Zu Beginn der Woche wurde in der Bochumer Jahrhunderthalle das Programm der Ruhrtriennale 2015 unter der neuen, auf drei Jahre befristeten Intendanz des niederländischen Regisseurs und Theatermachers Johan Simons vorgestellt. Simons, der zuvor Intendant der Münchner Kammerspiele war, stellt sein Schaffen und das Programm unter das Motto „Seid umschlungen“. Unter der neuen Leitung soll auch das Schauspiel wieder einen größeren Akzent erhalten. Gleich zwei Mammutprojekte werden in Angriff genommen: Werke von Marcel Proust und Émile Zola.
von NADINE HEMGESBERG und ANNIKA MEYER
Nein, auch wenn die bunten Lichter und alten Karussells etwas Anderes vermuten lassen könnten, ist die Jahrhunderthalle nicht die Kulisse eines Jahrmarktes der Eitelkeiten, sondern eines historischen Jahrmarktes. Inmitten der blinkenden Fahrgeschäfte findet die diesjährige Pressekonferenz zur Programmvorstellung der Ruhrtriennale 2015 statt. Mit dem Motto „Seid umschlungen“ will Intendant Johan Simons die Dichotomie von wohlmeinender Umarmung und klammerndem Griff verdeutlichen, den Kunst ausüben kann. Unterhalten wolle er, aber eben auch unbequem sein und herausfordern. Kunst sei subjektiv, und so sei die diesjährige Ruhrtriennale ein „Festival der Meinungen und ein Festival der Unterschiedlichkeit“. Der dreijährigen Intendanz stehen 14,5 Millionen Euro Etat zur Verfügung, neue Spielstätten wurden für das Programm erschlossen: So wurde in Dinslaken eine zuvor brachliegende Kohlemischhütte der Zeche Lohberg in Stand gesetzt und für den Publikumsverkehr bühnentauglich gemacht und ein ganzes Künstlerdorf wird auf dem Gelände der Jahrhunderthalle entstehen. In der Kohlemischhütte in Dinslaken wird auch am 15. August die Eröffnungsproduktion von Johan Simons gezeigt werden: Accattone nach dem gleichnamigen Film von Pier Paolo Pasolini aus dem Jahr 1961 wird als Konglomerat mit der Musik Johann Sebastian Bachs in einer Musikbearbeitung von Philippe Herreweghe auf die Bühne gebracht.
Mit Proust und Zola in die Gegenwart
Im Programm werden auch andere Großprojekte sein, auf die man jetzt schon äußerst gespannt sein darf. Zum einen Die Franzosen nach Marcel Prousts Recherche, eine moderne Bearbeitung des polnischen Regisseurs Krzysztof Warlikowski, der in fast läppisch anmutenden fünf Stunden Prousts Entwurf und Betrachtung der französischen Gesellschaft um 1900 in eine Reflexion über die gegenwärtige Gesellschaft transformieren möchte. Das kann ein Parforceritt, ein Höhepunkt der Ruhrtriennale oder ein katastrophaler Sinkflug werden. Zum anderen eine Trilogie zu Émile Zolas Romanzyklus Die Rougon-Macquart. Luk Perceval nimmt sich des 20-bändigen Zyklus’ an und wird daraus eine Trilogie formen. Den ersten Teil Liebe gibt es in der ersten Spielzeit zu sehen, die weiteren folgen im Jahresrhythmus. In dreieinhalb Stunden will Perceval je eine Auswahl der Romane kompilieren und inszenieren, das Paradies der Damen (erst kürzlich in Stuttgart von Mareike Mikat inszeniert) oder Nana werden zwei davon sein.
Künstlerdorf in Bochum
Ein weiteres Highlight könnte The Good, the Bad and the Ugly werden, ein vom Atelier Van Lieshout erschaffenes Künstlerdorf, das während der dreijährigen Intendanz Simons’ vor der Jahrhunderthalle das Festivalzentrum der Ruhrtriennale bildet. Es gibt Künstlern wie Besuchern die Möglichkeit, zusammen zu kochen und zu leben, in Datschen zu übernachten und, so Joep van Lieshout, die „Grenze von Kunst, Architektur und Design“ zu entdecken. Hier sollen gemütliches Chaos und Notstand dicht beieinander sein und zum Nachdenken anregen.
Auch Musiktheater wird bei der Ruhrtriennale 2015 kreativ aufgeführt. Monteverdis Orfeo kann ungewohnt erlebt werden – in musikalischen Versatzstücken und Loops sowie durch einen begehbaren Parcours präsentieren die Regisseurinnen Susanne Kennedy, Suzan Boogaerdt und Bianca van der Schoot Orpheus’ Gang in die Unterwelt in der Kokerei Zollverein in Essen. Johan Simons zeigt in seiner Inszenierung von Wagners Rheingold, dass die germanische Schöpfungsgeschichte auch eine Erzählung über das Bergwerk und somit das Ruhrgebiet ist – dabei werden, auch dank des Dirigenten Teodor Currentzis und dem finnischen Elektromusiker Mika Vainio, Genregrenzen überschritten und ein musikalischer Reflexionsraum geboten. Und auch Luigi Nonos Prometeo bietet als Hörinstallation und Klanglabyrinth eine ungewöhnliche Herangehensweise an klassische Musik, die sicherlich Diskussionsstoff bietet.
Wessen Interesse nun geweckt wurde, kann sich auf der Homepage in das weitere Programm der Ruhrtriennale einlesen – es erwarten uns in diesem Spätsommer viele weitere Inszenierungen, Installationen und Konzerte, die unsere Seh- und Hörgewohnheiten hinterfragen und herausfordern. Lassen wir uns also umschlingen.