In Die Reise einer jungen Anarchistin in Griechenland erzählt Cornelia Holzinger als Nelia Fehn ihre persönliche Geschichte: scheinbar authentisch, einfach, unmittelbar. Cornelia bzw. Nelia wiederum – und hier beginnt die unterhaltsame Spielerei des Romans schon a priori – ist eine Erfindung der wirklichen Marlene Streeruwitz. Die Autorin schrieb mit Nachkommen (2014) einen Literaturbetriebsroman, in dem die Protagonistin Cornelia für den Deutschen Buchpreis nominiert wurde – und zwar mit eben dem nun erschienenen Buch.
von KERSTIN MERTENSKÖTTER
In Die Reise einer jungen Anarchistin in Griechenland möchte Cornelia von einer griechischen Insel nach Athen reisen, um dort ihren Geliebten Marios zu treffen. Doch die Reise gerät zu einer Irrfahrt, zu einer wahren Odyssee. Nachdem sie bereits zu Beginn auf der Fähre vor ihrem zudringlichen Chauffeur flieht, lässt Cornelia sich zunächst von zwei eher zwielichtigen Männern auf deren Boot mitnehmen. Als sie sich auch aus dieser Situation in Sicherheit zu bringen versucht, findet sie nach einem fürchterlichen Sturm schließlich im Ferienhaus einiger wohlhabender ‚Deutscher‘ eine kurze Bleibe. Dort begegnet sie unter anderem Despina, einer Griechin, die in ihrer finanziell prekären Situation von jenen deutschen Urlaubern als Leihmutter angeheuert wurde. Bis dahin sind Athen und Marios noch immer fern und man wird den Eindruck nicht los, dass die Protagonistin sich fortwährend durch eine aus den Fugen geratene Welt kämpfen muss. Und diese Haltlosigkeit findet sich nicht nur in der Umwelt, sondern auch in Cornelia selbst. Nach dem Tod ihrer Mutter vor fünf Jahren, mit dem der 20-Jährigen ihr Hauptbezugspunkt genommen wurde, ist Cornelia noch immer von Schmerz erfüllt. Orientierungs- und Hoffnungspunkt bleibt – bei all den Bekanntschaften, die sie auf ihrem Weg durch ein politisch aufgewühltes und finanziell desolates Griechenland zur Zeit der Finanzkrise macht – Marios.
Abwesender Fixpunkt
Marios ist also das Ziel, auf das die Protagonistin und damit der Plot zulaufen, und doch ist seine Figur vor allem durch Abwesenheit gekennzeichnet. Immer wieder spukt er durch den Roman wie ein Phantom. Jener ersehnte Marios, der für Cornelia vor allem Sicherheit und Vertrauen bedeutet, taucht im aufgebrachten Griechenland als politischer Aktivist und linker Regierungsgegner unter. Da er nicht abgehört werden will, besitzt er wechselnde Prepaid-Handys, hat keinen festen Wohnsitz und hinterlässt möglichst wenig Spuren. Cornelia hat kaum eine Chance, ihn ausfindig zu machen, und erst ein kurzer, im Gegensatz zur langen Suche fast lapidar wirkender Epilog gibt Auskunft darüber, ob Marios noch ausfindig gemacht werden konnte.
Doch bis wir davon erfahren, bleibt Cornelia auf ihrer Reise allein und begegnet anderen mit äußerster Vorsicht. Sie kämpft sich durch, wie etwa in einer eskalierenden Demonstration, die ihre versehentliche und zugleich brutale Festnahme durch die Polizei zur Folge hat: „Ich hatte auf Englisch um Hilfe geschrien. Ich hatte mir gedacht, ich sollte in diesem Augenblick besser nicht auf Deutsch um Hilfe bitten. Ich war dann aber wohl stumm vor Angst gewesen und hatte gar nichts von mir gegeben. Es reagierte ja niemand.“
Sensibilität für Sprache und Lebensweise
Der Zusammenhang von Sprache und Macht scheint in Streeruwitz’ Roman ebenfalls Thema. So kann die Protagonistin die griechische Sprache weder lesen noch verstehen und ist mit der Verwendung ihrer Muttersprache in der politisch angespannten Lage vorsichtig. Nachdem sie von jenen Männern aus dem offensichtlich illegal gefahrenen Boot geflohen ist, heißt es im Gespräch mit einigen Urlaubern resümierend: „Am gestrigen Tag sei kein einziges Schiff da vor Anker gegangen und wie ich denn nun auf die Insel gekommen sei. […] ich war nicht mehr auf der Welt. Es gab mich nicht mehr, das war ein seltsames Gefühl.“ Erzählungen und Geschichten können Menschen und Welten erschaffen und ebenso zum Verschwinden bringen. So lässt ihr Misstrauen den Menschen gegenüber sie ständig empfindlich danach fragen, ob deren Geschichten wohl der Wahrheit entsprechen. Auch sie selbst erfindet zum Schutz ihrer Person immer wieder verschiedene Versionen ihres Lebens und schreibt – im wahrsten Sinne des Wortes – ihre eigene Geschichte.
Der Roman des Romans
Doch nicht nur auf narrativer Ebene spiegelt Die Reise einer jungen Anarchistin in Griechenland das Geschichtenerzählen, schließlich war der Roman bereits vor seinem tatsächlichen Erscheinen für den Deutschen Buchpreis nominiert – wenn auch nur fiktiv. Damit lässt er sich auch als Kommentar auf den Literaturbetrieb und seine Bewertungsmaßstäbe lesen, denn das zu prämierende Stück Literatur scheint eher mit der heißen Nadel gestrickt zu sein. In Nachkommen (2014) war diesbezüglich zu erfahren, dass Cornelia alias Nelia lediglich ihre Tagebuchnotizen zu einer schnellen Romanfassung zusammenfügte. Und auch das ambivalente Verhältnis von Wettbewerben und medialer Öffentlichkeit in Bezug auf das eigene Unabhängigkeits- und Literaturverständnis ist für die Jungschriftstellerin Thema. Im Roman heißt es dazu: „Es gab überhaupt viele Schreibwettbewerbe, und man bekommt da leicht einen Preis. Ich muss nur lernen, dass das alles Gelderwerb ist und dass es diese Art von Kunst nicht mehr gibt, deren Stolz darin liegt, unbezahlt zu sein. So eine Geschichte ist ja schnell geschrieben, und man muss dann nur die Preisverleihung über sich ergehen lassen.“
Gleichzeitig liest sich Die Reise einer jungen Anarchistin in Griechenland wie in Nachkommen beschrieben, nämlich schnell und mit persönlichen, tagebuchartigen Eindrücken versetzt. Damit wird das Bewertungsmuster des Deutschen Buchpreises im Zuge der Lektüre fiktiv als schnödes Marketinginstrument entlarvt. Wie der einfache Erzählstil von Nelia Fehn verrät und wie in Nachkommen (2014) nachzulesen ist: Dem Verleger dieses Buches geht es nicht um ein geschliffenes, komplexes, sprachlich interessantes Werk, sondern lediglich darum, die junge Autorin Nelia als hübsches Fräuleinwunder und ‚Newcomerin‘ im Scheinwerferlicht des Buchpreises zu vermarkten. Gerade mit dem Wissen um dieses Buch zum Buch und die Form der fingierten Autorschaft macht der vorliegende Roman besonderen Spaß.
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