…und habe viel dabei gelacht. Jedoch bekam man es auch mit der Angst zu tun, als das Schauspielhaus Bochum am Samstag, den 25. Oktober die Premiere Gespenster des Kapitals nach Honoré de Balzac in den Kammerspielen präsentierte. Laut, ernst, satirisch erschafft der Regisseur Hermann Schmidt-Rahmer mit seiner Inszenierung einen Genremix, der zum Lachen und Denken anregt. Eine Welt, in der das Ende des Kapitalismus das glückselige und kitschige, nicht das apokalyptische Ende bedeutet.
von SILVANA MAMMONE
Wie erklärt man Menschen die Gefahren heutiger Finanzmärkte, ohne dass diese einschlafen oder unwillkürlich ihr morgiges Mittagessen planen? Die darstellerischen Möglichkeiten, mit denen Schmidt-Rahmer dieses Problem auslotet, übersteigen jegliche Vorstellungskraft: Man nehme ein Horrorszenario à la Bram Stokers Dracula, setze die Adams Family hinein, erkläre Sachverhalte wie der Sprecher aus Die Sendung mit der Maus und gebe dem Ganzen eine Prise des Absurden und Satirischen. Voilà! Damit wäre aber immer noch nur ein Bruchteil der Inszenierung der Gespenster des Kapitals umschrieben.
Ja aber wie geht die Geschichte weiter…?!
Die Handlung vollzieht sich zunächst, der Stückvorlage folgend, nach dem wohlbekannten Muster. Monsieur Mercadet (Jürgen Hartmann), ein bankrotter und zudem hoch verschuldeter Geschäftsmann, will seine Tochter Julie (Xenia Snagowski) mit dem scheinbar wohlhabenden Maddofin (Nicola Mastroberardino) verheiraten, um daraus eine satte Mitgift zu schlagen. Unglücklicherweise stellt sich heraus, dass Maddofin eigentlich De la Brive heißt und ein international bekannter Halsabschneider ist. In diese Handlung mischt sich bereits zu Beginn des Stückes eine Reflexion über die Verfahren und Ansichten gegenwärtiger Marktführung, ebenfalls verkörpert durch den eingefleischten Finanzjongleur Mercadet. Dieser sieht seine Schulden standhaft als Kredite an, denn das heutzutage auf dem Markt zirkulierende Geld sei ja eh bloß noch virtuell. Eine Vase hat keinen direkten Wert mehr, er bildet sich ausschließlich aus der Summe der Kredite, die aufgenommen wurden, um jene zu produzieren landet nur als Preis auf dem Etikett. Aber wer behält denn über diese wirre und erzwungene Kapitalzirkulation noch den Überblick? Einige Schaubilder sollen zumindest dem Publikum helfen, wenn schon Politiker und Wirtschaftsbosse keine Ahnung haben. Regelmäßig leuchten an der hinteren Bühnenwand, eingefasst in altmodische Gemälderahmen, die gerade fälligen Lektionen zum Finanzgeschehen oder wichtige Zitate und Schlagwörter auf.
Falls doch jemand einschläft…
…gibt es erst einmal eine kleine Rechenaufgabe für das Publikum. Zwischen überzogenen Charakteren und einem eskalierenden Cashflow wird es in der ersten Hälfte des Stückes durchaus laut und anstrengend. Jedoch bildet die Inszenierung eine gelungene Dynamik, getragen unter anderem von einem kleinen Mathematikquiz etwa auf der Hälfte des Stückes, außerdem einer der lustigsten Momente. Maddofin, der eigentlich De la Brive ist, aber auch noch Verdelin spielt, tritt auf und erklärt dem Publikum in aller Ausführlichkeit seine verworrene Rollenzuweisung. So gesehen tritt also der Schauspieler Nicola Mastroberardino, in Rolle, auf. Nachdem das geklärt wurde, kann dann ja die Lektion zum Unterschied zwischen Linear- und Exponentialwachstum folgen. Quäkig und mit Schweizer Dialekt werden dem Publikum die Grenzen des menschlichen Vorstellungsvermögens nahegelegt. Denn das Ausmaß exponentiellen Wachstums ist unmöglich vorausschauend zu erfassen. Ändert trotzdem nichts an der Tatsache, dass letzteres ein Hauptbestandteil wirtschaftlichen Denkens und Handelns ist. Beruhigend, berücksichtigt man die Grenzen des eigenen Rechenvermögens, die gelungen von Mastroberardino zur Schau gestellt werden.
Wie herausragend die Gradwanderung zwischen Dokumentation, Ulk und tatsächlichem Ernst der Lage in der Inszenierung gelingt, zeigt sich besonders in der Darstellung des Zusammenbruchs des amerikanischen Finanz- bzw. Immobilienmarktes im Jahr 2008. An die Stelle der Stückvorlage tritt in der zweiten Hälfte das Gesprächsprotokoll der Krisensitzung um die damals bevorstehende Insolvenz der Lehman Brothers, an der sowohl der Präsident der Vereinigten Staaten als auch die führenden Finanzminister und Wirtschaftsbosse teilnahmen. Die Szene verkörpert das schiere Ausmaß der Katastrophe sowie die an Lächerlichkeit grenzende Hilflosigkeit der beteiligten Politiker und Wirtschaftler. Und dann „schwappt die Scheiße nach Europa“. Das Stück folgt diesem Verlauf der damals aufkommenden Finanzkrise und den damit verbundenen, wenig gelungenen Versuchen, diese in Schach zu halten. Auch „der Markt“ (Raiko Küster) tritt auf, gehörnt und hochgradig nervös. Aber man darf ihm nicht helfen. Marktregulierung, so etwas tut man einfach nicht im neoliberalen 21. Jahrhundert. Dann werden lieber ein paar Stellen gekürzt.
Wer schläft?
Während der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble angestrengt versucht, sich nicht zu verplappern, schlafen die Bürger und ermöglichen damit, so Kritik des Stückes, die Weiterführung eines paradoxen Wirtschaftssystems, das sich schlussendlich selbst zerstört. Ohne krampfhaft eine Lösung des Problems zu konstruieren, informiert und kritisiert Gespenster des Kapitals und wird somit der Komplexität der Thematik gerecht. Mit einer gehörigen Portion Ironie feiern die Darsteller das Ende des Kapitalismus, den Sieg der Liebe und des Vertrauens. Aber ist das wirklich das Ende? Haben wir nicht alle Schulden beim Kapitalismus? Mit dieser Fragestellung, ausgedrückt in Form einer dramatisch anmutenden Drohung (und den Gedanken an das morgige Mittagessen in Nichts aufgelöst), entlassen die Gespenster des Kapitals das Publikum – angeregt, Lachtränen in den Augen und mit einer spürbaren Skepsis in Hinblick auf die nächste Kreditberatung.