„Finnland. Cool“, lautete der Slogan des skandinavischen Ehrengastes auf der Frankfurter Buchmesse im Oktober 2014. Zu Recht: Denn „cool“ ist nicht nur das nordische Klima, sondern auch die moderne und außergewöhnliche Literatur des Landes, wie zum Beispiel die des aus Helsinki stammenden und in seiner Heimat als junger Bestsellerautor gefeierten Tuomas Kyrö. Sein Roman Kunkku handelt vom gleichnamigen Herrscher der letzten finnischen Monarchie – eine Staatsform, die man in der Geschichte Finnlands vergeblich sucht. Vorsicht: Kyrös königlicher und politisch völlig unkorrekter Satireroman ist nichts für Schweden-Fans!
von ANNA-LENA BÖTTCHER
Es ist das Jahr 2013, der Lagerist namens Pena Penttinen schleppt in einem Baumarkt Waschmaschinen und berichtet dem Leser von seinem früheren Leben. „Ich bin ein Freund großer Brüste. Das hat mir ein bisschen Ärger eingebracht: Rausschmiss und Scheidung. Mein eigenes Zuhause musste ich deswegen räumen, das Schloss auf dem wertvollsten Grundstück der Hauptstadt“, beginnt Pena freimütig seine ganz persönliche Geschichte. Noch vor wenigen Jahren, so kommt schnell heraus, war er der letzte König Finnlands, Kalle XIV. Penttinen, genannt Kunkku. Der einer über 700 Jahre alten Dynastie entstammende Cheeseburger-Liebhaber lebt nunmehr von Sozialhilfe und steht wortwörtlich vor den Trümmern seines maroden Palastes. Wie es dazu kommen konnte, wird Kapitel für Kapitel rückblickend aufgedeckt: ein Wechselspiel zwischen Pena, der aus der Jetzt-Zeit erzählt und Zeitzeugen, die anschließend das königliche Privatleben des Kunkku ans Licht bringen.
Kyrö schenkt Finnland und seinen Lesern mit der Biographie des unglücklichen Königs nicht nur ein erfundenes Herrschergeschlecht, sondern stellt zudem die gesamte Historie Europas seit den 1940er Jahren auf den Kopf. Der Autor kreiert eine unkonventionelle Alternativgeschichte, im Laufe derer Schweden einer atomaren Zerstörung anheimfällt und Finnland sich nicht nur in der Raumfahrt profiliert, sondern auch Land der Entdecker Südamerikas und Tennis-Nation ist. Kyrö führt diese gewagten Gedankengebäude mit augenscheinlich großer Freude an Spinnerei und Fiktion konsequent zu Ende.
Traumberuf König?
„Wenn du König wirst, hört der offizielle Teil erst auf, wenn du stirbst“, warnt Heikki, Kunkkus bester und einziger Freund, diesen noch an seinem Krönungstag im Jahr 1967. Und tatsächlich: Kunkku, der eigentlich lieber Automechaniker oder Tennisspieler geworden wäre, sich aber schon als Jugendlicher seine Hobbys nie selbst aussuchen oder sich nach dem Sport noch nicht einmal mit Mitgliedern des gemeinen Volks eine Duschkabine teilen durfte, bleiben nach Amtsantritt nur die wunderbaren Erinnerungen an eine eskalierte Tennisparty in Deutschland und eine glückliche Zeit mit der Schauspielerin Sofi in Tallin. Die Ernüchterung dagegen ist groß, Kunkku heillos überfordert und Sofi ungewollt Königin: Ohnehin ist die Institution der Monarchie, wie man dem frisch gekrönten Herrscher erklärt, nur noch „Werkinstrument der Republik“ und der finnische Ministerpräsident scheint mehr Macht zu haben als Kunkku selbst.
EKIA statt IKEA
Schweden, in Kyrös Roman nur noch eine vorindustrielle Agrargesellschaft ohne Zeitrechnung, kommt hier ganz schlecht weg. Der Autor nimmt dem Land sogar sein Möbelimperium, schustert es Finnland zu und nennt es kurzerhand EKIA. Doch Kyrö kann sich auch über die eigene Heimat lustig machen. Zum Beispiel nimmt er das weltweit gerühmte finnische Schulsystem aufs Korn: Finnische Schulkinder lächeln auf Fotos, „ohne ihre Zahnspangen zu verstecken“, denn Mobbing finden sie „unlogisch und gemein.“ Und sonst? Heiratet John F. Kennedy Yoko Ono, ist der erste weibliche James Bond eine Finnin, gilt Leni Riefenstahl als Grand Old Lady der Fernsehkomik. Kyrös Roman ist wunderbar respektlos. Ein großes Glück, dass der Autor, wie er im Nachwort offenbart, den ehemaligen König Kunkku zufällig „vor einem Plumpsklo in Mallusjoki im Frühling 1981“ traf und daraufhin sein Buchprojekt in Gang setzte.
„Isch bin ein Finlander“ (John F. Kennedy)
Ein wenig Straffung hätte dem über 500 Seiten schweren Roman gut getan, ohne dass er an seinem Erfindungsreichtum und Witz einbüßen würde. Doch man verzeiht es schnell, angesichts der fortwährend neuen Überraschungen und dramatische Wendungen, die Kunkku bereithält. So bleibt die Handlung bis zuletzt abenteuerlich und völlig verrückt: Wird Schweden Finnland letztendlich beitreten und somit als Nation gerettet? Kann Fidel Castro als Chef der United Fruit Company bestehen? Am Ende entscheidet ein Tennismatch über ein mögliches Happy End. Und John F. Kennedy verkündet stolz: „Isch bin ein Finlander.“