Arbeit und Struktur

HB Seethaler_978-3-446-24645-4_MR.inddGanz unaufgeregt erzählt Robert Seethaler in Ein ganzes Leben die Geschichte des Hilfsarbeiters Andreas Egger: Von Kindheit, Arbeit, Liebe und schlussendlich dem Tod. Eine Miniaturensammlung wie der Starschnitt eines christlichen Katechismus. Zwischen Ermüdung und Rührung.

von NADINE HEMGESBERG

Man kann es sich alles nicht mehr so recht vorstellen als Digital Native und von Medien und stroboskopartigen Kommunikationsflüssen dauerbespielter Mensch: das einfache Leben in einem Bergdorf zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Die Sonne geht auf, man arbeitet sich den Buckel krumm. Die Sonne geht unter und der gerechte Schlaf ereilt einen, noch ehe man nur annähernd 20 Schafe gezählt hat. Harte körperliche Arbeit 18 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche, 365 Tage im Jahr, fast ein Leben lang. Egger ist genügsam glücklich und der einzige Luxus in all den Jahren: ein Stück Kuchen.

Andreas Egger, könnte man meinen, ist eine Figur der Entbehrungen. Damit täte man ihm, dem Hilfsarbeiter, der Löcher in den Berg hackt, auf Seilbahnen kraxelt und so viele Bäume in seinem Leben geschlagen hat, dass ein ganzes Dorf damit Monate oder gar Jahre auskäme, jedoch großes Unrecht. Es ist schlichtweg aus der heutigen Perspektive fast unverständlich, wie man sich mit einem solchen Leben arrangieren, ja zufrieden sein und ein Glück darin sehen kann. Dass man Egger dennoch empathisch auf seinem Weg, sein ganzes Leben, begleitet, ist Robert Seethalers unaufgeregtem und klarem Erzählstil geschuldet. Schnörkellos und ganz unprätentiös – wie auch sein Protagonist –, findet er die richtigen Worte und passenden Metaphern für das Leben eines Mannes, der nur für den Krieg das Dorf verließ, seine Frau Marie verlor und auch im Angesicht der fortschreitenden Modernisierung und der durch den Skitourismus veränderten Landschaft seiner Heimat treu blieb.

Wenn sich der Schnee legt

Nicht nur regnet es in der Literatur gefühlt dreimal so viel und fünfmal so intensiv wie in der Wirklichkeit; nein, auch der Schnee muss immer wieder herhalten, um jahreszeitliche Wetterumschwünge, Stimmungen von Figuren, böse Vorahnungen und mysteriöse Vorgänge zu untermalen und heraufzubeschwören. Denn: Schnee ist nicht immer nur Schnee. Der Schnee legt sich geräuschlos über die Landschaft wie ein Schweigen, der Schnee ist eine hervorragende Metapher. Auch Robert Seethaler bedient sich hier am reichen Fundus der Literaturgeschichte und das in bester Tradition. Doch weder plumper noch öder Natur ist sein Bedienen, vielmehr zeigt sich der Österreicher hier als ein erzählender Minimalist in Stifter-Mimikry:

„Seit einigen Tagen aber war es wieder eiskalt und der Schnee fiel so unaufhörlich und dicht vom Himmel, dass er die Landschaft mit seiner weichen Allgegenwärtigkeit zu schlucken und alles Leben und jedes Geräusch zu ersticken schien. […] ‚Der Tod gebiert gar nichts. Der Tod ist die Kalte Frau.‘ […] Vor ihm wurde die dürre Gestalt schnell kleiner, bis sie sich schließlich endgültig aufgelöst hatte im undurchdringlichen Wald des Schneegestöbers.“

Man denke nur an die wunderbaren „Schneetexte“ von Adalbert Stifter, wie die Erzählung Bergkristall oder der autobiografische Text Aus dem bairischen Walde.

Ermüdung und Rührung

Man ist geschafft nach den nur 155 Seiten des Romans: Ermüdung und – ja, ich wage es kaum zu schreiben – Rührung ereilen einen gegen Ende, Eggers Ende. Ein ganzes Leben, ein wunderbarer Roman.

 

Robert Seethaler: Ein ganzes Leben
Hanser Berlin, 155 Seiten
Preis: 17,90 Euro
ISBN: 978344624645

 

3 Gedanken zu „Arbeit und Struktur

  1. Danke, hatte es erwogen nachdem ich den “Trafikant” gelesen habe, jedoch erweckte die angekündigte Geschichte bislang nicht meine Neugier. “Der Trafikant” ist auf jeden Fall ein Buch, dass ich gerne empfehle.

  2. Pingback: Ernten, was man sät | literaturundfeuilleton

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