Leichtigkeit auf erträgliche Art

Milan Kundera - Das Fest der Bedeutungslosigkeit   Cover: Carl Hanser VerlagDas Fest der Bedeutungslosigkeit, nach 15 Jahren der erste neue Roman von Milan Kundera, kommt ziemlich luftig daher. Und das liegt nicht nur an Seitenzahl und Zeilenabstand.

von KARIN BÜRGENER

Seit etwa 200 Jahren ist Paris die Hauptstadt der Flaneure, woran selbst U-Bahnen und Stadtautobahnen nichts ändern konnten. Und so streift der Leser in Milan Kunderas neuem Roman mit einer Gruppe Männer durch die Stadt und sieht sie mit einem exzentrischen, schrulligen Blick aus ganz unterschiedlichen Perspektiven.

Der Nabel der Welt

Alain erblickt in den Auswüchsen der Mode eine ganze Philosophie: Was sagt es über eine Gesellschaft aus, wenn junge Mädchen plötzlich nicht mehr Beine oder Dekolleté, sondern den Bauchnabel zeigen, jener Körperteil, der auf die Verbundenheit zu einem anderen Körper hinweist? Dass Alain von seiner Mutter im Alter von zehn Jahren verlassen wurde, mag in seine gedanklichen Ausschweifungen mit hineinspielen.

D’Ardelo berichtet seinen Bekannten, dass er Krebs habe, obwohl ihm sein Arzt gerade das Gegenteil bestätigt hat. Er zieht weder einen Nutzen aus dieser Lüge, noch findet er an der Reaktion der anderen übermäßig Gefallen – ob es letztendlich nichts als Langeweile ist, was ihn zu dieser makabren Vorstellung treibt?

Er ist nicht der Einzige, der seiner Umgebung etwas vorspielt: Caliban – er trägt nicht ganz zufällig den Namen einer Figur aus Shakespeares Sturm – ist eigentlich Schauspieler, schlägt sich aber mangels Engagement als Kellner durch. Doch das heißt nicht, dass er seinen eigentlichen Beruf aufgegeben hätte: Auf Abendgesellschaften spielt er aufgrund seines exotischen Äußeren eine pakistanische Aushilfskraft, tut so, als ob er kein Französisch verstünde und redet in einer erfundenen Sprache, die für ihn nach Urdu klingt. Ob jemand der Anwesenden sein wirklich gekonntes Schauspiel zu schätzen weiß, ist ungewiss.

Sein Bekannter Charles ist ebenfalls ein verkanntes Unterhaltungstalent: Er erzählt seinen Mitmenschen Anekdoten über Stalin, die eigentlich kaum zum Lachen sind. Hier äußert sich Kunderas Verbundenheit zu seiner tschechischen Heimat, welcher er nach dem Prager Frühling und der Rückkehr des Stalinismus den Rücken kehrte und fortan in Frankreich lebte. Schon sein großer Roman Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins von 1984 behandelt diese politisch brisante Thematik.

All seine ungewöhnlichen Helden treffen bei dem titelgebenden Fest der Bedeutungslosigkeit aufeinander, bei dem eigentlich nichts Außergewöhnliches passiert – zumindest auf den ersten Blick, denn unter der Oberfläche löst sich hier einiges auf.

Die Kunst eines unprätentiösen Stils

Die kurzen, manchmal nur wenige Zeilen in Anspruch nehmenden Kapitel tragen herrlich unspektakuläre Überschriften wie Eine Frau steigt aus ihrem Auto Der Armagnac rinnt über das Parkett, Sie fährt nach Hause zurück oder Ramon geht. Auch ohne außergewöhnliche, noch nie dagewesene Begebenheiten zu erzählen, weiß der Autor immer wieder zu überraschen. Er beherrscht die seltene Kunst, ganz einfache Dinge aus einem ungewöhnlichen Blickwinkel zu betrachten. Und genau das macht den Zauber dieses kurzen Büchleins aus, das den Leser noch lange in seinem Bann behält.

Ist denn alles wirklich so bedeutungslos, wie uns der Titel glauben machen will? Es stimmt schon, der Text handelt von kaum etwas, das eine Bedeutung besitzt – und erscheint doch als ein Nichts, in dem Alles möglich ist. So sind es doch Belanglosigkeiten, Zufälle, flüchtige Begegnungen und eine ungeheure Fülle an ungenutzten Möglichkeiten, die die Summe eines Lebens ausmachen. Zum Glück gibt es die Komik, um das alles erträglich zu machen.

Milan Kundera: Das Fest der Bedeutungslosigkeit.
Aus dem Französischen von Uli Aumüller
Carl Hanser Verlag, 144 Seiten
Preis: 16,90 €
ISBN-13: 978-3446247635

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