Die dunkle Seite des sozialen Zirkus

Dave Eggers - Der Circle   Cover: KiWiIm kreativen Zentrum der Welt zu arbeiten, klingt wie ein Traum. Für Mae wird er Realität, denn sie hat einen der begehrten Jobs im „Circle“ ergattert und findet Stück für Stück heraus, dass die Wirklichkeit noch viel besser ist, als sie es sich vorgestellt hat. Sie fügt sich beinahe nahtlos in eine Welt, die geradezu hypersozial ist. Sie zingt, smilet und kommentiert was das Zeug hält, bis sie schließlich das ultimative Ziel erreicht: Transparenz. Alles ist so schön – das Grauen im Schatten der Schönheit dieser Community kann also nicht weit sein.

von SOLVEJG NITZKE

Mae Holland hatte es schlecht getroffen. Mit einem Berg Schulden war sie nach dem College gezwungen, den ersten Job anzunehmen, der sich ihr bot. Die Arbeit bei den Strom- und Gaswerken ihrer Heimatstadt ist in jeder Hinsicht grauenhaft. Nicht nur ist sie unterfordert, ihr Chef weiß weder ihr Potential zu schätzen, noch gibt es Möglichkeiten sich fortzuentwickeln – zu allem Überfluss muss sie auch noch den ganzen Tag auf eine Jutewand starren. Nach zwei Jahren ringt sie sich endlich dazu durch, ihre Freundin Annie um Hilfe zu bitten. Annie arbeitet beim „Circle“. Der Circle ist weniger eine Firma, als das Versprechen einer wahrlich schönen neuen Welt. Hier arbeitet keine seelenlose Truppe frustrierter Angestellter, die nirgendwo mehr hinwollen – der Circle ist eine „Community“. In diesem Hybrid aus sämtlichen Mythen des Silicon Valley beginnt für Mae ein völlig neues Leben.

Community first“

Dave Eggers‘ Roman Der Circle inszeniert gekonnt die überwältigende Attraktivität eines Unternehmens, das einem Familie und Freundeskreis zugleich ist. Arbeit ist nur ein kleines Glied in einer Kette von gemeinschaftlichen Aktivitäten, Festen, stimulierenden Vorträgen und immer neuen Eindrücken. Im Kontrast zur grauen Welt „da draußen“ muss der „Campus“ wie das Paradies wirken. Hier gibt es sogar Haustiertagesstätten, die eigenen Eltern werden krankenversichert – ein Umstand, der in den USA, wo es keine Pflichtversicherung gibt, von deutlich größerer Bedeutung ist. Mae kann ihr Glück nicht fassen und bemüht sich nach Kräften, ein würdiger Teil dieser Gemeinschaft zu werden. Warum sollte sie auch nicht? Schließlich ist alles freiwillig. Freiwillig kann sie eine Quote von 98 Prozent durchschnittlicher Zufriedenheit erreichen, freiwillig kann sie sich bei den tausenden Campusaktivitäten blicken lassen und auch ganz freiwillig Mitglied ebenso vieler Clubs und Gruppen werden. Klingt viel? Ist es auch. Schon in ihrer ersten Woche verletzt sie einen Kollegen zutiefst, weil sie nicht auf seine Einladung reagiert hat. Sie verpasst Parties und ihr Partizipations-Ranking bleibt erschreckend niedrig. Es muss etwas passieren.

Dystopieerwartung

Wenn Mae zum zwanzigsten Mal erfährt, wie sehr sie alle mögen und wie sehr sich alle freuen, dass sie da ist, oder spätestens, wenn das Wort Gemeinschaft zum hundertsten Mal fällt, wird man beim Lesen des Romans misstrauisch. Wie steht es mit dem freien Willen in einer Gemeinschaft, in der alle gleich „furchtbar verletzt“ sind, wenn man nicht jeden Schritt dokumentiert und jeden Schritt, den jemand anderes tut, kommentiert? So schön kann eine solche Welt doch gar nicht sein – schließlich ist nichts umsonst.

Alles an diesem Roman (Cover inklusive) schreit Dystopie und doch muss man sich seine Horrorvision selbst bauen. Zwar gibt es einige Figuren, die versuchen Maes Eindringen und Aufsteigen im Circle zu bremsen, weil es ihnen Angst macht, wie sehr sie sich verändert. Aber für Zweifel ist im Grunde keine Zeit. Zu einleuchtend und einladend ist das Konzept der Gemeinschaft, um es abzuschlagen, zu vielversprechend klingen ihre Ideen. Der Circle, das ist nicht schwer zu erkennen, hat die Struktur einer Sekte. Die Versprechen stehen impliziten Zwängen gegenüber, die so effektiv sind, dass sie nach und nach ein ganzes Leben absorbieren, ohne dass dabei ein Gefühl von Verlust entstünde.

Es fiel ihr ohnehin immer schwerer, außerhalb vom Campus zu sein. Da gab es Obdachlose, und da gab es die damit verbundenen üblen Gerüche, und da gab es Geräte, die nicht funktionierten, und Böden und Sitze die nicht gereinigt worden waren, und da gab es, überall, die Anarchie einer ungeordneten Welt.“

Die Verheißung vollkommener Verbundenheit, grenzenloser Kommunikation und geheimnisloser Verfügbarkeit von Informationen – „die Vollendung des Circle“ – erscheint von innen so schön, dass nicht sichtbar wird, dass seine Mitglieder in diesem Kreis eingeschlossen werden.

Zwischen Pageturner und Pamphlet

Man kann dem Roman durchaus vorwerfen, was auch das Problem vieler anderer Ideenromane ist: Ein einem bestimmten Konzept untergeordneter Plot und seine Figuren bleiben unter der Last der Idee oft seltsam flach. Trotzdem gelingt es Eggers, obwohl seine Vision keineswegs neu ist, verschiedene Konzepte und Totalitarismusängste so effektiv zu bündeln, dass dabei ein spannender Roman herauskommt. Man muss sich nicht mit Mae identifizieren können, um zu erkennen, unter welchem Druck sie steht. Es geht dabei nicht nur um finanziellen Erfolg, sondern vielmehr um eine Art Glücksimperativ. Ein Job darf nicht nur die Miete zahlen, er muss einen auslasten, man muss kreativ sein können, sein ganzes Potential ausschöpfen und doch nicht darin verschwinden. Die geregelte Identität eines sozialen Netzwerks, wie es der Circle ist, nimmt einem so viel dieses Drucks. Wo alle Fragen mit „Smile, Frown oder Egal“ zu beantworten sind, ist Orientierungslosigkeit undenkbar. Der Circle erlaubt eine Lesart, die diese traditionell dystopisch verstandene Aufhebung von Individualität in einem anderen Licht sieht.

Die besten Momente des Romans sind die, in denen es möglich wird, sich zu fragen, ob diese (sehr nahe) Zukunftsvision nicht auch etwas Wünschenswertes hat. Eggers gelingt es erstaunlich überzeugend, das Verführerische einer vollkommen transparenten Gesellschaft zu inszenieren. Leider ist diese Perspektive nicht immer konsequent durchgehalten, sodass teilweise der Eindruck entsteht, man befinde sich mitten in einer Debatte, die die meisten wahrscheinlich schon tausend Mal gehört haben.

Einer der Gründe, warum Der Circle dennoch so unglaublich eingängig ist, ist die Übersetzung von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann. Sie treffen die irgendwo zwischen deutsch und englisch umherwabernde Sprache der sozialen Netzwerke so gut, dass es ein Vergnügen ist. Das Gefühl, dass diese Utopie/Dystopie einem bekannt vorkommt und nicht zuletzt deswegen ganz nah zu sein scheint, haben sie wunderbar eingefangen und schon allein deswegen lohnt es sich, das Buch einmal anzulesen.

Dave Eggers: Der Circle
Kiepenheuer & Witsch
Preis: 22,99
ISBN: 978-3462046755

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