Sie ist, wenn man es mit einer dieser vom Feuilleton so heißgeliebten Vossianischen Antonomasien sagen möchte, das Trüffelschwein unter den Romanciers am schmuddeligen emotionalen Abgrund der heterosexuellen Paarbeziehung (und nicht nur da). Sibylle Bergs neuen Roman Der Tag, als meine Frau einen Mann fand muss man erst einmal aushalten können. Er liest sich mit all seinen fast aphoristischen Sätzen wie das kleine Poesiealbum des monogamen Scheiterns und des koitalen Irrsinns. Kurz: ein Genuss.
von NADINE HEMGESBERG
Es treibt Sibylle Berg um: das Verhältnis der Geschlechter. Ihr Schaffen, ob für die Bühne oder in Romanform, gleicht seit Jahren einer Meditation über ,die Frau‘ oder ,den Mann‘, das ,Dazwischen‘ und all das, was über das Binäre hinaus- oder davon abweicht. In ihren Kolumnen echauffiert sie sich in schöner Regelmäßigkeit über die Diskriminierung von Homosexuellen und anderen Minderheiten, ihr letzter Roman Vielen Dank für das Leben hatte eine Trans-/Interfigur im Zentrum – in der NZZ gefeiert als ein „furios geschriebenes Plädoyer für die Andersartigkeit“.
Schlingensief meets Ulrich Seidl
Mit Viel gut essen, einer Auftragsarbeit für das Schauspiel Köln, hat sich Berg im vergangenen Jahr den „weißen, privilegierten Mann“ vorgenommen und eine brillante Sozialstudie auf die Bühne gebracht, die zwischen plakativem Klischee und bitterem Ernst satirisch hin und her changiert. In Der Tag, als meine Frau einen Mann fand nun also – und das nicht zum ersten Mal – die Paarbeziehung eines sich in den mittleren Jahren befindenden Ehepaares, das feststeckt in all den Routinen und Mechanismen, die sich innerhalb von 20 Jahren schon mal ansammeln können und einen bis zur weißglühenden Zorneslangeweile reizen. Die Misere „Liebe“ und „Ehe“ lässt einen fast wie von selbst von paradiesisch pubertären Zuständen träumen – die einen versinken dann in Wehmut und Depression ob der ehelich monogamen Grenzen, die anderen nehmen sich einen jüngeren Geliebten und scheuern sich Genitalien und lüsterne Haut auf vor irrsinnigem, von Midlife-Crises geschütteltem Verlangen. (Zur dazu passenden Lektüre sei auch Arno Geigers Roman Alles über Sally empfohlen, in dem sich ein Ehepaar ähnliche Fragen des weiteren Zusammenlebens stellen muss) Sibylle Berg geht gewohnt unzimperlich mit ihren Romanfiguren ans Werk, im alternierenden Tagebuch schreiben sich der alternde Starregisseur Rasmus, der sich mit einer Art karitativem Schlingensief-Projekt in der Dritten Welt das kreative Ego und die „Gutmenschen-Seele“ in sich wieder aufpolieren will, und die sich nicht mehr nur als Ehefrau genügende Chloe das Elend von der Seele. Während Rasmus den Jugendlichen seines Theaterprojektes trotz Sprachbarriere Goethe und das europäische Theater einpflanzen will, scheren diese sich weniger um die Größen der Weltliteratur als vielmehr um die allabendliche Belohnung für das theatrale Tagewerk: den gesponserten Vollrausch. Und nicht nur das künstlerische Schaffen geht Rasmus in der Ferne verloren, sondern auch seine Frau. Ebenfalls im (Opium-)Vollrausch angelt diese sich nämlich einen einheimischen Masseur, mit dem sie nicht nur kurzerhand für eine Woche durchbrennt, sondern den sie auch gleich mit ins heimische Deutschland nimmt. Schlingensief trifft Seidl im „Paradies Liebe“, möchte man fast meinen. Dass das nicht auf die Dauer gut gehen kann, ist allen Beteiligten nur allzu klar.
Lasst uns lieber einsam sterben, als uns mit Liebe quälen
Sibylle Berg dekonstruiert das Konzept Ehe und Monogamie mit dem Filetiermesser und betreibt eine tragikomische wie aberwitzige Seelenschau mit ihren beiden Protagonisten. „Liebe ist möglich, wenn man sie von Raserei und Leiden trennt“, heißt es da in Chloes Tagebuch, oder: „Wir halten uns so fest und streicheln uns, wir beschützen uns, und warum nur, warum nur müssen wir ficken, als ob wir Fremde wären.“ Und weil es immer so weiter geht mit den Frustrationen und enttäuschten Erwartungen: „Ab und zu, wenn ich betrunken bin, werde ich ein wenig unglücklich, dem Umstand geschuldet, dass ich meine sexuell aktivsten Jahre mit einem Dildo verbringe.“ Aber auch Rasmus ist alles andere als glücklich mit der Beziehung zu Chloe; „Ich habe mich damals gegen den Sex entschieden und für die Liebe. Sieg der Vernunft über die Begierde. Heute haben wir Sex, wenn ich morgens hart bin, weil die Blase auf meine Prostata drückt.“ Sie sind einander nur noch Kompromiss, sie lieben sich, aber genügen einander nicht mehr. Aber muss man dann gleich eine Beziehung aufgeben? Wie lässt sich eine Beziehung nach 20 oder noch mehr Jahren neu verhandeln, wie neue Bedürfnisse in eine Ehe integrieren, ohne sich selbst zu verlieren, ohne den anderen zu verlieren? Diese Fragen lotet Berg mit Chloe und Rasmus ebenso brachial wie literarisch überzeugend aus, übersteigert dabei den Sex in all seiner Omnipräsenz und Überschätzung fast in eine Nullaussage und das, was er nur allzu häufig ist: eine Banalität, in der jedoch all der zwischenmenschliche Sprengstoff steckt, der einen (nicht nur) in mittleren Jahren wieder seiner selbst versichern kann, wenn das eigene Leben allzu vorhersehbar geworden ist. Es ist wohl nie eine besondere Auszeichnung, wenn man einen Roman als Beziehungsratgeber anraten möchte, dennoch ist Der Tag, als meine Frau einen Mann fand vielleicht genau der richtige Roman mit den richtigen Fragen für ‚Mann‘ und ‚Frau‘ Mitte 40. Das liest sich nun despektierlicher als es gemeint ist, denn auch für jeden anderen ist es ein literarisch bergscher Genuss mit Tiefgang, der einem das ein oder andere Mal die Schamesröte ins Gesicht treibt.
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