Leif Randts Parallelweltroman Planet Magnon ist wie ein verzerrt-verschwommener Spiegel, der dem Leser mit fast meditativer Gelassenheit ein überdrehtes Bild seiner eigenen Lebenswelt zeigt. Der mit einer Vielzahl an Referenzen ausgestattete Roman ist in vielerlei Hinsicht eine ungewöhnliche Erscheinung in der deutschen Literaturszene, die sich trotz kleiner Schwächen lohnt.
von SIMON SAHNER
Fast möchte man mit den berühmten Worten aus Star Wars beginnen: „Es war einmal vor langer Zeit in einer weit, weit entfernten Galaxie…“, und dass sich dieser Vergleich aufdrängt, ist von Leif Randt mit großer Wahrscheinlichkeit beabsichtigt. Die Erzählung des Ich-Erzählers Marten Eliot in Randts neuem Roman Planet Magnon setzt ein in einem aus sechs Planeten bestehenden Sonnensystem im Jahr 48 n. AS. Vor 48 Jahren wurde die computergesteuerte Raumstation Actual Sanity als regulierende und kontrollierende Verwaltungsregierung eingeführt, die seitdem die Planetengemeinschaft mit ruhiger Hand führt, kontrolliert und die gleichmäßige Zufriedenheit aller Bewohner sichern soll. Marten Eliot ist ein EarlyAger des Kollektivs Dolfin, für das er zusammen mit Emma als sogenannter Spitzenfellow von Planet zu Planet reist, um dort bei Mitgliedern anderer Kollektive und unter Kollektivlosen für seine Gemeinschaft zu werben. Die Ruhe in der Planetengemeinschaft wird jedoch gestört, als das Kollektiv der gebrochenen Herzen Anschläge verübt, um sich gegen die kritik- und fortschrittlose Regelmäßigkeit der Gesellschaft aufzulehnen, und die neue bewusstseinserweiternde Substanz Magnon sich langsam verbreitet.
An Stellschrauben gedreht
Was ist dieser Roman? Wäre es zu platt zu vermuten, dass er ein Spiegel unserer Gesellschaft ist? Hält man Planet Magnon von Leif Randt in Händen und blickt auf das Cover, schaut man sich selbst ins Gesicht. Die Vorderseite des Buches ziert ein kreisrunder, verschwommener Spiegel, der dem Betrachter sein eigenes Gesicht wie mit dem Weichzeichner bearbeitet entgegenwirft. Dass Randt dem Leser die Möglichkeit gibt, Dinge zu entdecken, die er mit seiner eigenen Lebenswelt verbindet, ist unübersehbar. Auch in der von AS regierten Galaxie wird geraucht und getrunken, Jugendliche fahren in Ferienlager ans Meer und das Internet existiert zwar nicht mehr in der uns bekannten Form, es wird aber davon berichtet. Diese und etliche andere Hinweise sind eine Schnitzeljagd, die Randt mit seinen Lesern spielt, eine Schnitzeljagd, die Stück für Stück die Ähnlichkeiten dieser Gesellschaft mit der unseren enthüllt. Der Autor dreht an gesellschaftlichen Stellschrauben und denkt bereits vorhandene Phänomene weiter: der Konsum von Drogen wird zur anerkannten und gewollten experimentellen Erfahrung, die Selbstoptimierung zur Grundlage elitärer Kollektive und die Erziehung von Kindern findet gänzlich außerhalb traditioneller Familien statt. Planet Magnon führt uns eine oberflächlich auf Ordnung, Sauberkeit und Gesundheit fixierte Welt vor Augen, die sich wie ein Extrem der unseren darstellt. Aber hat Randt auch an der Uhr gedreht, und zeigt uns Planet Magnon unsere Zukunft? Eher nicht. Die Geschichte bietet dem Leser an, was das Romancover andeutet: einen verzerrten, weichzeichnenden Spiegel, der dem Leser anhand einer Parallelwelt zeigt, wohin wir uns bewegen könnten. Ein Zukunftsroman ist er aber nicht, dazu ist die dort dargestellte Welt in mancher Hinsicht zu nah an der unseren, in anderer jedoch zu weit entfernt.
Berühmte Vorbilder
Bei alldem merkt man Planet Magnon seine literarischen wie auch cineastischen Vorbilder deutlich an. Die sterile und ebenso glatt polierte Sprache, die von einer zukünftigen oder parallelen Welt erzählt, erinnert stark an David Foster Wallaces literarische Utopie Unendlicher Spaß. Wallaces Zukunftsvision der USA als einer von Eliteuniversitäten geprägten Welt und einer sterilen Gesellschaft, hat bei Randt sowohl stilistische als auch inhaltliche Spuren hinterlassen. Die elitären Kollektive und ihre Akademien, die in Planet Magnon den Kern der Gesellschaft formen, sind wie auch bei Wallace in ihrer Beschreibung unverkennbar an die Campus amerikanischer Ostküstenuniversitäten angelehnt: „Auf dem Campus sind nur die steinernen Pfade nicht von Herbstlaub bedeckt […]. Vielen Fellows gefällt unser Campus im Herbst am besten. Ich finde, die rubinrote Fassade des Hauptgebäudes kommt ebenso gut in blassem Winterlicht zur Geltung, besonders wenn der erste Schnee fällt.“ Leif Randt erweitert diesen Topos von kontrollierten Eliten und ihren Akademien zu dem Bild einer Gesellschaft, deren Sterilität sich bis in eine „zweckfreie“ auf „entrückte, aber formschöne“ Sprache ausstreckt, die sogar den Begriff des Sterbens durch „Verlassen“ ersetzt hat. In Verbindung mit der glatten Sprache wird dadurch der Angriff des Kollektivs der gebrochenen Herzen, das das Versprechen einer „schmerzlosen Welt“ in Frage stellt, umso deutlicher. Die saubere Oberfläche bekommt im wahrsten Sinne des Wortes Flecken: „Es riecht nach Schweiß.“
Neben diesen deutlichen literarischen Referenzen sind auch Anleihen an Star Wars zu erkennen. Wie in der populären Science-Fiction-Reihe spielt sich auch Planet Magnon auf Planeten mit unterschiedlicher Vegetation und Topografie ab, zwischen denen Reisen selbstverständlich sind, da „[d]ie AS“ es ermöglicht, sich „zwischen den Planeten zu bewegen“. Ins Auge springen die Ähnlichkeiten des Stadtplaneten Cromit mit Coruscant, der Metropole aus Star Wars, wie auch die hier beschriebenen Nutztiere „Sauropoden“ an Lebewesen aus der Filmreihe erinnern. Neben diesen Parallelen deuten auch Namenszitate darauf hin, dass Leif Randt sich bewusst an diesem Sci-Fi-Klassiker bedient hat.
Reizvolles Vergnügen mit kleinen Schwächen
Dieses Spiel mit popkulturellen und gesellschaftlichen Referenzen, die Sprache, die den Leser wie in trügerisch saubere Kissen fallen lässt, und die mal versteckten, mal offensichtlichen Hinweise auf unsere Lebenswelt, übertragen die spielerische Freude, die der Autor vermutlich beim Schreiben hatte, auch auf den Leser. Der trotzdem relativ schwache Spannungsbogen mag zwar der ruhigen Gleichmäßigkeit geschuldet sein, in der sich die Planetengemeinschaft befindet, macht das Lesen aber stellenweise zu einem etwas langatmigen Vergnügen. Und trotz einer geschickt gewählten Erzählerposition krankt Planet Magnon an einem aus anderen dystopischen/utopischen Romanen bekannten Problem: Vieles muss erklärt werden, was die Erzählung teilweise ins Dokumentarische abdriften lässt. Dennoch, das Spiel mit Verweisen und Stilen, seine Stellung als Science-Fiction-Roman und seine unaufdringliche Kritik an unserer westlich-modernen Lebensweise, deren Fixierung auf Kontrolle und Ordnung wir heute schon erleben, machen Planet Magnon zu einem ungewöhnlichen Roman. Dadurch bietet er einen reizvollen und lohnenswerten Gegenpol zu der in medialen Debatten in den vergangenen Jahren so häufig beklagten literarischen Selbstbeschau junger Autorinnen und Autoren der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur.
Leif Randt: Planet Magnon
Kiepenheuer & Witsch, 304 Seiten
Preis: 19,99€
ISBN: 3462047205
Hallo Simon, »Planet Magnon« liegt bei mir noch auf dem Stapel zu lesender Bücher und deshalb kann ich zu diesem Roman wenig sagen.
Eine kleine Anmerkung sei mir aber gestattet zu Deiner Einschätzung von »Unendlicher Spaß«. Wenn Du Wallaces Sprache als steril und glatt poliert bezeichnest springst Du meiner Meinung nach zu kurz. Ich habe in den vergangenen Jahren kaum ein Buch gelesen, dass sprachlich, stilistisch so vielfältig und so erfindungsreich ist wie »Unendlicher Spaß«. Auch, dass es in dem gewaltigen Buch um eine von Eliteuniversitäten (die Tennisakademie ist alles andere als eine Elite-College und das Ennet House erst recht) geprägte Welt geht, stimmt nicht ganz. Es geht (unter anderem) um eine von einem Krieg (Atomkrieg(?)) zerstörte und geteilte Welt, mit einer gewaltigen Schere zwischen Arm und Reich und einem gewaltigen Müllproblem, es geht um Drogen (Alkohol, Betäubungsmittel, Medikamente, Ruhm, Fernsehen etc.), Einsamkeit, Terrorismus, Kontrolle und und und … Ein Roman, der unendlich viele Themen abhandelt, unendlich lustig und gleichweit unendlich traurig … lg_jochen (unverkennbar Fan von DFW)