Schuld und Sühne in den Florida Keys: Das Schwarze Schaf kehrt zurück in den Hort seiner Familie und schleichend, aber unweigerlich bricht das Chaos aus. Netflix bringt mit Bloodline die nächste gute Serie an den Start. Seit dem 20. März kann die erste Staffel angesehen werden, warum eine zweite Staffel für 2016 bei den Showrunnern, das Kollektiv aus den Kessler-Brüdern und Daniel Zelman, bestellt wurde, bleibt hingegen fraglich.
von NADINE HEMGESBERG
Nicht nur Serienjunkies werden die Farben noch auf ihren Netzhäuten eingebrannt haben: Das satte Grün, das glänzende Türkis des Meeres, immer dieser sonnig warme Orangeton und das unbedingte Verlangen jetzt, gleich und sofort einen Cocktail hinunterzustürzen und vor landschaftlich ästhetischer Freude gleich zu weinen (oder vor Kitsch zu kotzen). CSI: Miami besticht nicht immer durch seine sonderlich raffinierten Dialoge (die stakkato-Brille-rauf-Brille-runter-Dysfunktion ist für Ermittler Horatio viel zu zeitraubend), vielmehr ist die farbenprächtige Summer-Feeling-Optik hübsches Beiwerk zu kniffligen Mordszenarien, total wissenschaftlich-nerdy aussehenden Laborszenen und einem irgendwie gutgelaunt kreischenden Themesong. Miami und die Keys sind auch dort unerlässliche topografische Komponenten für die Atmosphäre und eine zu erzählende Geschichte, man denke nur an das düstere New York oder das schrille Las Vegas, die jedem CSI-Ableger eine ganz eigene Note und Setting für kriminelle Auswüchse geben.
Eine Familie als wandelnder Konjunktiv
Ähnliches gilt für Bloodline. Die Florida Keys, wenn auch nicht bis zum fast parodistischen Exzess mit dem Farbfilter bearbeitet, bilden die Kulisse für die schöne (aber nicht immer heile) Welt der Rayburns und ihrem Ferienparadies mit geharkten Sandstränden und Touristen-Ausflügen zu bunten Korallenriffs. Die Rayburns sind eine geschätzte Familie in der Community mit einem florierenden Inn, das sie seit 45 Jahren betreiben – zu ihren Ehren soll ein Pier nach ihnen benannt werden. Alles könnte so perfekt sein. Doch die Rayburns sind der wandelnde Konjunktiv: Es könnte alles perfekt sein, sie könnten glücklich sein, wäre die Vergangenheit nicht ihre Vergangenheit, wäre die Tochter Sarah nicht ertrunken, hätte nicht jedes der Familienmitglieder ein Geheimnis, das den Hausfrieden stören könnte – wäre der Älteste der Geschwister, Danny (Ben Mendelsohn), doch bloß nie zurückgekommen. Ist er aber.
Es beginnt bereits beim Vorspann: Im wie so oft gewählten Zeitraffer (Scandal, House of Cards etc.) schwappt in einer Einstellung das Meer an den Strand, das Wetter verschlechtert sich, in einer anderen Einstellung brauen sich Wolken zusammen, Blitze durchzucken das tobende Grau. Auch die paradiesischen Keys sind der Willkür der Stürme ausgesetzt. Menschen sind nicht zu sehen, nur gegen Ende werden menschliche Schattenrisse übergeblendet und der Theme lässt die ZuschauerInnen noch mehr Unheil erahnen, „the water let’s you in“ und „drowned“ ist da zu vernehmen. Zu Beginn der ersten Folge erzählt John (Kyle Chandler), der Sheriff unter den vier Rayburn-Geschwistern:
„Sometimes, you know something is coming. You feel it … in the air … in your gut. You don’t sleep at night. The voice in your head is telling you that something is gonna go terribly wrong. And there is nothing you can do to stop it. That’s how I felt when my brother came home.“
Danny kommt zurück in die Mitte der Familie, begeistert ist davon allenfalls seine Mutter (Sissy Spacek), die alle Schäfchen mal wieder beisammen haben möchte. Alles dreht sich nur noch um den ältesten Sohn: Würde ein Bechdeltest daraus bestehen, dass die Familienmitglieder auch über etwas anderes reden außer dem Sündenbock, der er seit seiner Jugend für die Familie ist, dann würde diesen wohl niemand bestehen. Jedem Familienmitglied neben Danny ist in der Erzählung eine fast stereotype Charakteristik eingeschrieben: Die Eltern, beide autoritäre Familienoberhäupter, der Vater (Sam Shepard) dabei stoisch, die Mutter emotional, aber leicht verbittert und die drei Geschwister – John, der vorausschauende, beherrschte Cop, Kevin (Norbert Leo Butz), der aufbrausende Hitzkopf und Meg (Linda Cardellini), die immer zwischen den Stühlen steht und redlich bemüht ist, den Haussegen und familiären Frieden zu bewahren.
Das Damages-Prinzip
Die Kessler Brüder Todd A. und Glenn entwickeln mit Daniel Zelman nach dem narrativen Damages-Prinzip mit Bloodline nun ein Familiendrama. In der Golden-Globe prämierten Anwalts-Dramaserie (2007–2012) geht es um die erfolgreiche wie skrupellose New Yorker Spitzenanwältin Petty Hewes (begnadet gespielt von Glen Close) und ihr teilweise diabolisches Spiel mit der aufstrebenden Jungjuristin Ellen Parsons (Rose Byrne). Die nicht-lineare Narration, mit kleinen puzzelartigen Vorausschauen und die schier unglaublichen Twists des Plots, machen den Spannungsbogen der fünf Staffeln umfassenden Serie bis zum jeweiligen Finale einer Staffel nahezu unerträglich. Erst langsam, teilweise in fast quälenden Minisequenzen (eines Tatortes, einer gewalttätigen Szene), legte sich eine vollständige Handlung frei, die zuvor aus dem Kontext gerissen nicht gänzlich oder nur eindimensional zu verstehen war. Die Motivation und alle Geschehnisse, die zu den Einspielern führten, werden erst innerhalb der Staffel deutlich, werfen dann womöglich ein ganz anderes Bild auf das Geschehen. Bei diesem bewährten narrativen Prinzip, das zwar nicht alle Kritiker überzeugen konnte – Alan Sepinwall schrieb zuweilen auf Hitflix „when everything is shocking, nothing is“ – wenden die Kessler Brüder und Zelman auch bei Bloodline an (wenn auch „Schockmomente“ weitaus subtiler gearbeitet sind). Nina Rehfeld schreibt über die Serie in der FAZ und hebt positiv hervor: „Neu ist indes, mit welcher Gemächlichkeit hier ein Familiendrama seinen Lauf nimmt, mit welcher Unausweichlichkeit sich aus kleinen Unwahrheiten und alten Vorurteilen eine Katastrophe entwickelt.“ Da muss man einhaken: Keineswegs ist diese gemächliche Erzählweise neu. Die Vergleiche fallen einem nur allzu schnell aus der jüngeren und auch schon älteren Seriengeschichte ein – The Killing (2011–2014) etwa. Vordergründig eine Krimiserie, erzählt die amerikanische Neuauflage der dänischen Serie Forbrydelsen doch ebenso „gemächlich“ wie detailliert – jede Folge erzählt 24h – den Zerfall einer Familie nach dem Mord an ihrer ältesten Tochter. So oder so scheint die Eigenschaft der Gemächlichkeit einer Seriennarration gegenwärtig ein allzu schlechtes Kriterium für den Innovationscharakter einer Serie, wenn man sich weitere Produktionen ansieht: epische Erzählungen wie etwa Breaking Bad, Mad Men oder House of Cards, die allesamt in gedehnter Weise von einem Milieu erzählen (dazu auch ausführlich Christopher Schmidt in der Süddeutschen).
Belasst es doch bei diesem 13-stündigen Film
Es würde natürlich das Gesetz der meisten Serien unterlaufen und quasi mit einem Misserfolg gleichgesetzt werden, würde man es bei eben dieser einen Staffel von Bloodline belassen. Die Fortsetzung im nächsten Jahr ist bereits Gewissheit und bei den Showrunnern bestellt, lediglich die Notwendigkeit will sich nicht ganz erschließen. Die 13 Folgen umfassende Staffel – die von Netflix ohne den üblichen Pilotfilm geordert wurde und die Macher somit die Freiheit hatten, wie sie in einem Interview mit der FAZ schildern, einen „13-stündigen Film“ zu drehen – könnte fraglos für sich alleine stehen. Einzig unversöhnlich bleiben so das Staffelfinale mit einem allzu vorhersehbaren wie unnötigen Twist, der die Serie in eine zweite Staffel hangelt und die Miniauftritte von Mia Kirshner als Geistvariante der kleinen Schwester Sarah – fast hat man das Gefühl, man habe Jenny Schecter alias Sarah Schuster wieder aus irgendeinem Modder in Los Angeles‘ L-Word-Sümpfen ausgegraben. Sehenswert ist Bloodline aber in jedem Fall.