Alexandra Friedmann trifft mit ihrem autobiografischen Roman Besserland auf eine hochaktuelle Thematik. Doch ihre biografische Odyssee durch Europa enttäuscht im Angesicht der aktuellen Flüchtlingsproblematik.
von ALINE PRIGGE
Es ist grau, das Bild, das die Erzählerin vom weißrussischen Gomel der 1980er Jahre zeichnet. Ihre Mutter Lena überarbeitet sich im Keller des Bauamtes mit ihrem geliebten Zentralcomputer und ihr Vater Edik verbringt die Arbeitszeit mit Marktbesuchen und Kartenspielen. Doch die Perestroika unter Michail Gorbatschow soll ihnen das große Glück bringen, und so gründen Edik und sein ehemaliger Geschäftspartner 1987 eine Kooperative. Auch Lena gibt ihre Arbeit auf und kümmert sich von nun an äußerst kreativ um die Buchhaltung. Doch während Edik versucht, seinen Handwerkern die krummen Dinger abzugewöhnen, verstrickt er sich selbst immer weiter in seinem gewerblichen Beschiss am sozialistischen System.
„Der Truthahn dachte auch, er könnte die Köchin heiraten. Und ist in der Suppe gelandet“
Nachdem Edik seine Kooperative in den Dreck fährt, satteln er und sein Geschäftspartner um und schließen sich ihrem alten Freund Tolik an, der sich mit dem Verschicken von Anleitungen zur kapitalistischen Unternehmensumstrukturierung selbstständig gemacht hat und expandieren will. Das Geschäft läuft gut, so gut, dass die Aufsichtsbehörde der KPdSU es lieber schließt, und Edik, der bereits in jungen Jahren durch ein Missverständnis beim KGB aufgefallen ist, bleibt von nun an zu Hause. In den tristen Arbeitslosenalltag platzt plötzlich Mischa herein, der eine Ausreiseerlaubnis nach Amerika bekommen hat, und steckt Familie Friedmann mit dem allgemeinen Fieber der Auswanderung an.
„Es ist wie ein Märchen, nur dass es wahr ist!“, schwärmt Edik seiner zweifelnden Frau und verwirrten Tochter vor und verspricht einen einfachen Weg und am Ende das große Glück: „Stell dir vor, wir machen bald eine lange Reise. Eine Abenteuerreise. In ein fernes, wundersames Land.“ Dass es nicht ganz so einfach ist, erkennt Edik, als er mit zwei verzweifelt jammernden Frauen und mehreren Taschen voll verbotener Ware im Übergepäck versucht, nach den Strapazen der Ausreisevorbereitungen durch den Zoll zu kommen. Als sie es endlich schaffen, ist ihr Zug nach Wien – der ersten Station auf dem Weg ins Besserland – bereits abgefahren und fast ihr gesamtes Hab und Gut auf russischem Grund geblieben. Von hier entspinnt sich eine wahre Abenteuergeschichte, die weder Edik noch Lena oder die befreundete, mit emigrierende Familie Großmann so erwartet hatte.
Ganz der Vorhersage der Ticketverkäuferin nach, schaffen die Friedmanns und Großmanns es nicht ins Besserland Amerika. Stattdessen, so erfahren sie von Jossik – einem Gauner der Profit mit den Auswanderern der Sowjetunion macht –, ist Besserland schon direkt vor ihrer Nase: „In Deutschland aber, meint er, ist das kein Problem. Ein bombensicheres Sozialsystem, man bekommt eine Wohnung mit zwei Kinderzimmern, sagt er. Geld für die Möbel, […] Dort sind die Straßen so sauber wie mein Hintern nach der Sauna, sagt Jossik, nicht wie in Brooklyn, wo wir dieselbe ukrainische Räucherwurst fressen werden ein Leben lang, wir müssen nur politisches Asyl beantragen, und wir sind gemachte Leute….“
Endlich Deutschland
Wie schwierig das Emigrieren doch ist, stößt vor allem Großmanns bitter auf, während die mittlerweile fünfjährige Erzählerin sich auf den ultimativen Geschmack Besserlands konzentriert – Nutella. Doch Ediks zügelloser Optimismus, dass sich schon alles irgendwie fügen wird, fegt alle Zweifel und Probleme davon, und endlich gelingt der Erzählerin der naiv kindliche Blick, der vorher verwehrt geblieben ist, durch Ediks und Lenas Augen, die alles Neue aufgeregt bestaunen und Besserland außerhalb von Gewalt und Verbrechen wähnen.
Sie sehen sich auch mit den typischen Problemen von Asylsuchenden konfrontiert. Da ist die Sprachbarriere, die Langeweile ohne Arbeitserlaubnis, Geldmangel, das Bangen um die Genehmigung des Asylantrags und schließlich die Erkenntnis, dass die Tochter die eigene Sprache nicht als ihre Muttersprache ansehen wird und sie vielleicht bereits verlernt hat.
Doch all diese Probleme der Einfindung in einem neuen Land, in einer neuen Kultur, scheinen niemanden ernsthaft zu betreffen. Jede Schwierigkeit wird von der Leichtigkeit Ediks und seinen Bemühungen, den Rest der Familie nach Besserland zu holen, getragen. Alles fügt sich durch glückliche Zufälle und die Hilfe des Lehrers Krämer, der als helfende Hand und Übersetzer der Familie das ein oder andere Mal aus der Patsche hilft. Der einzige richtige Konflikt scheint die Streitigkeiten zwischen Lena und ihrer Schwiegermutter zu bleiben, bis auch für sie eine eigene Wohnung gefunden ist.
Besserland ist getragen von einer Leichtigkeit, bei der man sich manchmal wünscht, dass ebenso eine gewisse Schwermut Eingang in den Text gefunden hätte. Dass es für die Familie nicht immer einfach war, in Deutschland Fuß zu fassen, wird durchaus verständlich, trotzdem gelingt es der Autorin nicht, ihre Reise so zu beschreiben, dass sie dauerhaft berührt. Viel eher lässt die Laissez-faire-Einstellung, die die Autorin ihrem Vater zuschreibt, die Probleme nichtig erscheinen, was auch sein Talent, aus jeder Situation das Beste zu machen, herabwürdigt. Den Kinderblick, der die Möglichkeit eines besonderen Mitfühlens gäbe, setzt die Autorin zugunsten einer auktorialen Erzählperspektive aus, die mit kindlichen Augen nur noch wenig zu tun hat. Und so stellt man das Buch nach ein paar durchaus amüsanten Stunden zurück ins Regal, ohne den darin geschilderten Schicksalen nähergekommen zu sein. Schade. Denn mit dem Überlebenskampf, den Flüchtlinge aus aller Welt an Land und zu Wasser auf sich nehmen, um eine neue Heimat zu finden, hat Alexandra Friedmanns Besserland nicht viel zu tun, ja lässt sogar fast vergessen, wie schlimm die Schicksale sein können.
Alexandra Friedmann: Besserland
Ullstein, 272 Seiten
Preis: 14,99 Euro
ISBN-13: 9783843709248