Die alte Dame bläst zur Großwildjagd

"Der Besuch der alten Dame" am Schauspielhaus Bochum   Foto: Thomas AurinAm Donnerstag brachte Intendant und Regisseur Anselm Weber Dürrenmatts Der Besuch der alten Dame und damit nach ihrer sechsjährigen Bochumer Abstinenz auch Mechthild Großmann in der Rolle der Milliardärin Claire Zachanassian auf die Bühne des Schauspielhauses Bochum. Das Stück um Liebe, Verrat und den verzweifelten Versuch, den zerplatzten Traum eines glücklichen Lebens durch Geld zurückzugewinnen, bedeutete für Friedrich Dürrenmatt den endgültigen Durchbruch – von seinem Biss, seinem hintergründigen Humor und den zeitlosen Diskursen über Moral und die Käuflichkeit des Menschen ist jedoch in der Bochumer Inszenierung leider nicht mehr viel zu sehen.

von ANNIKA MEYER

Die Milliardärin Claire Zachanassian, ehemals Klara Wäscher, besucht nach 45 Jahren  ihr Heimatstädtchen Güllen, das inzwischen völlig verarmt ist und dessen Bewohner sich eine großzügige Finanzspritze ihres ehemaligen Gemeindemitglieds erhoffen. Doch der Deal hat es in sich: Eine Milliarde bietet die alte Dame, wenn ihr dafür ihr ehemaliger Geliebter Alfred Ill tot ausgeliefert wird, der sie, damals erst 17-jährig und schwanger, durch Meineid und Verleumdung zur Hure deklarierte, woraufhin sie Güllen verlassen und sich im Bordell durchschlagen musste. Zwar kam sie durch zahlreiche Ehen noch zu übermäßigem Wohlstand, doch die Demütigung und den Verrat Alfred Ills konnte sie niemals vergessen. Natürlich lehnt die Stadt das unmoralische Angebot entrüstet ab, doch es dauert nicht lang, bis der in Aussicht gestellte höhere Lebensstandard die Güllener zunehmend beeinflusst und Ill sich mit seinem Todesurteil abfinden muss.

Das Zauberhexchen trifft den schwarzen Panther

Die Bochumer Fassung ist knackig, in gerade mal 100 Minuten erlebt man den Aufstieg der einst in trostlosem Beige gekleideten Kleinstädter zu gut betuchten Anzugträgern (Kostüme: Irina Bartels). Doch der Reihe nach. Güllen ist ein mit Tribünen versehenes schwarzes Rondell (Bühne: Alex Harb), der Zuschauersaal bildet den inzwischen fast nur noch zur Durchfahrt genutzten Bahnhof. Hier hören wir den Zug Hamburg-Neapel durchrasen, die Bewohner betreiben lustlos Trainwatching und warten auf die Ankunft der Milliardärin Zachanassian (Mechthild Großmann). Diese wird von ihren Lakaien auf einer Bahre hereingetragen, bevor sie auf ihren ehemaligen Liebhaber Alfred Ill (Matthias Redlhammer) trifft und ihn durch die gegenseitigen Kosenamen an ihre Vergangenheit erinnert. Großmann zeigt ein wunderbares Repertoire an menschlichen Gefühlen – mal wirkt ihre alte Dame überlegen, kühl und verbittert, mal stampft sie wütend durch die Arena, in der ihr damaliger Peiniger später um sein Leben kämpft, mal spielt sie tiefe Verletzbarkeit. Sie ist keine Rachegöttin, sondern eine nicht vergessen könnende gequälte Seele. Immer dominiert sie mit Stimme und körperlicher Präsenz die Bühne, spricht aber leider zu häufig ihre großen Worte bedeutungsschwanger ins Publikum, statt sie an ihr adressiertes Gegenüber zu richten. Redlhammer hingegen verkörpert wunderbar das gehetzte (Raub-)Tier, das erst naiv, später skeptisch und schließlich angsterfüllt miterlebt, wie das Städtchen immer mehr anschreiben lässt und sich so nach und nach an den neuen Wohlstand gewöhnt, der letztendlich nur durch seine Ermordung gesichert werden kann. Leider ist das auch die einzige Phase des Stücks, in der Redlhammer zu überzeugen weiß. Anfangs zeigt er lediglich den naiv-harmlosen Ill, der als einstige große Liebe der Zachanassian die Milliardärin umgarnen soll, um eine kleine Geldspende für Güllen zu erhalten. Von Verunsicherung, Gewissensbissen oder wenigstens Bedenken ob der fatalen früheren Geschehnisse keine Spur. Hier fehlt die psychologische Tiefe, die selbst ein erfolgreich verdrängender Ill noch ansatzweise aufzeigen müsste. Und auch als er die späten Konsequenzen seines Vergehens akzeptiert und damit endlich wahre Größe zeigt, wirkt Redlhammers Ill eher wie ein trotzig-entschlossenes Kind und weniger wie Dürrenmatts zynische Christusfigur, die die Sünden auf sich nimmt und sich für das Gemeinwohl opfert.

"Der Besuch der alten Dame" am Schauspielhaus Bochum   Foto: Thomas AurinFarblose Prototypen und fehlende Diskurse

Die Bühne des unterschwelligen Verderbens der Stadt und des langsamen Fortschreitens der Rache Claire Zachanassians wird kreativ mal als Kampfplatz, mal als Waldlichtung, Ills Laden oder als Tribunal bespielt, immer souverän interpretiert von der Musik Oliver Siegels. Das restliche Ensemble bleibt darin leider farblos, dient lediglich als funktionale Prototypen im Schicksalsspiel der Milliardärin. Ausnahmen bilden Marco Massafra als anfangs in Schuljungenmanier Redenschwingender Bürgermeister, der sich zur souveränen Stimme der beeinflussten Gemeinde entwickelt, und Roland Riebeling, der als Lehrer im angetrunkenen Zustand bis fast zuletzt für den Humanismus in der Stadt kämpft und zu Beginn im Waldorfoutfit nett überzogen den Güllener Chor einstimmt. Dieser singt nach Ablehnung des unmoralischen Angebots Beethovens Neunte – denn „noch leben wir in Europa“.

Das war’s auch mit dem schon zu Dürrenmatts Zeiten modernen Diskurs über die immer stärker werdende Käuflichkeit des Menschen und die Frage, was ein Leben heutzutage wert ist. Dürrenmatts „tragische Komödie“ bietet eigentlich genügend Material, um über Gerechtigkeit, Moral und den Sinn von Rache zu debattieren, dies wird hier jedoch weitestgehend ausgelassen – stattdessen plätschert die Geschichte belanglos dahin. Wir erleben, wie die Güllener sich immer besser kleiden und stellvertretend durch neue Smartphones der Reichtum und die Bestechlichkeit überhandnehmen. Das wirkt manchmal bitterböse erheiternd, an Dürrenmatts grausamen Zynismus und seine sprachliche Finesse reicht es bei Weitem nicht heran. Auch die absurden Zutaten des Dramas, wie die blinden Kastraten Koby und Loby, oder der zynische antike Chor am Ende des Dramas fallen der zu drastischen Dramaturgie zum Opfer. Hier wird weder Tragödie noch Komödie gezeigt und man ist froh, als die alte Dame endlich den toten Ill in Empfang nimmt. Der traurigen Jägerin wurde der „Traum von Leben, von Liebe, von Vertrauen“ nicht zurückgegeben, doch wir haben die Jagd nach dem einstigen schwarzen Panther überstanden: „Die Sau ist tot“.

 

Informationen zum Stück

 

Nächste Vorstellungen:
Dienstag, der 12. Mai
Freitag, der 15. Mai
Samstag, der 16. Mai

 

 

 

 

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