Ein Virus hat die menschlichen Bewohner der Erde fast völlig ausgelöscht, laut den unsicheren Erzählungen der einfachen Leute hat es nur drei Tage gedauert, bis die Weltbevölkerung auf kaum zwei Prozent reduziert war: Denn nur Menschen mit roten Haaren haben das große Sterben überlebt. MUC, Anna Mocikats Debütroman, spielt ein Jahrhundert nach der Katastrophe im fast vollständig zerstörten und verwitterten München.
von ANNA-LENA THIEL
Der Fokus des Romans liegt auf der 21-jährigen Pia, die durch ihr rabenschwarzes Haar von Geburt an als Fremde markiert ist. Doch auch charakterlich unterscheidet sie sich von den gehorsamen, sanftmütigen Frauen aus ihrem kleinen Alpendorf. Sie hat kein Interesse an Heim und Herd, sondern klettert und werkelt lieber. Die Gesellschaft, die sich hier zurückgezogen und abgeschieden von der Außenwelt eingerichtet hat, ist patriarchalisch und abergläubisch, Gegenstände und Sitten aus der alten Zeit werden abgelehnt, wird doch das große Sterben als Strafe Gottes für die Verfehlungen der Menschen gewertet. Am Vorabend ihres Geburtstages wird Pia eröffnet, welches für sie unakzeptable Schicksal die Dorfgemeinschaft für sie vorgesehen hat, und so trifft sie die schwerste Entscheidung ihres bisherigen Lebens: Sie macht sich auf nach MUC, das ein sagenumwobener Hort des Wissen der alten Zeit sein soll. Diese Reise hatte ihr Bruder fünf Jahre zuvor bereits angetreten und war nie zurückgekehrt. Er muss also – so die Logik Pias – das gelobte MUC erreicht haben und dort ein gutes Leben führen. Pia hofft nun, dass sie ihm dorthin folgen kann.
Die Reise nach MUC ist beschwerlich und gefährlich. Durch Klimaveränderungen und die Rückeroberung der Alpen durch die Natur gibt es keine sicheren Wege mehr, und die Angst vor Wolfsrudeln ist ein ständiger Begleiter. Bald muss Pia jedoch erfahren, dass von den in stinkenden und zerfallenen Ortschaften hausenden Überlebenden, die mehr an Tiere als an Menschen erinnern, eine noch größere Gefahr droht. So könnte MUC schon nach nur 70 Seiten vorbei sein, hätte nicht ein Gruppe von Schleppern Pia vor dem sicheren Tod gerettet und – welch glücklicher Zufall – mit nach MUC genommen.
Dort angekommen, muss Pia leider schnell feststellen, dass die glänzende Stadt ihrer Träume nicht existiert. MUC ist dreckig und verfallen und aufgegliedert in Unter- und Oberstadt. Entsprechend ist auch die Gesellschaft in die Armen und Ungebildeten und die Elite rund um den ‚Propheten‘ und Herrscher MUCs unterteilt. Doch ihre Reisegefährten und neuen Freunde geben ihr ein Zuhause und eine Möglichkeit, in MUC zu überleben. Als Pia schließlich ihren Bruder wiederfindet, überschlagen sich die Ereignisse und Pia muss sich überlegen, welche Prioritäten sie in ihrem Leben setzen möchte.
„Er roch wie gefrorene Blumen, doch gleichzeitig auch maskulin herb.“
Die psychologische Einschätzung, die hinter den Gesellschaftsformen im Alpendorf und in MUC steht, ist plausibel und lässt den Leser in angemessene Sorge um die Zukunft der Menschheit verfallen. Die Nachwirkungen der Umweltkatastrophen, sollten auf einmal nicht mehr genug Menschen da sein, um die Elektrizitätswerke zu bemannen und damit einhergehend Industrie und Wirtschaft am Laufen zu halten, wirken gründlich recherchiert. Der enorme Wissensverlust und die Regression der Überlebenden werden nachvollziehbar dargelegt. Um nicht zu sagen, der Hintergrund von MUC ist wohlgestaltet.
Man möchte fast meinen, dass das, was MUC wirklich schadet, seine Protagonistin ist. Wenn eine Heldin auf den ersten 80 Seiten aggressiv und überdeutlich als nach Unabhängigkeit strebender Freigeist angepriesen wird, ist es letztlich sehr enttäuschend, wenn sie sich dem nächstbesten netten jungen Mann an den Hals wirft. Und dann auch noch feststellt, dass sie „mit ihrem Weltbild, das er geringschätzig als schwarz-weiß bezeichnet hatte, recht zufrieden“ ist und im übrigen „[v]iel lieber […] erneut seine warmen Lippen spüren“ wollte. Überhaupt passt Pias pubertäres Gehabe viel besser zu einer 15-Jährigen als zu jemandem, für den es inzwischen genug Gelegenheiten gab, endlich erwachsen zu werden.
Beginnt der Roman dann phasenweise auch mal spannend zu werden, handelt es sich leider nicht um die angenehme Art von Spannung, die einen vor Aufregung auf die Kante des Stuhles treibt, auf dem man gerade sitzt. Sondern um die, die allzu schnell in Wut umschlägt, so dass man den Kopf der ‚Heldin‘ wiederholt gegen eine Wand schlagen möchte.
Der Teufel steckt im Detail
Laut Klappentext „muss [Pia] sich entscheiden, ob sie auf der Seite der Unterdrücker oder der Unterdrückten stehen will.“ Das ist eine ziemlich interessante Ansage, leider kommt die Stelle gar nicht im Buch vor. Überhaupt hat MUC es sehr schwer, den großen Erwartungen gerecht zu werden, die man an diesen Post-Apokalypse-Roman made in Germany nach dem Ankündigungstext entwickelt hat.
Zwar ist die Beschreibung des zerstörten Münchens liebevoll, und wenn man die Stadt kennt, freut man sich über die vielen Orte, die man wiedererkennen kann und sicherlich auch soll, aber zugleich gehen einem die naiven Beschreibungen Pias nach spätestens 100 Seiten so sehr auf den Geist, dass man sich wünscht, die Autorin würde endlich die Rolle aufgeben und normal weiterschreiben. Was dem Leser zunächst als natürlich und überzeugend erscheint – das ewige Gestaune und Gestarre von Pia, die Diskrepanzen in ihrem Wissen und ihre fehlende Menschenkenntnis –, erweist sich unglücklicherweise schnell als ermüdend und redundant. Zudem ist das Buch schrecklich sparsam geschrieben: Natürlich kann man nicht jede Nebenfigur mit einem Namen ausstatten, aber es wird bald klar, dass, sobald ein Detail mit etwas Mühe versehen wird, es später auf jeden Fall noch Bedeutung haben wird. Auch wenn epische Vorausdeutung ein legitimes Stilmittel ist, will man doch auch ein bisschen überrascht werden. Der Stil des Romans wirkt insgesamt leider eher unbeholfen und wirft ernsthafte Fragen nach dem Lektorat durch Knaur auf. Der simple Sprachgebrauch und die Verwendung bekannter Tropen machen MUC eher zu einem Jugendbuch, als befriedigend für ein thematisch eingelesenes Publikum zu sein. Dass ein Roman auf eine Fortsetzung angelegt ist, ist für ein Debüt per se nicht problematisch, dass es hier aber so offensichtlich passiert, wirkt – wie leider so vieles in diesem Buch – ein wenig flach.
Dass die Autorin aus dem Bereich Film, Fernsehen und Videospiel kommt, sollte keine Entschuldigung sein, kann aber eine Erklärung liefern, warum MUC als Buch nicht wirklich vom Hocker reißt, mit den ausgiebigen Beschreibungen und nicht schlecht konzipierten Bildern hingegen als (Jugend-)Film vielleicht überzeugen könnte.