In Zurück zum Feuer erzählt Saskia Hennig von Lange die Geschichten von drei Menschen, die über ihr Leben und den Tod reflektieren. Dabei verliert sie sich in ihrer fast schon atemlosen Sprache in minutiösen Details, die auf Dauer ermüden.
von ESRA CANPALAT
Eine dieser drei Geschichten handelt von Max Schmeling, der in gewisser Weise Dreh- und Angelpunkt der beiden anderen Lebensläufe ist. Schmeling war einer der berühmtesten Schwergewichtsboxer Deutschlands und wurde vor allem durch seinen überraschenden Sieg gegen den amerikanischen Boxer Joe Louis, auch bekannt als „Brauner Bomber“, im Jahre 1936 in der internationalen Boxwelt bekannt. In Hennig von Langes Roman liegt Schmeling im Sterben und versucht in den letzten Stunden seines Lebens nicht nur seinen Nachlass zu planen, sondern auch über sein Leben zu resümieren. Dabei geht Hennig von Lange nicht unreflektiert oder unkritisch mit Schmelings Biografie um, lässt sie doch die Anekdote nicht außer Acht, bei der Schmeling und seine Frau, die deutsch-tschechische Schauspielerin Anny Ondra, mit Hitler am Kaffeetisch sitzen und nett miteinander plaudern. Parallel wird die Geschichte von einem anderen Max erzählt, die nach dem Tod Schmelings spielt. Max soll als Gutachter den Wert des jahrelang unbewohnten Hauses Schmelings ermitteln. Eines Abends beschließt er, geradezu besessen von diesem Fall, zu diesem Haus zu fahren, ohne seiner Frau Bescheid zu geben. Schnell wird klar, dass die Ehe der beiden bessere Zeiten erlebt hat: Ein tragisches Ereignis hat beide über die Jahre entfremdet. Während Max im Haus von Schmeling wie in einem Kuriositäten-Museum herumirrt, versucht seine Frau durch anderes merkwürdiges Verhalten das gemeinsame Trauma zu überwinden. Die drei Geschichten werden parallel und abwechselnd erzählt. Spannend hierbei ist, wie es der Autorin gelingt, durch Assoziationsketten die einzelnen Geschichten nahtlos miteinander zu verbinden: Wenn der Teil, der aus der Perspektive der Ehefrau erzählt wird, damit endet, dass sie allein in der dunkeln Wohnung sitzt, beginnt der nächste Abschnitt über Max damit, wie er wiederum alleine im Haus Schmelings im Dunkeln umhertappst. Die Autorin geht dabei wie eine Kamerafrau vor, die von einer Szene zur nächsten schwenkt, ohne dass man die Orientierung verliert, denn die einzelnen Szenen gehen thematisch und motivisch ineinander über.
Der Fluss bleibt aus
Christoph Schröder schrieb in seiner Rezension zu Saskia Hennig von Langes Debüt Alles, was draußen ist in der Süddeutschen Zeitung: „Schon nach kurzer Zeit geht man auf in der Sprache, in einer hochkonzentrierten fließenden Prosa, in der kein Wort falsch und auch kein Wort zu viel gesetzt zu sein scheint. Es ist eine Prosa, die eine geradezu chirurgisch präzise Erforschung der Seele vornimmt, ohne dabei explizit zu werden.“ Man kann Schröder darin Recht geben, dass es Hennig von Lange gelingt, die Gedanken- und Seelenwelt ihrer Protagonisten aufs Genaueste zu beleuchten. Doch dass der Leser durch eine „fließende Prosa“ mitgenommen wird, kann man zumindest von Zurück zum Feuer nicht sagen. Denn die Psychogramme ihrer Protagonisten sind verknüpft mit einer Sprache, die jedes belanglose Detail so genau unter die Lupe nimmt, dass man als Leser oft ermüdet zurückbleibt und so gar nicht die Seiten in einem Fluss blättert.
Der Schlüssel ist wichtig!
Da wird allein die Beschreibung, wie man einen Schlüssel in seine Manteltasche gelegt hat, zu einem Roman für sich: „In der Manteltasche habe ich die Schlüssel, die Autoschlüssel und die anderen, vor Tagen schon habe ich sie da hineingleiten lassen, und ich weiß auch noch genau, vor wie vielen Tagen das war. Ich erinnere mich, wie ich in meinem Büro saß, aus dem Fenster schaute […] und wie ich […] mit der Rechten die obere Schublade meines Schreibtisches aufzog, auch daran erinnere ich mich. Ich musste nicht einmal hinschauen, so oft habe ich diese Schublade schon aufgezogen, und ich musste auch meine Gedanken nicht abwenden von dem, was ich da draußen, vor meinem Fenster, sah, und auch von dem nicht, was ich dort nicht sah, so vertraut war mir dieser Handgriff.“ Schon verstanden: Der Schlüssel ist äußerst wichtig. Hennig von Lange verliert sich als Erzählerin im Bestreben die Gedankenläufe ihrer Protagonisten wiederzugeben in Einzelheiten. Das ist schade, haben ihre Protagonisten doch eigentlich wirklich was zu sagen über das Leben, Verluste, Ängste und den Tod, und das auf eine nüchterne, schnörkellose und unpathetische Weise: „Diese Muskeln sind kaum noch da. Er schlägt mit den flachen Händen darauf. Ich habe nicht einmal mehr die Kraft, aufzustehen und hier im Zimmer herumzugehen, denkt er, ich kann nicht einmal mehr mit meinen eigenen Händen auf meine Oberschenkel hauen, so dass ich etwas anderes spüre als diese davon hervorgerufene Erschöpfung. Ich werde diesen Körper verlieren, denkt er, ich habe ihn schon verloren, und er denkt noch, dass man einen solchen Gedanken kaum aushalten kann.“ Es ist schon ärgerlich, dass gerade solche einfühlsam erzählten Stellen durch den beinahe schon epischen Erzählgestus untergehen. Dem ein oder anderen mag dieser kleinteilige Sprachstil vielleicht gefallen. Wer aber ein ungeduldiger Leser ist, dem das Detail en detáil auf die Nerven geht, dem sei von Zurück zum Feuer abzuraten.