Das Gonzo-Prinzip oder „Wenn einer ein Arschloch ist, dann ist das eben so“

Spies, Miriam (Hg.) - Fledermausland   Cover: gONZo-VerlagWenn Sie nicht gerne Texte über Drogen und Ficken, über alltägliche Paranoia, ausgelöst durch das Versprechen von mehr Sicherheit statt Freiheit, über Privates und Politisches und über die Zusammenhänge dazwischen lesen, dann lassen Sie gefälligst die Finger davon. Alle anderen könnten in der Anthologie Fledermausland fündig werden.

von KAI FISCHER

Hunter S. Thompson, Drogenesser, Knarrenfetischist und Erfinder einer journalistischen Schreibweise namens Gonzo – einer radikal subjektivistischen Fortschreibung bestimmter Ideen und Ideale des New Journalism unter Beimengung erheblicher Mengen toxischer Substanzen –, hat sich bekanntlich im Jahr 2005 mit einer großkalibrigen Waffe den finalen Schuss gegeben. Die Anthologie Fledermausland. Diverse Wahrheiten über Wasserstände, Paranoia, Journalismus und Hunter S. Thompson versammelt Erzählungen, Gedichte, Interviews und Reportagen im Geiste des Gonzo-Urhebers, und man (d. h. natürlich ICH) kommt nicht umhin anzuerkennen, dass sich die Gegenwart für ein solches Vorhaben besonders zu eignen scheint. Angesichts von Terrorismus, Überwachung und Angst, von alternativloser Politik, 99% Unzufriedenen und nationalkonservativen Abendlanduntergangspropheten ist der Rückgriff auf einen Mann, der immerhin das Buch Kingdom of Fear veröffentlicht hat, allzu verständlich.

Authentizität und Rechtschreibfehler

Aber er ist nicht unproblematisch. Denn: Bei einem Schriftsteller, bei dem programmatisch zwischen Erfahrung und Schreiben nur eine papierzarte Trennlinie verläuft, um den gewünschten Unmittelbarkeits- und/oder Authentizitätseffekt zu erzielen, kann eine Hommage schnell ins Epigonal-Dilettantische rutschen. Es genügt eben nicht, den eigenen Text mit umgangssprachlichen Wendungen und Obszönitäten zu schmücken oder mit Blick auf die eigene Textverfassungsarbeit von seiner/ihrer „Schreibe“ zu faseln. Damit hängt ein zweites Problem zusammen, das der kritischen Würdigung. Es ist schlicht unangemessen, die Texte dieses Bandes nach den konventionellen Kriterien der Literaturbetrachtung oder nach journalistischen Standards zu beurteilen. Das wäre in etwa so, als würde man Haftbefehls Album Russisch Roulette schlecht finden, weil die lyrics nicht Goethe und die Musik nicht Bach ist. Somit kann man die nicht wenigen Rechtschreibfehler dieser Anthologie wohlwollend als konstitutiven Bestandteil des Projekts ansehen. Korrektes Deutsch schreibt der Mainstream; am Rahnd schreipt mann valsch!

Prosa top, Lyrik flopp oder so ähnlich

Eine gelungene Textsammlung ist wie ein gutes Musikalbum; nicht jeder Song muss ein Hit sein, aber die guten sollten in der Überzahl sein. Was nun die Güte der einzelnen Texte betrifft, muss das subjektive Empfinden herhalten. So sind die meisten der versammelten Gedichte nur zerhackte Prosa, wie sie Günter Grass nicht schlechter hinbekommen hätte, oder ungelenke Songwriter-Lyrik, die musikalische Untermalung vielleicht über die Erträglichkeitsschwelle gehoben hätte. „Woody Creek hatte auch mal/eine bekannte Persönlichkeit zu bieten./Aber diese Person erschoss sich,/und es wird gemunkelt, dass/eine Panzerfaust dieser Person dazu verhalf,/seinen Schädel zu Konfetti zu verwandeln.“ (Och bitte… Mein Kritiker-Ich stößt sich auch an der Wendung „verwandeln zu“, da ich „verwandeln in“ bevorzugen würde, aber gut, wir sind ja hier nicht beim Büchner-Preis.) An der Prosafront sieht’s dagegen deutlich besser, weil unterhaltsamer, aus, auch wenn häufig dieselben und durch Thompson bereits bekannten Themen – Drogen, Suff, Frauen- und Männergeschichten – behandelt werden. Vor diesem Hintergrund (und nicht nur wegen des Lokalbezugs) nimmt sich Hermann Borgerdings Text Fear and Loathing in Bochum als einer der frühen Höhepunkte des Bandes aus, da er bewusst nicht den Weg der Thompson-Mimikry wählt. Auch die Reportagen sind ein angenehmer Lesezeitvertreib, wobei mich der durchgehende paranoide Hauch von Verschwörungstheorie angesichts einer unterstellten gleichgeschalteten Presselandschaft ein wenig nervt (Tipp: Dann lest den Schrott halt nicht!). Fazit mit einem Zitat: „Buy the ticket (btw it is low priced) and enjoy the ride.“

Spies, Miriam (Hg.): Fledermausland. Diverse Wahrheiten über Wasserstände, Paranoia, Journalismus und Hunter S. Thompson.
gONZo-Verlag, 272 Seiten
Preis: 12,95
ISBN: 978-3-944564-09-8

 

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