Mit Die Unvernünftigen sterben aus beschließt das Schauspielhaus Bochum sein erstes Premierenwochenende. Aus dem 1973 als politisches Drama gedachten Stück Peter Handkes macht Regisseur Alexander Riemenschneider nun ein poetisches Psychogramm des Unternehmers Hermann Quitt. Schließlich ist die wirtschaftliche Komponente im 21. Jahrhundert aktueller denn je, wurde aber nicht in die Gegenwart transportiert – ein sehenswerter Abend ist es dennoch.
von ANNIKA MEYER
Der Bühnenraum (Bühnenbild: David Hohmann) ist karg und kalt; eine weiße Sitzgarnitur, eine fast schon stilvoll wirkende nackte Glühbirne, wenige bunte Vasen und eine Zimmerpflanze sind die einzigen Gegenstände im Wohnzimmer Quitts (Matthias Redlhammer). Gleich drei Mal wird dieser Raum dank Drehbühne bespielt – Quitt und seine Mitspieler drehen sich im Kreis, es gibt kein Entkommen aus dem kapitalistischen System. Trotz seines beruflichen Erfolgs hadert Quitt mit seiner Bedeutungslosigkeit in einer Welt, die geprägt ist von Produkt und Nachfrage, Konsumenten und Konkurrenten. Zusammen mit seinen Unternehmer-Freunden und -kollegen Harald von Wullnow (Bernd Rademacher), Karl-Heinz Lutz (Nils Kreutinger), Berthold Koerber-Kent (Marco Massafra) und Paula Tax (Kristina Peters) beschließt er, ein Kartell zu gründen, um dank gemeinsamer Absprachen und Versprechen den Markt zu regulieren und zu kontrollieren. Nur, um dann die Vereinbarungen zu brechen und seine Partner systematisch zu ruinieren. Damit er sich wieder fühlen kann, als habe sein Leben einen Sinn. Gegenspieler hat er dabei kaum: Kleinaktionär Frank Kilb (Daniel Stock), der von jedem Unternehmen eine Aktie besitzt, um Hauptversammlungen zu unterlaufen, zeigt sich anfangs noch Parolen schwingend, verkommt dann immer mehr zum nicht beachteten Geist im Raum, versagt bei einem Anschlag auf Quitt und wird letztendlich von diesem fast friedvoll erdrückt. Und Quitts Vertrauter und Butler Hans (Roland Riebeling) sagt zwar sich los, erfreut sich dann aber lediglich daran, vom Frack befreit mal ein Filet für sich selbst zubereiten zu können.
Haften geblieben in den 1970ern
Was sagt uns das alles? In den 1970ern, als mit der BRD und der DDR noch zwei grundverschiedene Wirtschaftssysteme Tür an Tür existierten, muss das Gesellschaftsportrait dieses Unternehmertums brandaktuell gewirkt haben. Man konnte anhand des Schicksals Quitts verfolgen, wie der Kapitalismus den Menschen (moralisch) zerstört – egal, ob dieser Erfolg hat oder nicht. Heute ist der Kapitalismus für die meisten eine bequeme Sache – schließlich ist sich jeder selbst der nächste –, doch Verhandlungen werden nicht mehr im kleinen Kreis, Nüsschen futternd im Wohnzimmer des Konkurrenten, ausgetragen. Auch die Kostüme (Lili Wanner) zeigen, dass die Handlung in den 1970ern haften geblieben ist: Die Herren schmücken sich in schicken Anzügen – Quitt mit beige-altrosa Strickjacke wirkt fast bieder –, Paula Tax und Quitts Frau (Judith van der Werff) in knalligen Kostümen. Nur die vergleichsweise legere Kleidung Kilbs ist eine Spur moderner, wie auch seine politischen Einstellungen. Doch heutige Konsumkritik oder die naheliegende Beobachtung der Globalisierung: Fehlanzeige.
Viele Worte, geringes Handeln
Die fehlende Kontextualisierung und den zu kleinen Rahmen kann man vermissen, muss man aber nicht. Alexander Riemenschneider und Dramaturgin Sabine Reich lassen stattdessen Handkes Sprachgewalt den Abend beherrschen: Die Schauspieler, allen voran Redlhammer, monologisieren und schwadronieren über Ethik, Machtgefüge, Werbung, das Leben und den Tod. Manch einem mag das zu viel sein, es wird mehr gesprochen als gehandelt, doch besonders Redlhammer, Riebeling und Rademacher stellen darin das Absurde und Tragikomische sowie den trockenen Humor des Dramas heraus und entlocken dem Publikum manchen Lacher, der zum Teil auch im Halse stecken bleibt. Die Drehbühne erweist sich als komisches und cleveres Motiv zugleich – der dreifach gleiche Raum wird spielerisch eingebunden. Als Quitt seine Mitspieler vernichtet, verweilt er in einem Bühnensegment, während das Drehen der Bühne und der Verlauf der Zeit von einem Kamerabild nachgezeichnet werden. Im Moment der Vernichtung kann Quitt sein Hamsterrad zum Stehen bringen und findet für kurze Zeit Ruhe. Letztendlich hätte die Inszenierung weniger Ruhe und mehr Zeitkritik vertragen können – Handkes Sprache, ein paar schöne Regie-Einfälle und ein gut aufgelegtes Ensemble stimmen trotzdem versöhnlich.