Was tun, wenn die Welt allzu langweilig ist und einem der Sinn so ganz und gar flöten geht? Hedda spielt mit Menschen und Pistolen. Karin Neuhäuser inszeniert am Schauspiel Köln mit Henrik Ibsens Hedda Gabler ein flaches und spannungsloses Bühnenstück. Das Ensemble müht sich redlich, kann aber nicht recht überzeugen, obwohl Ibsens Stoff taugt, um daraus ein ganz und gar gegenwärtiges und differenziertes Drama zu spinnen.
von NADINE HEMGESBERG
„Stand by your man“ schallt es aus dem Radio, die Wände sind ausstaffiert mit mintfarbenem, dickem Polster, der Teppich ist akkurat gesaugt, kein Krümelchen hat sich verirrt. Im Prachtanwesen der Tesmans kann man die Leibspeise auch vom Boden lecken – alles ist piekfein im Swinging-60s-Style einer dekadenten Nachkriegsgeneration. Penibel aufgereiht und noch eingeschweißt liegt das Blumenmeer an Glückwünschen da, ein roter Herzluftballon erhebt sich unschuldig in die Lüfte (Bühne: Heidi Fischer) – das „glückliche“ Paar ist gerade von der mehrmonatigen Hochzeitsreise heimgekehrt. Tante Juju (Bettina Muckenhaupt) und der Amtsgerichtsrat Brack (Niklas Kohrt) haben sich liebevoll um die Immobilie und das Interieur gekümmert, nichts ist gut genug für Jörgen Tesman (Guido Lamprecht) und die schöne Hedda (Yvon Jansen), General Gablers Tochter. Tesman wird hoffentlich einen Ruf als Professor bekommen, wenn nicht der aus den Ruinen seiner akademischen Karriere auferstandene Rivale Eilert „Loveburg“ Lövborg (Nikolaus Benda) dem lieben Jörgen einen Strich durch die Rechnung macht. Und Hedda? Ist sie nicht in anderen Umständen? Es könnte also wahrlich ein Idyll sein, eine vor Kitsch triefende Liebesgeschichte oder nur allzu vorhersehbare Telenovela, die hier gegeben wird. Aber nein, im spießbürgerlichen Hause Tesman herrscht die Langeweile. Und im Zentrum dieser allgegenwärtigen Langeweile steht: Hedda.
Hedda: die zahnlose Vampirin
Die Schwierigkeit besteht gewiss, dieser absolut gelangweilten und vom Alltag angewiderten Hedda Gabler die nötige psychologische Tiefe zu verleihen, ihr etwas Indiffenteres, trotzdem Herrisches, Verzweiflung, Leidenschaft und eine unbändige Verführungskraft einzuflößen, um die Figur in ihrer Gänze erfassen zu können. Yvon Jansen versucht zwar sichtbar, die Nuancen der Hedda herauszuarbeiten, ihr Spiel ist manchmal kindlich naiver Narziss, der babybrüllend und quäkend Lövborgs neues Manuskript verbrennt, und manchmal sadistische Hausherrin, der das Dienstmädchen Berte (Hilke Kluth) nie zur Genüge dienen können wird. Überzeugen kann Jansen jedoch nicht, allzu unmotiviert verfällt sie in hysterisches Gelächter oder in einen nachplappernd verhöhnenden Ton und auch der Aspekt einer Femme Fatale, der alle (wenn auch widerwillig) zu Füßen liegen, wird trotz vielerlei Möglichkeiten verspielt. Warum nur steckt sie Neuhäuser plötzlich in ein Pilotenkostüm? Lässt sie mit Vampirzähnen blecken, wenn ihre Interpretation der Hedda doch allzu zahnlos und blutleer ist? Da wollen auch das Negligee und die Strapse nichts dran ändern, mit denen sie dem jovialen (und viel zu jünglingshaften) Brack und Lövborg schöne Beine, pardon, Augen macht.
Groteske und Verführung
Oft ist Ibsens Hedda Gabler in den vergangenen Jahren auf die Bühnen gebracht worden, in der vergangenen Spielzeit ebenfalls von Roger Vontobel am Schauspielhaus Bochum. Obwohl auch Vontobels Stück arg in die Kritik geraten ist, so kann man diesem nicht die mangelnde Experimentierfreude vorwerfen, die es in Köln sehr wohl zu bemängeln gibt. Und entgegen vielerlei Kritik ist Jana Schulz als Hedda in dieser Inszenierung bei weitem keine Fehlbesetzung, sondern gerade mit ihrem physischen und androgynen Spiel ein großer Gewinn für die Figur der Hedda. Wenig bedarf es, um die Unbedingtheit und Kompromisslosigkeit dieser Figur auf die Bühne zu bringen, alle in ihren erotischen und psychologisch machtgetriebenen Dunstkreis zu treiben. Vontobel schafft eine Tragödie mit großen Bildern der Groteske und tragischem Witz. Neuhäuser hingegen ist selbst in der Inszenierung der Pointen zu unsicher.
Neuhäuser schafft es tatsächlich, das ganze Stücke ohne jegliche Klimax durchspielen zu lassen. Nicht nur Hedda langweilt sich zu Tode, sondern auch das Publikum hat alle Not, über zwei Stunden bei der Stange zu bleiben. Ganz und gar ohne Esprit und Charisma schleicht wie ein obdachloser Vagabund Lövborg um das Anwesen, und auch die Anziehungskraft zwischen Hedda und ihm aus vergangener Zeit, die Leidenschaft, die einst fast bis zum Tod reichte – Hedda wollte ihm mit einer ihrer Pistolen das Leben nehmen –, mag so gar nicht zünden. Einzig Annika Schilling weiß mit ihrer ambitionierten Thea Elvstedt zu überzeugen. Am Ende ist Lövborg verführt, zum Alkohol und zur neuerlichen Knutscherei, sein neues Manuskript verbrannt und nicht nur er hat seinem Leben ein Ende gemacht, sondern auch Hedda fällt – so richtig mitnehmen will einen das jedoch nicht. Und eigentlich wohnt dieser allgegenwärtigen Langweile etwas Desaströses inne. Das kann man aber wohl in jeder Desperate Housewives Episode mit größerer Spannung beobachten als in Neuhäusers Inszenierung.