Frankenstein trifft Eliza Doolittle

Spielzeitpräsentation 2015/16 am Schauspiel EssenEs erwarten uns zwar noch einige Premieren, bevor die Theater Nordrhein-Westfalens in die Sommerpause gehen, doch die neue Spielzeit will schon vorbereitet und präsentiert sein. Das Schauspiel Essen stellte nun sein Programm für die Spielzeit 2015/16 vor, das unter dem Motto Werte zählen die Frage aufwirft, welche Moralvorstellungen und Ideale im Leben wichtig sind. Ein Einblick.

von ANNIKA MEYER

Schon zu Beginn der Spielzeitpräsentation verspricht Pressechef Martin Siebold ein Programm, das eine gute „Alternative zum Fernsehabend“ bieten soll. Mit Verweis auf Regisseur Hermann Schmidt-Rahmers Aussage in der WELT wolle man Theater bieten, das „wirklich relevant“ sei. Und so wird die Saison 2015/16 ein facettenreiches Portrait des heutigen Menschen zeigen, der – ob durch Technik, Erziehung oder die Einflüsse der Gesellschaft – stets optimiert wird. Die Spielzeit wird Nick Dears Londoner Fassung von Mary Shelleys Frankenstein am 19. September eröffnen. Regisseur Gustav Rueb präsentiert in der deutschen Erstaufführung die Idee und Perversion der Erschaffung eines künstlichen, „perfekten“ Menschen – ein Gedanke, der in der heutigen Medizin gar nicht mehr so fern liegt.

Hermann Schmidt-Rahmers Ich habe nichts zu verbergen – Mein Leben mit Big Data musste aufgrund der jüngsten politischen Ereignisse in Deutschland und Europa der Premiere Wir sind die Guten nach Mark Ravenhill weichen. Nun wird am 03. Oktober die Bereitwilligkeit, uns zum gläsernen Menschen zu machen, in unterhaltsamen Szenenfolgen auf die Bühne gebracht.

Zwischen Leichtigkeit und Kontroverse

Der im Musical-Format My Fair Lady scheinbar harmlose Pygmalion-Stoff wird in der Inszenierung von Robert Gerloff am 05. Dezember aufgeführt: Das ungebildete Blumenmädchen Eliza Doolittle wird von Sprachfanatiker Henry Higgins zu einer echten Dame umerzogen – dabei verliert er jedoch aus den Augen, dass es sich bei seinem Schützling um ein menschliches Wesen und nicht um ein bloßes Versuchsobjekt handelt. Einen Balanceakt zwischen heutiger Skrupellosigkeit und der Herausforderung, in der modernen Gesellschaft mit Güte und Freundlichkeit erfolgreich zu sein, bietet Moritz Petersʼ Inszenierung von Brechts Der gute Mensch von Sezuan (Premiere: 29. April 2016).

In der Casa Essen beginnt die neue Spielzeit am 02. Oktober mit der Uraufführung von Noah Haidles Das beste aller möglichen Leben (Regie: Thomas Krupa). In der „pechschwarzen Komödie“ muss sich das junge Ehepaar East und Naomi mit dem Problem auseinandersetzen, dass sich ihr Findelkind in rasender Geschwindigkeit entwickelt und lernt, somit aber auch nach kaum einer Stunde schon an der Kippe und am Kaffeebecher hängt. Wie verhindert man, dass die dem rasant wachsenden Säugling bereits drohende Midlife-Crisis Lebensideale zerstört, bevor sie ihm überhaupt erst ans Herz gelegt werden?

Die Inszenierung Seymour oder Ich bin nur aus Versehen hier persifliert durch das Setting – ein Diätcenter für dicke Kinder – den immer stärker werdenden Körperkult. Premiere feiert das Stück der vielfach prämierten Essener Autorin Anne Lepper am 19. Februar 2016 in der Casa.

Abseits des regulären Spielplans

Diverse Sonderveranstaltungen ergänzen den Essener Spielplan. Ein besonderes Highlight ist sicherlich die Kooperation mit der Ruhrtriennale: Im Rahmen eines „Masterclass“-Projekts und in Zusammenarbeit mit dem Ringlokschuppen und dem Theater Oberhausen können drei junge Theaterkollektive Projekte entwickeln und in den beteiligten Städten aufführen. Und bei der von Ruhrtriennale-Intendant Johan Simons konzipierten Ringlesung von Alex Rossʼ The Rest is Noise gibt das Essener Ensemble am 05. November den Auftakt, bevor in Moers, Dortmund, Oberhausen, Mülheim und Bochum weitergelesen wird. Interesse geweckt? Weitere Einblicke in die neue Essener Spielzeit gibt es bei der Spielzeitmatinee am 21. Juni und beim Theaterfest am 29. August.

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