Starliterat Haruki Murakami bleibt sich treu. In den sieben „long short stories“ aus seinem neuen Erzählband geht es um die Abwesenheit von existenziell wichtigen Dingen: Frauen. Wer auf Murakamis ruhigen Stil steht, wird es mögen.
von FABIAN MAY
Von Männern, die keine Frauen haben. So überschreibt man ein Essay oder eine Abhandlung. Oder eine Gebrauchsanleitung? In der letzten, titelgebenden Geschichte erklärt das Ich, wie es geht: „Zu Männern, die keine Frauen haben, zu werden ist ganz leicht. Man braucht nur eine Frau leidenschaftlich zu lieben, die dann verschwindet.“ Haruki Murakami, der erst Anfang November als „der bedeutendste zeitgenössische Schriftsteller Japans“ mit dem WELT-Literaturpreis und 10000 Euro beschenkt wurde, umkreist hier in sieben Erzählungen die männliche Urangst, plötzlich ohne Frau zu sein.
Fallsammlung frauenloser Männer
So ist es ja meistens bei Murakami: Menschen treffen sich in Bars, reden über Musik, Sex und die Welt, jemand verschwindet aus jemandes Leben, und dabei kommunizieren alle ebenso reflektiert wie gepflegt. Insofern bleibt auch hier alles beim Alten. Die quasi-essayistische Anordnung stellt einen mittelalten Schauspieler vor, der seiner Fahrerin von seiner lange verstorbenen Frau und ihren scheinbar unmotivierten Affären erzählt; einen Schönheitschirurgen, der aus Prinzip nur mit verheirateten Frauen schläft, bis ihn eines Tages eine planwidrige Herzensregung aus der Bahn und aus dem Leben wirft; einen Sportschuh-Vertreter, der nach dem Aufliegen der Affäre seiner Frau endlich einen passenden Ort im Leben findet, seine eigene Bar; und in Weiterentwicklung von Kafkas Verwandlung (Samsa in Love) einen Gregor Samsa, der sich plötzlich über Nacht in einen Menschen verwandelt.
Stilistisch eher Schwarztee als Kaffee
Das alles ist nicht nur eine Fallsammlung frauenloser Männer, es liest sich über weite Strecken auch so: medizinisch nüchtern, übermäßig sachlich. Wie hier in Kinos Bar: „Ungefähr eine Woche nach diesem Vorfall schlief Kino mit einer Kundin. Es war das erste Mal, dass er seit der Trennung von seiner Frau Geschlechtsverkehr hatte.“
Oder in Scheherazade: „Nach einem mäßigen Vorspiel streifte er das Kondom über (aus medizinischen Gründen bestand sie darauf, dass er es von Anfang bis Ende konsequent benutzte), drang in sie ein und ejakulierte in angemessener Zeit. […] Sobald sie sich mit professionellem Blick vergewissert hatte, dass Habara die angemessene Samenmenge in das Verhütungsmittel ejakuliert hatte, begann sie zu erzählen.“ Eine so sterile Ausdrucksweise könnte man gut als Abtörner bezeichnen. Aber so trocken ist Murakamis Lakonie eben oft.
Die Kunst steckt in den Setzungen
Also: An die vornehme Blässe von Murakamis Beschreibungen muss man sich erst gewöhnen. Doch auch darin bleibt der Autor sich treu: Die Sensation steckt nicht im Stil, sondern in der karg beschreibenden Dichte, hinter der sich manchmal Welten auftun. Welche Vielzahl möglicher Geschichten impliziert allein dieser Satz: „Er drehte nicht leicht durch, obwohl er allein war.“
Die hohe Kunst steckt ferner in den steilen künstlerischen Setzungen, bei denen das Beiwort „kafkaesk“ ausnahmsweise mal gerechtfertigt ist: Habara ist ohne ersichtliche Behinderung an das „Haus“ gebunden, das aus irgendeinem Grund zwischen Anführungsstrichen steht, und bekommt mehrmals die Woche Besuch von „Scheherazade“, die offenbar von irgendeiner Instanz beauftragt ist, erst mit ihm zu schlafen und ihm dann eine Geschichte zu erzählen. Ähnlich abstrus geht es in „Kinos Bar“ zu: Plötzlich tauchen grellfarbige Schlangen um Kinos Bar auf, und ein Schutzgeist, der aussieht wie ein Yakuza, fordert den Besitzer auf, für unbestimmte Zeit fortzugehen.
Ein seltener wortgewaltiger Moment: wie es an Kinos Herzenstür klopft
Kino sind denn auch die beste Geschichte und die sprachmächtigste Textstelle beschieden: „Die Zweige der Weiden schwankten noch immer in der frühsommerlichen Brise. In einer dunklen kleinen Kammer in Kinos Innerem streckte jemand seine warme Hand aus, um sie auf die seine zu legen. […] Es war etwas, das er längst vergessen hatte.“
Diese surrealen und abstrusen Dinge sind durchaus geeignet, einem auf angenehme Weise den Boden unter den Füßen wegzuziehen. Nur – wie es in Das eigenständige Organ gesagt wird, „ich bitte Sie, sich vorher zu vergewissern, dass sich hinter Ihnen kein Abgrund befindet“ – man muss wissen, worauf man sich einlässt.
Haruki Murakami: Von Männern, die keine Frauen haben
DuMont, 254 Seiten
Preis: 19,99 Euro
ISBN: 978-3-8321-9781-0