George Bernard Shaw vertrat die Meinung, Shakespeare überließe schon im Titel allein dem Publikum die Bewertung seiner Komödie: As YOU like it. Roger Vontobel fühlte sich als Regisseur ebenfalls angesprochen, Wie es Euch gefällt so zu inszenieren, wie es ihm gefiel, und brachte seine Version der Shakespeareʼschen Komödie auf die Bühne, die auch dem Publikum am Schauspiel Köln sichtlich gefiel.
von VERENA SCHÄTZLER
Orlando liebt Rosalind, Rosalind liebt Orlando. Alles könnte so einfach sein. Aber er ist der Sohn von Rowland de Bois, einem Feind des Usurpators und neuen Herzogs Frederick, und sie die Tochter des in der Verbannung lebenden älteren Bruder Fredericks. Aufgrund dessen müssen beide – getrennt voneinander – vom Hof fliehen. In Verkleidung trifft Rosalind dann in den Ardenner Wäldern auf Orlando, aber beide finden nicht sofort zueinander.
Bei Shakespeare heißt es: „Die ganze Welt ist Bühne und alle Frauen und Männer bloße Spieler, sie treten auf und gehen wieder ab.“ Ein Umstand, der im Haus des Frederick auch zu stimmen scheint. Vontobel lässt den neuen Herrscher, wie in einer Castingshow, Familienmitglieder und Untergebene dirigieren: „Und eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht und Stopp! – Und Abgang!“ Leider entgleitet ihm die Kontrolle über seine ‚Marionetten‘. Die Menschen machen, was ihnen gefällt: Sein Volk liebt seine Nichte, deren Vater er vom Thron stieß und anschließend verbannte, seine Nichte verliebt sich in einen Mann, von dem er nichts hält, seine Tochter liebt ihre Cousine und flieht mit ihr in den Ardenner Wald. Entgegen Shakespeares Aussage, treten die Schauspieler bei Vontobel aber nicht vollständig ab. Sie sind zwar nicht mehr Teil des Geschehens, aber dennoch auf der Bühne präsent, sitzen sie doch links und rechts am Rande der Bühne. Dort unterhalten sie sich, bis sie wieder ihren Einsatz haben, ziehen sich um, trinken Champagner oder warten einfach ab.
Frau ist Mann und Mann ist Frau – oder auch nicht!
Schon zu Shakespeares Zeit gab es auf der Bühne ein Spiel mit den Geschlechtern. Es ist auf die Konvention zurückzuführen, dass Frauen der Zugang zur Bühne verwehrt war. So spielten Männer auch die Frauenrollen, was in Wie es Euch gefällt auf die Spitze getrieben wird. Hier spielt Rosalind den Mann Ganymed, der die Frau Rosalind spielt: Niklas Korth mimt überzeugend schüchtern eine Frau, die sich als Mann verkleidet, der vorgibt eine Frau zu sein. Alles, was für den Wechsel in ein anderes Geschlecht nötig ist, ist den rosa Kuschelpullover auszuziehen (Kostüme: Tino Rudolph), um sich mit nacktem Oberkörper als Mann zu ver‚kleiden‘.
Roger Vontobel gefällt dieses Verwirrspiel und er treibt es mit Leichtigkeit noch weiter auf die Spitze. Frauen können Männer spielen, wie Katharina Schmalenberg, die zierlich und doch machohaft den größten Ringer an Fredericks Hof, Charles (Johannes Benecke), besiegt. Vermeintliche ‚Zuschauer‘ aus dem Publikum können in das Geschehen auf der Bühne eingreifen und so zu Schauspielern werden, wie Phoebe und Silvius (Lou Zöllkau und Thomas Brandt). Männer können auch andere Personen ihres Geschlechts spielen. Robert Dölle setzt sich die verspiegelte Sonnenbrille auf und wird zu Herzog Frederick. Nur in Unterhose wird er zum älteren Herzog, der im Ardenner Wald lebt und zum Baum wird oder zum Schaf. Jedem alles so, wie es ihm/ihr gefällt!
Die Welt ist eine Bühne oder ein goldener Käfig!
Die Welt ist eine Bühne, und die Bühne im Depot ist leer, abgesehen von dem erhöhtem Thron, von dem aus Frederick seine Ansagen brüllt, und dem bunten Teppich, auf dem der Thron steht (Bühne: Claudia Rohner). Mehr braucht Vontobel nicht, um sein Verwirrspiel zu inszenieren. Und mehr ist auch nicht nötig, denn dieses ‚Nichts‘ hat es in sich oder besser gesagt ‚auf‘ und ‚unter‘ sich. Zum Szenenwechsel vorne hochgezogen, wird der Teppich zum Ardenner Wald, an dessen Bäumen sich der schmachtende Orlando auslässt, indem er sie mit Liebesgedichten zukleistert. Durch ein Loch im Boden gelangen die Flüchtenden in die Freiheit.
Zum Ende hin hinten hochgezogen, erschließt sich die ganze Raffinesse: Der Teppich ist ein Puzzle aus Aktfotos und bekannten Gemälden, und um das Loch im Boden steht „Golden Cage“. Aus dem Goldenen Käfig an Fredericks Hof in die Freiheit des Ardenner Waldes, heißt es hier für die Figuren Orlando und Rosalind, aus den Zwängen der Geschlechterrollen in die Freiheit des ‚Alles ist möglich‘ für die Schauspieler. Unter dem Boden ist alles leer und schwarz. Wie weit diese neugewonnen Freiheit geht oder ob sie absolut ist, wird allerdings nicht ersichtlich. Vielleicht muss nicht, aber es kann alles möglich sein.
Roger Vontobel hat wieder einmal gezeigt, dass er seinem Ruf gerecht wird, „altehrwürdige Texte mit unverstelltem, unideologischem Blick wieder auf der Bühne zum Sprechen zu bringen. Als wär’s das erste Mal.“ So auch im Kölner Depot. In der Übersetzung von Jürgen Gosch und Angela Schanelec geht es modern zu: Es wird derb, prollig, aber immer wieder auch poetisch, sich lächerlich gemacht, gelacht und geklatscht. Alles auf der Welt und auf der Bühne kann möglich sein, wenn man nur den Mut hat, sich von althergebrachten Zwängen zu befreien und den Goldenen Käfig zu verlassen. Man muss nur tun, was einem gefällt.
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