Zwischen Wasserstoff und Uran entdeckt Florian Werner in Helium und Katzengold „die Grundbausteine unserer Sprache“. Aus Texten in unterschiedlichen Aggregatzuständen entwickelt sich dabei ein literarisches Periodensystem.
von KATJA PAPIOREK
Die 92 Elemente des Periodensystems nimmt Florian Werner in Helium und Katzengold zum Anlass für 92 elementare Geschichten. Die Texte sind entsprechend nach der jeweiligen Ordnungszahl und dem zugehörigen Elementsymbol benannt. Sie scheinen inspiriert von den Eigenschaften der Elemente, ihrer Entdeckung, ihrer Verwendung oder Namensherkunft. Die von Werner gewählten Textformen sind dabei so unterschiedlich wie die Elemente selbst. So finden sich neben Erzählungen, Bildgedichten, dramatischen Szenen und Briefen auch Bußgeldbescheide, Listen, Beipackzettel und Gerichtsurteile. Die Geschichten gehen dabei über wiederkehrende Motive, Themen und Figuren Verbindungen miteinander ein und reagieren aufeinander. Innerhalb der Texte tauchen die verschiedenen Elementsymbole mit ihrer jeweiligen Ordnungszahl fettgedruckt mitten in einem Wort auf und verweisen so auf weitere Verknüpfungen zwischen den Texten (Werner spricht von „analogen Hyperlinks“). „So bildet sich, parallel zum chemischen Periodensystem, eine neue, assoziative Ordnung, ein periodisches System der Textelemente.‘‘
Zwischen Sein und Schein
Das titelgebende Katzengold ist übrigens kein Element. Es handelt sich dabei um ein Metall, das wie Gold aussieht. Werner scheint dies aufzugreifen, indem er mit Gattungsgrenzen spielt und einen Band mit Prosatexten vorlegt, der – nicht zuletzt wegen der an Fußnoten erinnernden Erläuterungen zu den einzelnen Elementen unter den jeweiligen Texten – wie ein Sachbuch aussieht. Erzählt wird von der Bärenjagd als Touristenattraktion im Zuge der EU-Osterweiterung, verkannten Künstlern, geschnäbelten Hausärzten, einer (vegetarischen) Venusfliegenfalle, Gott und dem Teufel, Duracellhasen, einem auf CD gebannten Tinnitus, dem „nordrheinwestfälisch[en] Ich-sehe-was-was-du-nicht-siehst-Landesmeister“ und Frauen, die sich in Kühe verwandeln.
„Die Idee, einen literarischen Text in Analogie zu den chemischen Elementen zu entwickeln, ist nicht neu.“ Folgerichtig verweist Florian Werner im Nachwort dann auch auf prominente Vorgänger wie Goethes Die Wahlverwandtschaften und Primo Levis Das periodische System, und liefert zudem mit Breaking Bad einen Verweis auf die Populärkultur. Gleichzeitig spielen die Verwandlungen innerhalb der Texte zweifellos auf die Metamorphosen an.
Nun hat sich Werner aber das ehrgeizige Ziel gesetzt, 92 elementare Geschichten zu verfassen. Dass diese qualitativ nicht auf einem Level bleiben, war da fast zu erwarten. Stark sind die Texte vor allem in der kurzen Form. Zwischendurch sind Werners Wortspielereien dann doch etwas platt („empfängnislose Befleckung“), seine Pointen etwas zu sehr ausgewalzt („gesalzene Preise“), die vermeintlichen Reaktionen der Texte untereinander etwas zu konstruiert. Warum also trotzdem lesen? Weil Beryllium und Holmium helfen können, das „Wesen der Dinge“ zu erkennen. Um Bekanntschaft mit den Zwillingen Praseodym und Neodym zu machen. Und um den Texten und der Zeit beim Zerfallen zuzusehen.
Allen, die sich jetzt einen ersten Eindruck verschaffen wollen, sei dieses Video ans Herz gelegt, das wohl vor allem zeigt, dass sich Florian Werner selbst nicht allzu ernst nimmt.
Ein paar platte Wortspielereien stören mich nicht. Hört sich sehr inspiriert an, dieses Buch!