Reto Finger hat für das Bochumer Schauspielhaus eine moderne Adaption des Grimmschen Märchens Hans im Glück geschrieben. Regisseurin Barbara Bürk brachte die Inszenierung nun in den Kammerspielen zur Uraufführung. Ein szenischer Ritt durch ein Märchen, die Mechanismen des Kapitalismus und eine Arche-Noah-Erlösungsfantasie.
von NADINE HEMGESBERG
Homo Hans ist anders. Homo Hans ist Homo. Homo Hans ist ein neuer/alter Homo Sapiens. Homo Hans ist der Homo Oeconomicus als asoziales Wesen, der auf gesellschaftliche Konventionen und den Kapitalismus pfeift und am Ende in die Einsiedelei geht. Ist das Glück? Kann das gut gehen? Oder ist das die einzig logische Konsequenz zum Ausstieg aus einer profitorientierten Leistungsgesellschaft des „Höher – Schneller – Weiter“? Muss man sich frei machen von allen Konventionen, von der Idee des sozialen Menschen, um frei zu sein? Im vergangenen Jahr hatte man bereits am Berliner Ensemble die Brecht-Fassung des Hans im Glück wiederentdeckt, nun machen sich also Reto Finger und Barbara Bürk an die Bearbeitung des Märchenstoffes.
Florian Lange ist Homo Hans – eine Paraderolle für den Schauspieler zwischen Klamauk und bitterem Ernst – bemerkenswert die verspielte Trippelei zum Auf- und Abgang und leicht akrobatische Zwischenspiele. Hans lebt mit seiner Frau Hanna (Minna Wündrich) und den „zwei Buben“ zusammen und all dem, was man ein stinknormales Leben nennen könnte. Aber: Den Job in der Firma kündigt er nach sieben Jahren auf. Hier beginnt die Suche eines modernen Menschen nach dem Glück in der Selbstständigkeit mit seinem Geschäftspartner Wilhelm Zobel (Matthias Eberle) und dem gemeinsamen, noch zu finanzierenden Projekt „Trafficmanager“ – einer App für Berufspendler. Quälende Kopfschmerzen und eine Unrast martern Hans, bis er im Glauben ist, sein Hirn zerspränge, erst die eine, dann die andere Schädelhälfte bräche auf, das Gehirn „klatscht[e] mit Drall gegen die Wand“. Doch nicht nur Hans’ Hirn scheint sich unter dem Druck des Funktionierens großzügig zu entleeren, auch schlägt sein ganzer Körper leck, aus jeder Pore entweicht ihm das Wasser – Hans ist nicht mehr ganz dicht.
In Miniaturen zum Glück
Die Regisseurin Barbara Bürk inszeniert die Geschichte vom modernen Hans und die Erzählung des Märchen-Hans im Wechsel in kleinen Miniaturen. Begleitet wird das Treiben der modernen und der Märchenfiguren von den beiden Musikern Markus Reschtnefki (manchmal gar virtuos auf Mobiliar und Teetassen schlagzeugernd) und Manuel Loos, die in einzelnen Passagen auch die Funktion der erzählenden Gebrüder Grimm übernehmen. Ist es eine Erzählung über den Egoismus? Im Märchen vertauscht Hans seine Abfindung für sieben Jahre harte Arbeit, einen kopfgroßen Batzen Gold, zuerst gegen ein Pferd, dann tauscht er dieses gegen eine Kuh, ein Schwein, eine Gans und schlussendlich gegen einen Wetzstein, der ihm jedoch in einem Brunnen verloren geht. Er lässt sich übers Ohr hauen, ist der gutgläubige Mensch, der dem auf den eigenen Vorteil bedachten Halunken nur zu leicht auf den Leim geht. Egomanen säumen seinen Weg, machen ihn jedoch frei von jeglichem Besitz, vom Ballast seines Lebens und letztendlich zu einem glücklichen Menschen. Und auch der moderne Hans entsagt dem kapitalistischen System, wird dabei aber selbst zum Egomanen – nach ihm die Sintflut im wörtlichsten Sinne.
Trendiger Minimalismus
Reto Finger greift mit seinem Homo Hans nicht nur moderne Mechanismen des Kapitalismus oder einer Quantified-Self Bewegung auf, sondern auch das genaue Gegenteil – die Abkehr von der Gesellschaft, das Aussteigertum und das Leben im Minimalismus, wenn sich Hans in eine Höhle in den Bergen verkriecht. Freilich werden hier wiederum moderne, trendige Konzepte, im Sinne eines „back to the roots“ aufgegriffen. Immer mehr Menschen entdecken in unserer gegenwärtigen Gesellschaft die Lebensform eines dem Besitz entsagenden Minimalismus oder einer auf Steinzeitmenschen zurückgehende Paleoernährung – zurück also zu einer „ursprünglicheren“, im Gesundheitstrend als hippe und bewusst gesunde Lebensweise verklärte Form, sein Leben zu leben. Manchmal kratzt das Stück allerdings in seinem Willen zur Unterhaltung, zu Slapstick-Momenten und grotesken Szenen eben nur an der Oberfläche der zu ergründenden Thematik. Hans im Glück ist amüsant, lädt zum herzlichen Lachen ein und hat seine großartigen Momente – etwa Matthias Eberle als völlig überspannter Effizienzmensch Zobel, der bis zum völlig eskalierenden Wahnsinn versucht, die Pendler-App „Trafficmanager“ an den Mann zu bringen, wie ein kleines trotziges Kind quengelt oder irre „FF wie Fickfotze“ schreit, oder der ewig grantelnde Otto und die „wie soll ich es sagen“ altbacken und zugleich obszöne Lehrerin (Bernd Rademacher) sowie Jana Lissovskaia als rabiate, ketterauchende Ostblock-Psychiaterin mit Dutt (Bühne/Kostüme Anke Grot).
Am Ende hat Homo Hans die Welt geflutet: mit seinem Egoismus, mit seinem Lebensstil? Fest steht, er hat es selbst in der Hand, das Ende, sein Ende und das Ende der Aufführung: Element of Crime sangen einmal „Mach das Licht aus, wenn du gehst“. Die Tiere aus dem Märchen erzählen vom Untergang der Welt und die Bühnentechniker bauen hinter vorgezogenem Vorhang die Bühne/Welt auseinander. Ein letztes Mal kommt Hans auf die kahle Bühne, er streckt den Arm, legt den Schalter um, das Licht erlischt.
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