Brave Men Run (In Her Family)

Kim Gordon - Girl in a Band   Cover: Kiepenheuer & WitschIn ihrer Autobiografie Girl in a Band strotzt die ehemalige Sonic Youth-Bassistin Kim Gordon nur so vor Selbstbewusstsein. Der eher als still und schüchtern geltende Rockstar plaudert ungewohnterweise aus dem Nähkästchen. Dabei erzählt sie nicht nur Details aus ihrem turbulenten Künstler- und Musikerleben: Gordon packt richtig aus und macht aus ihren Memoiren ein Enthüllungsbuch.

von ESRA CANPALAT

Eingefleischte Sonic Youth-Fans waren bestürzt, als die Bandmitglieder Kim Gordon und Thurston Moore, einst das Vorzeigeehepaar des Indie Rocks, 2011 ihre Trennung bekannt gaben. Das Scheitern der Ehe führte zur Trennung der seit den 1980er Jahren existierenden Noise- und No-Wave-Band. Viele Fans fragten sich, was zwischen dem seit 27 Jahren verheirateten Paar vorgefallen ist, bis Gordon im Modemagazin ELLE auspackte: Thurston Moore hatte sie betrogen. Dass Gordon mehr als verletzt war, ist sicherlich verständlich, und irgendwie ist es dieser Ikone des Rock, die so viele Frauen ermutigt hat, eine Musiker- oder Künstlerkarriere einzuschlagen, wo doch die Musik- und Künstlerszene immer noch Männerdomänen sind, zu verzeihen, dass sie die Umstände der Trennung der Öffentlichkeit ausgerechnet in einer Frauenzeitschrift preisgegeben und Moore zum Buh-Mann gemacht hatte. Natürlich thematisiert Gordon den Vertrauensbruch auch in ihrer Autobiografie. Moore und seine Geliebte, deren Namen Gordon nicht nennt – was ohnehin nicht nötig ist, gibt sie doch so viele Hinweise über diese Frau, dass eine Google-Suche den Rest erledigt – kommen selbstverständlich nicht gut weg. Aber sie sind nicht die Einzigen, die einstecken müssen.

Der Zauber ist vorbei

Zunächst aber erzählt Gordon von ihrer Kindheit in Kalifornien: von ihrem schwierigen Verhältnis zu ihrem schizophrenen Bruder, ihren intellektuellen Eltern und deren Freunden, die Gordons Entwicklung stark beeinflussten. Sie beginnt schon früh sich für Kunst zu interessieren, nimmt an Kindersommerkursen an der UCLA teil, an der ihr Vater doziert. Nach ihrem Kunststudium zieht es sie nach New York, damals das Zentrum der alternativen Kunst- und Musikszene. Der Rest ist Geschichte: Gordon lernt Moore kennen, die beiden werden ein Paar. Mit Lee Ranaldo an der Gitarre und erst Bob Bert, später Jim Sclavunos und schließlich Steve Shelley als Schlagzeuger entsteht Sonic Youth. Eine einst romantische Episode, die bereits David Browne in seiner Sonic Youth-Biografie Goodbye 20th Century beschrieben und quasi den Beginn der Band markiert hatte, wirkt mit dem Wissen über die Trennung von Gordon und Moore gar nicht mehr so zauberhaft: Als Moore erstmals in die Wohnung Gordons eintrat, entdeckte er eine Gitarre, die in der alternativen Rockszene New Yorks von einem Gitarristen zum nächsten gewandert war und die er folglich kannte. Dieses Ereignis, das die anfängliche Spannung zwischen den beiden Verliebten auflöste und legendär wurde, wirkt nun bedeutungslos, auch wenn Gordon in ihren Memoiren immer noch auf die Besonderheit dieses Zufalls hinweist.

Billy Corgan ist voll eklig

Und dann kommen neben diesen Stellen, die einem Fan durchaus die Augen öffnen und die Dinge aus der Sicht Gordons verstehen lassen, diese Lästereien. Dass Courtney Love, Frontfrau der Grunge-Band Hole, deren erstes Album Gordon produzierte, ganz schön fies sein kann, sollte dem ein oder anderen bekannt sein. Und Billy Corgan von den Smashing Pumpkins, den laut Gordon keiner mag, weil er so eine Heulsuse sei, ist übrigens voll eklig. Zugegebenermaßen berechtigt wird auch Lana Del Rey kritisiert, die durch ihre Aussage, Feminismus würde sie langweilen negativ aufgefallen war: „Today we have someone like Lana Del Rey, who doesn’t even know what feminism is, who believes it means women can do whatever they want, which in her world, tilts toward self-destruction, whether it’s sleeping with gross older men or being a transient biker queen. Equal pay and equal rights would be nice. Naturally, it’s just a persona. Does she truly believe it’s beautiful when young musicians go out on a hot flame of drugs and depression, or is it just her persona?“ Dass Miss Del Rey so einiges über Feminismus nicht verstanden hat, ist eine Sache. Es stellt sich aber auch die Frage, ob das Rockstar-Getue von Del Rey wirklich das eigentliche Problem ist, als vielmehr die androzentristische Plattenindustrie, die von Künstlerinnen verlangt, bestimmte Rollenklischees zu erfüllen, um sich besser vermarkten zu können. Als Frau, die in der Rockszene tätig ist und ständig aufgrund ihres Geschlechts diskriminiert wurde, müsste Gordon die Antwort auf die Frage wissen, ob das Bild des hilflosen Opfers wirklich der Persönlichkeit Del Reys entspricht oder einfach nur eine Rolle ist, in die sie schlüpft. Ironischerweise wird der Chauvinismus und Machismo des Musikgeschäfts sogar in dieser Angelegenheit deutlich: Gordons harsche Kritik an Del Reys Antifeminismus wird in einer Meldung des Rolling Stone als „Girl-Beef“ bezeichnet.

Männer können nicht die Wäsche machen

Besonders die feministischen Diskurse, die Gordon in ihren Memoiren einschlägt, sind lesenswert. Sie berichtet, wie stolz sie darüber sei, solch starke Frauen in ihrer Familie gehabt zu haben, was sie einst im Song Brave Men Run (In My Family) thematisiert hatte. Sie erklärt die Hintergründe für den Song Tunic: Song for Karen, der von Karen Carpenter handelt, Sängerin der Carpenters, die aufgrund des enormen Drucks ihrer Familie und der Plattenbosse magersüchtig geworden und schließlich an den Folgen gestorben war. Hier betont Gordon einmal mehr, wie schwierig und zermürbend es für eine Frau im Musikbusiness sei. Daher auch der Titel der Memoiren Girl in a Band: Gordon wurde ständig von Reportern gefragt, wie es so als Mädchen in einer Band sei. Die frauenfeindlichen Dimensionen im Musikgeschäft komprimiert auf eine einzelne Frage, die sie nie wirklich wusste, zu beantworten. Gordon erwähnt auch die Schwierigkeiten, Mutterschaft und Karriere gleichzeitig unter einen Hut zu bringen. Dabei legt sie allerdings Ansichten an den Tag, die so manch fürsorglichen Vater verärgern würden: „Like most new moms, I found that no matter how just and shared you expect the experience to be, or how equal the man thinks parenting should be, it isn’t. It can’t be. Most child-raising falls on women’s shoulders. Some things, like the laundry, are just easier to do yourself than to have explain in detail to someone else.“ Gordon macht ihre persönlichen Erlebnisse zu Allgemeingültigkeiten. Dass die Rollenverteilung in den meisten Ehen nicht gleichberechtigt ist, mag sein. Aber sie muss es ja nicht bleiben. Kategorisch auszuschließen, dass Männer in der Lage sind, die Wäsche zu machen, ist genauso diskriminierend. Die Beziehung zwischen einer Mutter und einem Kind ist selbstverständlich schon aus biologischer Sicht intensiver, dennoch gibt es durchaus Männer, die in den Erziehungsprozess genauso sehr miteinbezogen werden wollen.

Kürzlich sagte Gordon in einem Interview in der Marie Claire, dass sie ihre Memoiren wegen Patti Smiths Autobiografie Just Kid’s geschrieben habe. Während Patti Smith stilistisch gesehen ein wunderbares, einfühlsames Buch geschrieben hat, erwecken Gordons Memoiren eher den Eindruck eines Enthüllungsbuchs. Es scheint, als wolle sie aller Welt zeigen, wie selbstbewusst sie nun ist, trotz der Trennung von Moore, die sie mehr als verletzt hat. Das ist aber nicht nötig, denn wahre Fans wussten bereits, welches grandiose Potenzial in dieser starken Frau steckt.

Kim Gordon: Girl in a Band
Dey Street Books, 288 Seiten
Preis: 14,95 Euro
ISBN: 978-0062295897

(Die deutsche Ausgabe ist seit April bei Kiepenheuer & Witsch erhältlich)

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