihres Spiegelbildes einen grausamen Tod sterben) in irgendwelche Körperöffnungen. Deutlich amüsanter ist dieser Gedanke jedoch allemal als die Erkennen- und Beschreiben-Suada von Frau Effenberg zu Beginn des diesjährigen Big-Brother-Experiments, in der sie jedem Gegenstand, jeder Frucht und jedem Möbel ihre Wertschätzung erweist – Adalbert Stifter hätte sich daran bestimmt erfreut, ich jetzt nicht. Bei ihm wäre es zwar ein ältlicher Großvater mit Berg- und Landschaftszeigezwang anstatt dem krossgebräunten Neondesignerbonbon gewesen, aber immerhin, die Big-Brother-Novelle hätte ihm dennoch einen gewissen Kick gegeben. Und dann auch noch das, am Mittwoch erschütterte mich die Longlist für den Deutschen Buchpreis. Man kann sie nur betonen, die Auslassungen, die diese Liste vornimmt: Genannt werden muss Nino Haratischwilis Georgien-Epos Das achte Leben (Für Brilka), Michael Kleeberg mit seinen Vaterjahren, Katja Petrowskaja mit Vielleicht Esther (die in einem gefühlten Kopf-an-Kopf-Rennen beim Preis der Leipziger Buchmesse gegen Saša Stanišić und seinen Roman Vor dem Fest verlor), Judith Hermann und Aller Liebe Anfang. Und dass es zu einer Nominierung von Heinrich Steinfests bis ins tiefätzend Kitschige und im Höchstmaße vorhersehbarem Unglück von einem Roman Der Allesforscher gereicht hat, bei all den genannten Versäumnissen, ist schlichtweg albern.
Feuilletonstimmen
Gerrit Bartels fragt sich im Tagesspiegel und schließt als wäre es alles einerlei: „Oder Bodo Kirchhoffs Roman Verlangen und Melancholie? Oder Michael Kleebergs Karlmann-Fortsetzung Vaterjahre? Warum sind die mit ihren guten neuen Romanen nicht auf der Liste? Ach, egal.“ Nicht anders sieht es im restlichen Feuilleton aus: Dirk Knipphals von der taz ist der Meinung „Diese Longlist verzerrt das Bild der deutschsprachigen Literatur.“, Richard Kämmerlings von der WELT unverblümt „Diese Longlist ist ein schlechter Witz“ und legt gleich in einem zweiten Kommentar nach „Beim Deutschen Buchpreis ist es so ähnlich. Wenn man glaubt, mit Long- und Shortlisten die Individualität eines Romankunstwerks zum Gegenstand des Vergleichens und Messens machen zu müssen, dann lädt man auch dazu ein, diese Listen nach Äußerlichkeiten zu bewerten und zu kommentieren.“ Andreas Platthaus, der noch im vergangenen Jahr in der Jury des Deutschen Buchpreises saß (und Terezia Mora den Preis verlieh, fragt sich in der FAZ im Hinblick auf die fehlenden Indies: „Aber gab es wirklich kein einziges Programm eines nicht längst etablierten Verlags, in dem eine Entdeckung zu machen gewesen wäre?“ Jörg Morgentau unkt über die Auswahlmethoden der Buchpreisjury: „Ob sie die auswürfeln, ob sie sich prügeln oder ob sie die wirklich lesen und die besten finden – das ist ihre Sache.“
Man darf gespannt sein auf die Shortlist. Häppchen alle, auf Wiederlesen in der nächsten Woche. Ab jetzt gibt es die Hemgesberg wieder in schöner Regelmäßgkeit.
Liebe Nadine – ich mag deine Kolumen so sehr – diese starke Art sich so auszudrücken, so, dass alle Wort mitten in die Leserherzen treffen. Und das natürlich voll in die Mitte. Streifschüsse würden auch gar nicht zu dir passen.
Mach weiter so!