Viele Leser stellen sich vor es zu tun, einige machen es sogar, doch selten eröffnet das Wandeln auf den Spuren der literarischen Vorbilder so wundere Perspektiven und Einblicke, wie bei Andreas Lesti. Er gibt in Oben ist besser als unten seiner Sehnsucht nach und lässt sich gänzlich von Büchern leiten. Dabei liest sich seine literarische Expedition in die Alpen fast wie eine literaturwissenschaftliche Analyse mit Abenteuercharakter.
von ALINE PRIGGE
Für Lesti beginnt alles mit dem unbestimmten Wunsch einen Gipfel zu besteigen und mit einem liegengelassenem Buch. Was als dreiwöchige Zurück-zur-Natur Auszeit aus dem Stadtleben geplant ist, wird zu einer siebenjährigen Auseinandersetzung mit den Alpen, ihrer Besteigung und deren literarischen Dokumentation, bei der, in typischer Bergsteigermanier, die Grenzen von Geschichten und Geschichte verwischen.
Von Petrarca bis Mark Twain
Als Lesti in einer einsamen Berghütte im Tiroler Hornbachtal Francesco Petrarcas Die Besteigung des Mont Ventoux in den Händen hält, glaubt er anfänglich, den Text, mit dem die Geschichte des Alpinismus beginnt, in den Händen zu halten. Doch als diese These kurz darauf von Alois, einem Hornbachtaler, mit dem Hinweis auf Saussure, Haller und Rousseau angezweifelt wird, deren Werke die Popularität der Schweiz erst richtig beflügelten, reift in Lesti eine Idee. Die Neugierde, mehr zu erfahren, über die Faszination, die die Berge seit Jahrhunderten auf die Menschen ausüben, über die Entwicklung des Bergsteigens und dessen literarische Aufarbeitung, und den Wunsch die Orte zu sehen, die immer wieder als Vorbild dienen, lassen diese Idee zu einem Plan bis hin zur Umsetzung ausreifen. Lesti begibt sich nach Interlaken, Wallis, Chamonix und weiter, immer geführt von Büchern, die ihm wie zufällig in die Hände fallen. Etwa im Regal eines Backpackerhostels, als Geschenk eines Germanistikprofessors oder in der Auslage eines Buchladens.
Ein Gipfel nach dem Anderen
Lestis Interesse an den Alpen beschränkt sich nicht nur darauf, Goethe und Mann hinterher zu wandern oder im Alpine Club die Geschichte der Erstbesteigungen verschiedener Gipfel zu erforschen. Er setzt sich auch kritisch mit dem Aufkommen neuer alpiner Figuren, wie dem Bergführer oder Skilehrer auseinander. In Kapiteln wie „Achtung, Cooktourist“ verdeutlicht Lesti durch sarkastische Überspitzung die Abneigung und Abgrenzung des Bergsteigers gegenüber dem Touristen, so bezeichnet er in Anlehnung an Leslie Stephen die Orte Ischgl, Sölden und Kitzbühel als „Strafkolonien“. Ohne seinen leichten Schreibstil oder Witz zu verlieren gibt er einen differenzierten Überblick über Höhen und Besteigungen der Gipfel etwa in dem er im Aconcagua in Südamerika „die reale Entsprechung des »Lonely Mountain« aus Tolkiens Hobbit“ sieht.
Reisereportage mit dem gewissen Etwas
Was Lestis Buch so besonders macht ist die Vermischung von Reisereportage und Abenteuerroman. Er schreibt seine Erzählung so locker von der Hand, dass man das Gefühl bekommt, man selbst würde im eingeschneiten Davos sitzen und nur eine dunkle Wolkendecke trenne einen von der Aussicht auf die nächste Bergspitze. Bildliche Beschreibungen von Zugfahrten auf die Gipfel und die fesselnde Spannung, die Lestis Nahtoderfahrung am Jubiläumsgrat hervorruft, lassen jedes Abenteurerherz höher schlagen und wecken die eigene Reiselust. Dabei bleibt der Autor immer bodenständig und legt humorvoll eigene Missgeschicke offen, die z.B. bei einer schlecht geplanten Campingtour in tausenden Metern Höhe passieren können.
Wenn man auf einen Berg steigt, geht es einem danach immer besser
Am Ende der Erzählung kehrt Lesti zurück ins Hornbachtal, hier lässt er den Leser erneut an einem Moment des Aufbruchs teilhaben. Dem Beginn der Niederschrift seiner Erlebnisse.
Diese umfassende historische und literarische Auseinandersetzung mit den Alpen ist zugleich eine sympathische und fesselnde Liebeserklärung an die Berge.
Andreas Lesti: Oben ist besser als unten. Eine literarische Expedition in die Alpen
Rogner und Bernhard Verlag, 317 Seiten
Preis: 22,99 EUR
ISBN 9783954030224