Von Eheleuten, Eseln und Primaten

Szenen einer Ehe Premiere in Dortmund: Claudia Bauer inszeniert Szenen einer Ehe nach Ingmar Bergmanns sechsteiliger Serie von 1973. Marianne und Johan führen zu Beginn eine vermeidlich glückliche und harmonische Ehe, welche durch Johans abruptes Geständnis einer Affäre eine Kette von (Re-)Aktionen und Gefühlen auslöst. Schonungslos wird das Publikum mit dutzenden Fragen an das Konzept Ehe konfrontiert und mit diversen Ästhetiken und Techniken überflutet.

von ALINA SAGGERER

Acht DarstellerInnen spielen fast durchgehend die zwei Hauptcharaktere. Sie werden in sechs Szenen zweieinhalb Stunden über die Bühne gejagt – singend, tanzend, kämpfend, leidend. Eine Inszenierung mit starken Bildern und einer Wirkung, der man sich nicht entziehen kann. Ein Sprechchor begrüßt das Publikum im Schauspielhaus Dortmund am Freitagabend: das Ehepaar Marianne und Johan dargestellt von Bettina Lieder, Julia Schubert, Friederike Tiefenbacher, Merle Wasmuth, Frank Genser, Carlos Lobo, Uwe Smieder und Sebastian Kuschmann. Sie stellen sich vor: Sie sind das „ideale Ehepaar“, das keine Probleme hat. Doch schnell wird klar, dass diese Aussage nicht ganz wahr ist.

Erste Szene: Der Vorhang geht auf, auf die Bühne wird ein spießig eingerichtetes Zimmer gerollt (Bühne und Kostüme: Patricia Talacko). Vier der DarstellerInnen befinden sich in diesem Zimmer, Marianne und Johan sowie das befreundete Ehepaar Katarina und Peter. Hautfarbene Masken verdecken die Gesichter, die Bewegungen erinnern an Roboter. Sie wirken wie Puppen im Puppenhaus, die von außen durch die übrigen DarstellerInnen gesteuert werden, indem sie mit Mikrofonen verstärkt das Geschehen durch Sprache und Geräusche mit Inhalt füllen. Häufig flüchten die Figuren in einen zweiten Raum auf der Bühne, der allerdings während der gesamten Inszenierung ausschließlich durch Live-Video (Video-Art: Mario Simon) zu sehen ist. Dort tragen sie keine Masken und es wird offensichtlich, dass auch Katarinas und Peters Beziehung nicht perfekt ist.

Sture Esel

In der zweiten Szene sind Marianne und Johan allein und tragen Tierköpfe, die an Esel erinnern. Johan bügelt, seine Frau sitzt mit zwei länglichen Kissen, die wie Brüste mit Eselsohren aussehen, auf dem Sofa und erzählt mit piepsig verzerrter Stimme, was sie ärgert und worüber sie sich sorgt. Im Hintergrund läuft permanent ein Ton, der der Situation zusätzlich zu dem orangefarbenen Licht etwas sehr Unbehagliches gibt. Marianne spürt bereits, dass Johan ihr etwas zu sagen hat. Doch es vergeht noch einige Zeit bis zu seinem Geständnis, stur wie Esel stecken sie in ihrem Alltagstrott fest und schaffen es nicht auszubrechen. Doch dann reißt Johan erst sich, dann Marianne den Eselskopf herunter und tritt aus dem Zimmer hinaus auf die Bühne. Johan hat sich in die junge Paula verliebt und will mit ihr nach Paris. Mit herzzerreißendem Akkordeonspiel und Gesang singt Marianne (Bettina Lieders) für Johan; der Songtext wird, wie bei den anderen Gesangseinlagen, auf einer kleinen Leinwand oberhalb des Bühnenbilds eingeblendet.

Nach der Pause dominiert zu Beginn ein Live-Video. Das Zimmer ist von den ZuschauerInnen abgewandt, wird aber durch die Video-Übertragung als „Im Tal der Tränen“ betitelt, auf seine eigene Hinterwand projiziert. Julia Schuberts Marianne in pinkfarbenem Minikleid und mit schwarzer Perücke begegnet Johan (Frank Genser) wieder. Ausdruckslos werden sie im Video bei einem provisorischen Candle-Light-Dinner gezeigt. Sie erinnern an Spielfiguren. Die Nahaufnahmen ermöglichen es, Mariannes Innenleben nachvollziehbar zu machen. Nachdem sie Johan erklärt hat, dass sie die Scheidung will, flüchtet Marianne, gefolgt von der Kamera, quer über die Bühne. Doch die Flucht bleibt zwecklos. Sie endet wieder bei Johan am Tisch.

Die Gute-Nacht-Geschichte der Ehe

Für die letzte Szene wird eine weiße Wand heruntergefahren, das Zimmer ist verschwunden. Auftritt Marianne und Johan in Hosenanzügen, ein gemeinsamer Tango und sie verkünden: „Morgen reichen wir die Scheidung ein.“ Tänzerisch und akrobatisch setzen sich die beiden mit ihren Gefühlen auseinander.

Szenen einer EheNach einem Alkoholexzess Johans bildet sich urplötzlich ein nacktes Getümmel: Kämpfe, blutige Körper. Die Bühne wird wieder herein gerollt und mit einer Axt ein Loch in die Hinterwand geschlagen. Das vervielfachte Ehepaar schart sich um das Loch in der Wand, wieder live gefilmt. Sie steigen hindurch und werden zu Primaten. Schlussbild: Das Bühnenbild wird gedreht, sie liegen übereinander in dem Zimmer und lausen sich gegenseitig. Außerhalb des Raumes wird eine „Gute-Nacht-Geschichte“ über die Ehe vorgelesen. Die ruhige Lesestimme begleitet von Naturgeräuschen lässt die Urzeitmenschen langsam einschlafen.

Die Regisseurin schafft es in dieser Inszenierung, ein unendlich komplexes Konstrukt der Ehe nach der Vorlage Bergmanns darzustellen. Auch wenn die verschiedenen Ästhetiken gegen Ende so verdichtet werden, dass es auch leicht überfordern kann, greifen die einzelnen Szenen trotz aller Eigentümlichkeit, Technisierung und Mediatisierung gut ineinander. Diese Bilder werden noch lange in den Köpfen der ZuschauerInnen bleiben.

Nächste Vorstellungen:

Donnerstag, 04. Dezember 2014
Sonntag, 21. Dezember 2014
Freitag, 09. Januar 2015

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