Der absente Protagonist

Steven Bloom - Das positivste Wort der englischen Sprache   Cover: WallsteinDas positivste Wort der englischen Sprache von Steven Bloom bietet ein Panorama der letzten fünfzig Jahre der amerikanischen Geschichte. Mit seinen sonderbaren Figuren, einem beinahe schon wortlosen Protagonisten und bissigen Dialogen, die die vorurteilsvolle amerikanische Gesellschaft widerspiegeln, hat Bloom einen unaufgeregten, dennoch mitreißenden Roman geschrieben.

von ESRA CANPALAT

Norman Goldstein lebt in New York, ist Student und arbeitet nebenbei bei der Post. Am College lernt er seine schwarze Kommilitonin Savannah kennen und beschließt, sie trotz der gesellschaftlichen Widerstände – und die sind besonders während der Rassenunruhen der 1950er und 1960er Jahren enorm – zu heiraten. Was folgt, ist eine Reise durch die letzten fünfzig Jahre der USA, von den bereits genannten Rassendiskriminierungen, Martin Luther Kings Kampf für die Rechte der Afroamerikaner, John F. Kennedy, dem Vietnamkrieg bis zu den Anschlägen auf das World Trade Center. Norman wird Sozialarbeiter, beginnt zu schreiben und wird schließlich Dozent. Dabei ist er zwar der Protagonist dieser Tour der amerikanischen Kulturgeschichte, aber irgendwie wirkt der schüchterne Brooklyner für den Leser genauso fern und unnahbar wie für die Nebenfiguren selbst.

Jetzt kommen mal die anderen zu Wort

Das liegt vor allem am Schreibstil Blooms. Er bringt das Wesentliche auf den Punkt, ohne viel drum herum zu reden, aber auch ohne dass man als Leser das Gefühl hat, dass der Text Leerstellen hat, dass einem wichtige Informationen vorenthalten werden oder die Figuren nur wie Schablonen wirken. Die Kapitel sind kurz, gehen teilweise noch nicht einmal über eine Seite und sind herrlich pointiert geschrieben. Besonders die Dialoge zwischen Norman und seinen skurrilen Mitmenschen kommen wie aus der Pistole geschossen. Wenn Norman überhaupt mal etwas sagt, denn der hält sich meistens zurück und lässt lieber seine Gesprächspartner über Gott und die Welt lamentieren. Obwohl eine personale Erzählsituation vorherrscht und aus der Sicht Normans erzählt wird, ist es, als seien die anderen, redseligen Figuren die Handlungstragenden des Romans. In gewisser Weise ist Norman ein absenter Protagonist, der lieber die schrägen Ansichten seiner Mitmenschen für sich sprechen lässt, als diese zu kommentieren.

Die Skurrilität der Zeitgenossen

Da ist beispielsweise Normans Kollege Phil, der die Post anderer Menschen liest und beim Mokieren über die bürokratischen Hürden auf der Arbeit mal eben einen philosophischen Diskurs einschlägt: „Kommen wir jedoch zum größten Glück für die größte Zahl zurück. Ich werde aus dem Postdienst der Vereinigten Staaten entlassen, weil ich nicht gewillt bin, bei einem Betrug zum Nachteil eben dieses Dienstes mitzumachen. Nicht so groß wie die Ironie, dass sich dort, wo die Eiche stand, unter der Goethe saß und schrieb, später das Gelände des Konzentrationslagers Buchenwald befand, aber doch Ironie genug. Die Frage, der wir uns auf Umwegen genähert haben, lautet, ob die Tatsache, dass ich mehr Briefe als jeder andere im Südstaaten-Gang sortiere, das größte Glück für die größte Zahl mehrt oder nicht. Wir konnten anhand eines Briefwechsels die Unsicherheit unseres Wissens aufzeigen. Alles menschliche Wissen ist nach Bertrand Russels kluger Feststellung ungewiss, ungenau und unvollständig.“ Oder sein Unikollege Professor Cogan, der auf die Richtlinie in loco parentis pfeift und bei einer Fakultätssitzung die anderen Professoren wegen ihrer strikten Verfolgung dieser Regel als Faschisten beschimpft. Oder die leicht antisemitische Mutter seiner Freundin Vashti, die Norman am Essenstisch über eine angeblich jüdische Weltverschwörung ausquetscht: „Wenn ich es recht verstehe, Professor, sagte Vashtis Mutter, steckt Paul Wolowitz hinter dieser ganzen Sache im Irak. Und da Juden bekanntermaßen zusammenhalten…“

Sie schlummern in jedem von uns

Genau das ist das besonders Lesenswerte an diesem Roman: diese absurden, politisch unkorrekten und voller Vorurteile strotzenden Auffassungen der Zeitgenossen Normans, die durch diese bissigen Dialoge (oder gar Monologe, hält sich Norman doch wirklich die meiste Zeit im Hintergrund) zutage treten und die Verkommenheit der Gesellschaft widerspiegeln, die sich bis ins 21. Jahrhundert, bis in die Ereignisse um 9/11 weiterziehen und sich in keinster Weise verändern. Dabei beleuchtet Norman in seiner stillen Position als Beobachter, dass Vorurteile in jeder Gesellschaft vorherrschen, ganz gleich, welche Hautfarbe man hat, welcher Religion man angehört oder welche politische Position man vertritt. Sie schlummern in jedem von uns, in den unbekannten Menschen um uns herum, aber auch in unseren Familienangehörigen und Freunden. Neben diesen amüsierenden Schnitzern geht es in Blooms Roman aber vor allem um die Liebe, um die Möglichkeit persönlichen Glücks in dieser schrägen Welt, um das Loslassen von Bedenken und darum, sich und seinem Glück nicht im Weg zu stehen. So gelingt es Norman, trotz seiner distanzierten, verkopften Art im Alter eine unkomplizierte Form der Liebe zu finden.

Steven Bloom schafft es mit dieser unaufgeregten, fast schon nüchtern geschriebenen Geschichte den Leser bis auf die letzten Seiten mitzureißen. Die im Roman behandelten Vorurteile und kruden Ansichten zeigen zwar das moralische Konfliktpotential menschlichen Zusammenlebens auf, doch der Leser wird keineswegs pessimistisch und desillusioniert zurückgelassen. Im Gegenteil: Die Skurrilität und Absurdität dieser Denkarten werden auf amüsante Weise enthüllt, sodass der Leser nicht anders kann, als lachend statt fassungslos den Kopf zu schütteln. Das positivste Wort der englischen Sprache ist aber auch ein Roman über die Liebe, die nicht als Gegenentwurf zu der schlechtesten aller Welten idealisiert wird, sondern als eine Gelegenheit, den Wahnsinn des Alltags zu überstehen. Und was ist jetzt das positivste Wort der englischen Sprache? Wer das wissen möchte, der lese bitte den kurzweiligen Roman selbst. Oder Joyces Ulysses.

Steven Bloom: Das positivste Wort der englischen Sprache
Aus dem amerikanischen Englisch von Silvia Morawetz
Wallstein, 150 Seiten
17,90 Euro
ISBN: 978-3-8353-1597-6

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