Falls Sie sich jemals Gedanken über die individuelle oder gesellschaftliche Funktion des Romans gemacht und noch nie den Namen Luhmann gehört geschweige denn etwas von ihm gelesen haben, dann greifen Sie ruhig zu Ernst-Wilhelm Händlers Versuch über den Roman als Erkenntnisinstrument. Doch Vorsicht, die Lektüre kann spontan auftretende Schlummersucht bewirken!
von KAI FISCHER
Der Gang der Dinge sieht wie folgt aus: Die Redaktion schlägt dem Rezensenten (also mir) ein Buch vor. Der Titel des Buchs, in diesem Fall Versuch über den Roman als Erkenntnisinstrument von Ernst-Wilhelm Händler, verspricht trotz oder gerade wegen einer gewissen Sperrigkeit (da bin ich unentschieden) eine interessante Lektüre. Der Rezensent entscheidet sich, das Buch zu besprechen, und erhält ein paar Tage später sein kostenloses Exemplar. Der Rezensent beginnt mit seiner Arbeit und liest zunächst die Verlagsinformationen auf der Umschlaginnenseite, die ihm die Herangehensweise des Autors als „hochkonzentriert“ und das Ergebnis seiner Bemühung als „hoch inspirierend“ beschreiben oder – richtiger – verkaufen wollen. Und hier beginnen die Probleme. Handelt es sich im vorliegenden Zusammenhang bei „hochkonzentriert“ schon um eine dusselige Formulierung, entzündet sich der Ärger des Rezensenten vor allem an „hoch inspirierend“. Warum nicht „sehr inspirierend“? Oder einfach nur „inspirierend“? Wäre es nicht genug, wenn ein Buch wirklich „inspirierend“ wäre? Was soll dieser Quatsch?
Das Dilemma des Rezensenten
Die Bereitschaft des Rezensenten, dem Buch unvoreingenommen zu begegnen, hat rapide abgenommen, und der Autor und sein Versuch über den Roman als Erkenntnisinstrument können eigentlich nur verlieren. Zwar besteht die minimale Chance, dass Händlers Buch das einlöst, was der Verlag angekündigt hat (ist aber unwahrscheinlich, und zwar auch weil der Rezensent, also meine Wenigkeit, nicht mehr will). Verärgert ob der oben präsentierten Sprachwurst, die der Verlag aus Werbegründen ins Buch gelegt hat, wird man mir meine Voreingenommenheit nicht mehr vorwerfen können. Ist das nicht ungerecht?, fragt eine besorgte Leserin. Worauf Sie einen lassen können!, lautet meine Antwort. Es ist demnach angeraten, diesen Umstand zu berücksichtigen. Bei Händlers Versuch handelt es sich um einen dezidiert nicht-akademischen, literaturtheoretischen Essay, mithin den uncoolen Onkel innerhalb der literarischen Verwandtschaft. Und so redet der kluge, aber uncoole Onkel daher: „Es ist naheliegend, für den Roman mit einem Begriff der Redundanz zweiter Ordnung zu arbeiten. Man fasst Einheiten nach Ähnlichkeitsgesichtspunkten zu Clustern zusammen und untersucht die Beziehungen zwischen diesen übergeordneten Einheiten.“ Ich bin durchaus ein Fan von einer Betrachtungsweise, die Literatur nicht allzu emphatisch versteht, und die Diskussion durch eine einigermaßen technische Sprache runterkühlt. Das Problem an Händlers Text ist allerdings, dass er fürchterlich langweilig ist. Nur der Herrgott weiß, wie sehr ich mich gelangweilt habe.
Luhmann light
Das zweite große Problem von Händlers Text ist, dass der Autor nichts Interessantes über den Roman zu sagen weiß. Kommt Händler mal auf die Aufgabe des Romans zu sprechen, erhält der Leser Weisheiten wie diese: „Ein Roman enthält keine Beweise. Die Romane der Weltliteratur haben jedoch häufig eine Erklärungsfunktion. […] Romane machen Zustände und Ereignisse zugänglich, durchsichtig und begreifbar.“ Oder: „Romane verfeinern die Fremdbeobachtung und die Selbstbeobachtung. Wer Romane liest, wird in die Lage versetzt, fremde und eigene Gefühle besser zu separieren, zu analysieren und zu sortieren.“ Und da wir jetzt schon mal in dem Kurs „Luhmann für Leichtgewichte“ Platz genommen haben, abschließend noch folgende vage Erkenntnis: „Kunst konzentriert und präzisiert Unsicherheit und Unbehagen am Rand von Fragen und Antworten, sie stellt Fragen dort, wo es noch keine Fragen gibt.“ Das Problem daran ist nicht, dass das falsch wäre, sondern dass es so vage und allgemein formuliert ist, wodurch der Erkenntniswert gegen Null tendiert. Was Luhmann in seiner soziologischen Theorie klug und präzise, mithin besser, formuliert hat, wird bei Händler noch einmal vorgeführt, mit dem Unterschied, dass es sich dabei um keine überraschenden oder interessanten Einsichten mehr handelt. Händler benutzt derart konturlose Begriffe und Konzepte wie „Mensch“, „Gefühle“, „Handlungsmöglichkeiten“, „Roboter“ oder eben „der Roman“, dass seine Erläuterungen irgendwie immer richtig sind und daher belanglos. Für einen Schriftsteller fehlt ihm, und das ist bedauerlich, eine eigene Sprache, um das poetologische Projekt, den Roman als Erkenntnisinstrument zu begreifen, angemessen durchführen zu können. Das macht sein Buch letzten Endes überflüssig.
Schade. Ich frage mich allerdings, warum Händler so etwas überhaupt tut (also schreibt).
Nicht zum ersten Mal freue ich mich auf dieser Seite sehr über eine Rezension, die auf so redliche wie kurzweilige Weise Auskunft nicht nur über Kriterien gibt, sondern auch über die notwendig subjektiven Erfahrungs- und Erwartungshorizonte! War mir ein Vergnügen!
Jetzt bin ich hochmotiviert, dieses Buch nicht zu lesen. Höchsten Dank dafür.
der ton der rezension ist schon etwas arrogant. allerdings finde ich es schön einen klappentext beim wort zu nehmen und das buch von dort aus zu besprechen. 😉
Das der arme Herr Fischer auch noch den Herrgott anrufen muß, um vor seinem verdienten Schlummer bewahrt zu werden … so weit muß es erst einmal kommen …