Die bereits mehrfach ausgezeichnete Schweizerin Simone Lappert gibt mit Wurfschatten ihr Romandebüt. Die Story klingt dabei in ihrer Quintessenz fast banal: Frau verliebt sich in Mann und am Ende ist nicht alles gut. Dass es sich bei Wurfschatten dennoch um einen alles andere als misslungenen Erstling handelt, liegt nicht immer auf der Hand.
von NADINE HEMGESBERG
Angst. Nein, nicht nur singulär und abstrakt, sondern gleich im Plural: Ängste, fein säuberlich alphabetisiert und bildlich festgehalten mit Ausdrucken und Schlimmes erahnen lassenden Röntgenbildern – dunkle Auslassungen, die den Tod verheißen, Schatten des Siechtums auf den Aufnahmen – an einer Wand. Ada hat die Ängste und Krankheiten eingesperrt in einem separaten Zimmer in ihrer Wohnung. Schauspielerin ist sie von Beruf, eine die noch etwas aus sich machen will. Wenn sie nicht manchmal so gelähmt wäre, wenn sie doch könnte, wie sie wollte. Eine Frau, die sich manchmal selbst eine Existenzerschwernis ist. Ein Hypochonder ist sie, der Angst hat, trotz all ihrer Jugend an einem Herzinfarkt sterben zu können. Immer wieder vergewissert sie sich, dass ihr Herz noch kräftig schlägt, mit dem Stethoskop horcht sie in ihren Körper hinein, als könne dieser antworten und sie im Zwiegespräch beruhigen: „Nein Ada, das bist nur du, kein Fremdkörper, keine Krankheit, die dich befallen hat und auch der Tod lauert dir nicht auf, nur du, ganz allein du. Lass gut sein, Kind.“ Man muss es erst mal aushalten können, dieses Ich. Mal ist sie wie ein gehetztes Tier, mal in der Taucherglocke, in der ihr Kopf schwimmt, gefangen, mal ist ihr Kopf wie ein gefährlicher Garten mit Wildwuchs, niemals normal: Mit ihrem Blick kratzt sie den Kachelboden rau.
Schattenspiel und Doppelgängerei: ein Ich
Simone Lappert gelingt es, mit wunderbar verspielten Sprachbildern all den Horror in Adas Welt einzufangen. Das ist perfekt durchkomponiert, Lappert beherrscht zweifelsfrei ihr Handwerk. Die Geschichte der leicht psychotischen und am Leben krankenden Schauspielerin und dem kurzerhand vom Vermieter Matuschek aus Geldnöten in die Wohnung gepflanzten Enkel Juri mag oberflächlich betrachtet eine allzu banale Wohlstandsprosa sein, die Dana Buchzik in ihrer Besprechung in der Süddeutschen Zeitung auch zu Recht bemängelt. Dennoch erscheint ein zweiter Blick auf diese depressiv-hypochondrische Figur äußerst lohnenswert. Denn, wenn auch nicht neu oder innovativ, hier werden Schattenmotive und das Motiv des Doppelgängers verhandelt, das die Grundproblematik von Ada und der manches Mal ins Leere laufenden Introspektive, dem Versuch, ihrer Identität auf die Spur zu kommen, ebensogut kleidet wie jede einzelne eingebildete Krankheit.
„Die blasse Februarsonne spielte den Passanten auf dem Gehsteig ihre Schatten zu, synchron und maßstabgerecht, jedem sein Quäntchen Schablonenschwarz. Alles, wie es sich gehörte, zumindest draußen, selbst die fetten Tauben schleppten ihre kleinen Schatten durch den Rinnstein, in dem der letzte Schnee versickerte.“
Ada ist anders oder will anders sein, passt nicht in die Schablonen, der Schnee legt alles frei, was noch verborgen lag. Nein, alles nicht neu, aber auf eine kurzweilige Art und Weise sympathisch. Auch kitschig zuweilen: Natürlich bekommt sie ihren Juri. Und nein, das ist kein Spoiler, wer das nicht nach 20 Seiten gemerkt hat, ist auch immun gegen geschwungene Baseballschläger. Innerhalb der Erzählung ist diese Anlage jedoch konsistent und mit der sich selbst im Theater verortenden und gleichzeitig verdoppelnden Ada in Einklang zu bringen.
„Ich war plötzlich Teil einer Geschichte, hatte eine Geschichte. Auf der Bühne habe ich aufgehört, mich nur um meine eigene Leere zu drehen. An einem Theater, egal wie klein es sein mag, gibt es immer genug Leute, die die Illusion aufrechterhalten, dass das, was man tut, von Bedeutung ist.“
Ihr Debüt ist Simone Lappert also durchaus gelungen. Mit einer nicht ganz bruchlosen, aber in sich konsistenten weiblichen Figur betritt sie das literarische Romanparkett. Der Vergleich mit anderen in diesem Herbst erschienen Romanen lohnt sich: Reiht sich Simone Lappert doch in eine ganze Gruppe von Debütantinnen ein, die in ihren Romanen überaus interessante Frauenfiguren herausgearbeitet haben – wie zum Beispiel Kerstin Preiwuß, deren Romanauszug Restwärme ganz gewiss zu Unrecht eine solche Watsche beim diesjährigen Bachmann-Wettlesen erhalten hat, und Nadine Kegeles Bei Schlechtwetter bleiben Eidechsen zu Hause.
Simone Lappert: Wurfschatten
Metrolit, 205 Seiten
Preis: 20 Euro
ISBN: 978-3-8493-0095-1