Geschürte Ängste und die Frage nach Gerechtigkeit der Justiz

Hexenjagd am Schauspielhaus Bochum Foto: Thomas AurinDie erste Arbeit der jungen, mit dem Kurt-Hübner-Preis ausgezeichneten Daniela Löffner feierte am Samstag im Schauspielhaus Bochum Premiere: Arthur Millers Hexenjagd. Löffner inszeniert mit 17-köpfiger Besetzung. Es werden Bezüge zu vielen aktuellen Themen hergestellt, besonders deutlich ist die Justizkritik am NSU-Prozess.

von ALINA SAGGERER

Samstagabend sitzen die ZuschauerInnen als Publikum eines Gerichtsprozesses im Schauspielhaus. Als Bühnenbild (Claudia Kalinski) empfängt die Eintretenden ein großer Gerichtssaal aus hellem Holz, über den Eingangstüren des Gerichts sind zwei Monitore.

Hinter der Empore des Hohen Gerichts befindet sich ein Vorhang. Die Oberste Richterin Danforth (Anke Zillich) und Richter Hathorne (Michael Schütz) sowie die ZeugInnen und Opfer betreten den Saal. Alle singen: „Melas sua levui rabutit.“ (Komposition: Cornelius Borgolte). Diese Liedzeile wird während der gesamten Inszenierung das Strafverfahren rahmen. Auftakt des Prozesses: Der Vorhang öffnet sich und gibt einen weißen Bühnenkasten frei, in dem die Zeugenaussagen als Retrospektive gespielt werden. Eine Verknüpfung der unterschiedlichen Handlungsebenen gelingt unter Einbeziehung der zwei Spielflächen somit sehr geschickt, der doppelte Bruch der vierten Wand zum Gerichtssaal und zum Publikum wirkt gelungen und dynamisiert den Handlungsverlauf.

Der Fokus des Prozesses: das Beziehungsgeflecht der Personen

Betty (Pola Jane O’Mara), Tochter von Pfarrer Parris (Andreas Patton), scheint seit der Nacht, in der sie mit Abigail Williams (Kristina Peters) und anderen Mädchen im Wald getanzt hat, besessen zu sein. Dr. Hale (Felix Rech), ein „Spezialist“, wird um gesundheitliche Klärung gebeten.

Doch als Abigail plötzlich überzeugt ist, Hexen hätten sie und die anderen Mädchen heimgesucht, wird überall der Teufel gesehen, wie in Parris’ ausländischem Koch Titubar (Torsten Flassig, der Millers Außenseiterfigur umgedeutet als jungen Mann mit muslimischer Takke und Pali-Tuch darstellt). Titubar gesteht im Wahnsinn. Er schneidet sich nach Unterbrechung der Verhandlung die Zunge ab. Die Islamfeindlichkeit in Deutschland ist – gerade in Zeiten mit PEGIDA-Demonstrationen und terroristischen Anschlägen – ein heikles Thema, das definitiv im Theater thematisiert werden muss, bei dem es hier aber leider an weitergehender Ausführung fehlt.

Kritische Betrachtung von Institutionen wie Gericht und Kirche

Hexenjagd am Schauspielhaus Bochum   Foto: Thomas AurinJohn Proctor (Jürgen Hartmann) wird die vergangene Affäre zu Abigail zum Verhängnis, als diese seine Frau Elizabeth (Katharina Linder) der Hexerei bezichtigt, um sich wegen ihrer Kündigung zu rächen.

Die Seiten im Gericht sind nun klar getrennt, als John Proctor und seine neue Magd Mary Warren (Friederike Becht) versuchen, dem Gericht zu erklären, dass es sich um eine Täuschung handelt. Hier wird besonders der harte Umgang der RichterInnen mit den Angeklagten und ihren Angehörigen herausgearbeitet. Sie wollen mit dem Prozess eine „sauberere und sicherere Stadt” schaffen. Doch durch ihre manipulativen Verhörmethoden wird die Angst nur verstärkt. Den Beschuldigten wird kein Funke Glaube geschenkt. Auch bei den Ermittlungen der NSU-Morde wurden lange die Angehörigen der Opfer zu Unrecht verdächtigt. Dies wurde schon am Residenztheater in München mit der Inszenierung Urteile in Form von dokumentarischem Theater thematisiert, Löffners NSU-Bezug ist weniger präsent, bleibt aber offensichtlich.

Als Mary dem Druck der Anklage und Abigails nicht standhalten kann, kommen auch Dr. Hale Zweifel am Vorgehen des Gerichts. John Proctor gesteht in seiner Verzweiflung die Affäre, wird aber ebenfalls verhaftet und zum Tode verurteilt. Einziges Entkommen wäre ein Geständnis. Aber Proctor kann und will seinen Namen nicht für ein falsches Geständnis hergeben.

Der Weg in den Wahnsinn

Zwar hinterlässt die Inszenierung Leerstellen, wie die Figur des Titubar, dessen Außenseiterrolle als Muslim sich zu wenig als roter Faden durch den Abend zieht. Aber dank des guten Zusammenspiels des Ensembles und toll besetzter Gäste werden glaubwürdig aus dem besorgten Pastor sowie den Putnams verblendete Menschen, die um jeden Preis eine Verurteilung anderer wollen. Aus der naiven, kindlichen Mary Warren, den Ehepaaren Corey und Nurse und den Proctors werden mehr und mehr Menschen, die von dem herrschenden Wahn vereinnahmt werden. Doch als die Vertretung der Judikative beginnt, ihre Fehler zu erkennen, ist sie zu weit gegangen, um dem Prozess ein Ende zu setzen, ohne ihr Gesicht zu verlieren.

Sehr verdient erntet das gesamte 17-köpfige Ensemble großen Applaus, wenn auch nicht von allen. Zu hoffen ist, dass dies nicht die einzige Arbeit von Daniela Löffner in Bochum bleibt.

Information zum Stück

Nächste Termine:
Donnerstag, der 5. März 2015
Donnerstag, der 12. März 2015
Sonntag, der 29. März 2015

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