Mit Glück und Giftschlange: Ein somalischer Copperfield

Nadifa Mohamed - Black Mamba Boy   Cover: C.H. BeckIn Black Mamba Boy verarbeitet die junge britische Autorin Nadifa Mohamed die Lebensgeschichte ihres Vaters. Das liest sich bunt und süffig, aber leider auch ziemlich glatt.

von STEPHANIE HEIMGARTNER

Wir schreiben das Jahr 1935. Es ist ein neuer Tag in Aden, der malerischsten Stadt des Universums – sie verfügt über „lebkuchenfarbene Wohnblöcke“ mit „zuckergussweißen Dächern“–, und Jama, der ungefähr zehn ist, erwacht zu den Rufen des Muezzins auf dem Dach, wo er mit seiner Mutter wohnt. Die Mutter ist zwar jung und schön, aber übellaunig, sie muss den ganzen Tag in einer Kaffeefabrik Bohnen sortieren; der Vater ist abhandengekommen, Jama sich selbst überlassen – von Schulbesuch ist keine Rede.

Also treibt sich Jama auf der Straße und am Strand herum, baut mit seinen Kumpels Flöße, klaut Essen von den Tellern unachtsamer Garküchengäste und zettelt Prügeleien an. Dann stirbt die Mutter, und für den Jungen beginnt eine lange Wanderschaft: Zunächst wird er zur Familie mütterlicherseits ins somalische Hargeisa verschifft. Von dort flieht er, um seinen Vater zu suchen, von dem er gehört hat, dass er im Sudan als Chauffeur arbeitet; fast hat er ihn gefunden, da stirbt der Vater. Jama verdingt sich bei den italienischen Besatzern im eritreischen Omhajer als Tea-Boy und Bürogehilfe und ist bei Kriegsausbruch 1940 (Italien erklärt Frankreich und Großbritannien den Krieg und besetzt das britische Somalia) gerade groß genug, um den afrikanischen Hilfstruppen der Italiener einverleibt zu werden. Doch glücklicherweise dauert der Krieg nicht lange, der junge Mann lässt sich als Ladenbesitzer im Hinterland nieder und heiratet die bildschöne und fleißige Bethlehem. Doch Heuschrecken vernichten seine Ernte und alle Vorräte. Jama macht sich auf nach Ägypten, um als britisches Subjekt eine Stelle auf einem Schiff zu finden, was nach vielen Wirren auch gelingt. Gegen Ende hat er so viel gespart, dass er zu Frau und Sohn ins eritreische Gerset zurückkehren kann.

Der Schutzgeist der schwarzen Mamba

Das hört sich alles schon deshalb ungeheuer spannend an, weil es erstens wirklich passiert ist (Jama ist der literarisch umgestaltete Vater der Autorin) und zweitens an Orten spielt, die man auf der im Buch abgedruckten Landkarte erst suchen muss und deren Geschichte im 20. Jahrhundert an Bewegtheit der europäischen in nichts nachsteht. Also hofft man die ganze Zeit, etwas zu erfahren über das Leben gekidnappter afrikanischer Kindersoldaten im Zweiten Weltkrieg; über das Hin und Her zwischen den Kolonialmächten und die Durchlässigkeit der Grenzen im östlichen Afrika; darüber, wie die Menschen damals und dort dem Leben begegneten, wie sie ihre Lage meisterten, worauf sie hofften, was sie auszeichnete. Aber den Gefallen tut einem Nadifa Mohamed nicht.

Jama, der die meiste Zeit hungert, ist dennoch immer gut drauf. Denn er ist sich sicher, dass er zu Großem bestimmt ist. Als seine Mutter mit ihm schwanger war, hatte eine schwarze Mamba ihren Leib umschlossen, außerdem war die Zeit so schlecht, dass das mitten in sie hineingeborene Kind einfach nichts als Glück haben konnte. So bleibt er den ganzen Roman über unbeschadet an Körper und Seele und arglos bis ins Mark. Schön wäre es, jemanden zu kennen, der bitterste Armut, seelische und körperliche Gewalt, den Tod beider Eltern im Kindesalter und Heimatlosigkeit so wegsteckt, allein die Erfahrung lehrt: Das tun nur die ewig kindlichen Helden in Romanen. Selbst da, wo sie es tun – vor allem in Texten, die zur Pikaro-Tradition gehören, etwa im Simplicissimus oder bei Don Quijote oder auch in Grass’ Blechtrommel – offenbart eine sorgfältig gestaltete ironische bis zynische Distanz des Erzählers den tiefen Graben, der die Fiktion von der Wirklichkeit trennt.

Es wäre zu viel verlangt, solche Größe zu fordern – aber muss es dann gleich so klingen?: „,Viel Glück, Jama, hoffentlich findest du deinen Vater, aber was auch immer geschieht, verliere nie den Glauben an dich selbst. Du bist ein kluges Kerlchen und mit ein wenig Glück wirst du ein schönes Leben haben‘, sagte sie und bedeckte sein Gesicht mit Küssen. Danach hatte er sich nicht das Gesicht gewaschen, und noch immer brannten die Küsse rot auf seiner Haut.“

Dieser Held ist also kein Pikaro, sondern eine etwas verstörende Mischung aus Odysseus und David Copperfield. Der Roman paart bewährte Erzählstrategien und -muster mit einem exotischen Ambiente. Leider hat Nadifa Mohamed im Grunde auch das Weltbild von Charles Dickens übernommen, und das wirkt im Jahr 2015 (oder besser gesagt 2010, dem Erscheinungsjahr der englischen Originalausgabe) doch etwas irritierend, erklärt aber, warum der Roman, der für viele Preise nominiert war, schließlich den Betty Trask Prize gewonnen hat, eine Nachwuchsauszeichnung für Commonwealth-Autoren unter 35. Denn er gehört, ähnlich wie zum Beispiel der ebenfalls auf der Liste der Ausgezeichneten stehende und sehr erfolgreiche Roman von Hari Kunzru The Impressionist, zu einem Genre, das man als Commonwealth-Literatur bezeichnen könnte. Am Ende kommen die armen kolonialen Subjekte nach England und machen irgendwie ihr Glück, doch politisch korrekt müssen sie dabei ihre Herkunft keineswegs verleugnen. Es handelt sich bei diesem Genre um die etwas geschmeidigere Variante des postkolonialen Romans, und sie hat den Vorteil, dass sie unterhaltsam ist, auch ein wenig bildet, vor allem aber nicht so wehtut. Für Menschen, die es gern etwas realistischer haben, empfiehlt sich zum Beispiel der Erstling von NoViolet Bulawayo, Wir brauchen neue Namen, der im Jahr 2014 den Trask-Prize um ein Haar gewonnen hätte.

Nadifa Mohamed: Black Mamba Boy
Aus dem Englischen von Susann Urban
C.H. Beck, 366 Seiten
Preis: 19,95 Euro

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