C/O Berlin zeigt Sebastião Salgados Zyklus Genesis. Der Fotograf will die Natur zeigen und kommt dabei nicht los von überkommenen Darstellungsweisen. Ein Kommentar
von CHRISTIAN A. BACHMANN
Sebastião Salgados Genesis ist nach Stationen unter anderem in Toronto, London, Paris, Singapur und Stockholm seit Mitte April bei C/O Berlin zu sehen. Seit 2004 hat der Brasilianer an dem Fotoprojekt gearbeitet, das nun in einer von seiner Frau Lélia Wanick Salgado kuratierten Auswahl von 250 Bildern im Amerika Haus am Bahnhof Zoologischer Garten präsentiert wird.
„Archaische Vulkanlandschaften, arktische Eismassen, mäandernde Fluss-Canyons, nebelumhüllte Gebirgsketten, ursprüngliche Regenwälder und endlose Sanddünen – Genesis ist eine visuelle Hommage an den blauen Planeten. Der Fotograf Sebastião Salgado dokumentiert in opulenten Schwarz-Weiss-Fotografien [sic] die überwältigende Schönheit und die Artenvielfalt unberührter Flora und Fauna sowie indigener Völker.“ So wird die Ausstellung von Mirko Nowak im Beiheft beschrieben. Nowak ist bei C/O für public relations zuständig und weiß offenkundig, mit welchen Wendungen man die Gorillas im Nebel-Romantik bedient. Wie kann man in schwarz-weiß dokumentieren, was (zumindest aus normativer menschlicher Sicht!) farbig ist? Wie passen Opulenz und das Dokumentarische zusammen, wie funktioniert das Dokument als Hommage? Diese Fragen können zumindest skeptisch machen.
Glatt/Gekerbt
Salgado gilt als engagierter Fotograf, der „die Würde, die Qualen der Arbeit gezeigt, die Flüchtlingsströme dieser Welt” (Susanne Mayer in der Zeit) abgelichtet hat. In Genesis wendet er sich der Natur zu, oder dem, was man gemeinhin so nennt. Salgado hat Pinguinkolonien in der Arktis fotografiert, Wale vor Argentinien, Echsen auf den Galapagosinseln, Flusstäler in Alaska und Bergmassive in Äthiopien und den USA. Viele seiner hier großformatig ausgestellten Bilder zielen auf die Überwältigung des Betrachters: Ehrfurcht vor dem Planeten und der ‚Natur‘ soll evoziert werden. Dabei scheint sich der Fotograf eigentlich mehr für Strukturen und Oberflächen zu interessieren: glatte und raue Flächen inszeniert er im künstlerisch/künstlich harten schwarz-weiß Kontrast. So erscheint die gemeinhin als glatt vorgestellte Haut eines Wals als durchfurchte Landschaft vor der Glätte des unscharfen Hintergrunds. Sanddünen sehen wie gemeißelt aus, Gebirge erscheinen als Strukturen horizontaler und vertikaler Linien. Beispielhaft ist das Foto der Pfote einer Galapagos-Meerechse: Ihre an sich glatten Schuppen bilden eine vielfach gekerbte Oberfläche, die vom rauen Vulkangestein metallisch absticht.
Auf die gleiche Weise funktionieren auch die Darstellungen von gekerbten Skarifizierungen auf der glatten Haut von Angehörigen der Mun. In anderen Bildern wirkt Büffelfell als die natürliche Fortsetzung des Graslands, der gebogene Hals eines Vogels als Entsprechung einer Astgabel. So wird der Eindruck der Einheit von Pflanze, Tier und Mensch erweckt.
Natur/Kultur
Salgado ist unzweifelhaft ein hervorragender und technisch versierter Fotograf. Er weiß sehr genau, wie man Fotos konzipieren kann. Er inszeniert dieses Wissen geradezu, wie beispielhaft eine Aufnahme der Simien-Berge im Norden Äthiopiens zeigt. In den Vordergrund ragt eine ansteigende Landzunge, die vom Tezeke umspült wird. Im Mittelgrund flacht sie ab zu einem Plateau, das mit dem Bildhorizont zusammenfällt. Beleuchtet von der Sonne, deren Strahlen schräg und dramatisch aus einem losen Wolkenfeld hervorbrechen, ist das Plateau wie eine glühende Linie in das Bild hinein gezogen. Sie trennt den Fluss im Vordergrund von den Bergen im Hintergrund. Der dunkelste, schwerste Punkt des Bildes ist ganz konventionell unten rechts zu suchen, der hellste, leichteste oben links. Doch damit nicht genug. Schon auf den ersten Blick fällt auf, dass die helle Linie das Bild im Goldenen Schnitt teilt. Misst man das Verhältnis nach, was dank im Netz flottierender Bilder ein Leichtes ist, zeigt sich, dass die Linie nicht nur annähernd, sondern beinahe exakt auf den Millimeter dem Goldenen Schnitt entspricht. Das Bild ist perfekt konstruiert und ich wage Salgado zu unterstellen, dass er das weiß.
Wenn Salgado sich auf den Weg macht, um die Natur abzulichten, findet er vor allem die Techniken und Strategien, die ihn die westliche Darstellungstradition gelehrt hat. Im Tagesspiegel wird er mit den Worten zitiert: „Niemand findet ein Helmut-Newton-Bild von einer schönen Frau schockierend. Aber es ist schockierend zu sehen, dass verhungernde Menschen in Äthiopien schön sein können.“ Die Schönheit liegt jedoch womöglich nicht in den Hungernden, sondern im Werkzeugkasten des Fotografen. Wenn ein junger Zo’é – Angehöriger eines Volkes, das heute so viele Mitglieder hat wie Genesis Fotos – wie Tarzan durch die Lüfte fliegt, dann ist das schön und anmutig, aber nicht wegen des Jungen, sondern wegen Tarzan und der Bildtradition, in der der „Herr der Affen“ steht. Das gleiche gilt mutatis mutandis für das Berggorillaweibchen, das mit abgewandtem Blick seinen Nachwuchs im Schoß hält – fotografisch inszeniert in klassischer Dreieckskomposition eines Marienbildnisses. Es ist nicht verwerflich, sich bewährter Mittel zu bedienen, um ein Bild zu konstruieren. Allerdings ist der Effekt, den die Ausstellung als Ganzes hat, dann doch zumindest bedenkenswert, wenn nicht gar bedenklich.
Denn was hier in der inszenatorischen Gleichbehandlung geschieht, ist nicht nur eine Anthropomorphisierung des Tieres, wie sie im Internet täglich in Form von animal content gefeiert wird, sondern auch eine Bestialisierung des Menschen. Die Zo’é, Mun und andere ethnische Gruppen, die Salgado in verschiedenen Teilen der Welt abgelichtet hat, werden einmal mehr als ‚Naturvölker‘ und ‚bons sauvages‘ präsentiert. Auch wenn sich Salgado gegen die religiöse Bedeutung des Titels Genesis verwahrt, liegt doch der Schluss nahe, dass der Mensch hier in seinem ‚paradiesischen‘ ‚Naturzustand‘ gezeigt werden soll. Nur sind Lippenteller, Ziernarben und Penisköcher, so exotisch sie immer noch dem einen oder anderen scheinen mögen, so wenig ‚natürlich‘ wie Salgados Fotografien. Einmal ganz abgesehen davon, dass die Präsenz von Fotoapparat und Fotograf in die Bilder eingeschrieben ist, sind die Domestizierung von Tieren und rites des passage, wie sie Salgado darstellt, hochkomplexe kulturelle Praktiken – um das zu erkennen, muss man nicht erst Arnold van Gennep lesen. Und das Leben dieser vermeintlichen ‚Naturvölker‘ ist genau so wenig natürlicher, wie das der hochtechnisierten westlichen Welt, die den Fotoapparat hervorgebracht hat, ‚kultivierter‘ und dafür weniger ‚natürlich‘ ist. Es handelt sich hier vielmehr um Projektionen, die in der westlichen Welt eine lange Tradition haben. Bekanntlich dachte schon Montaigne, dass die ‚Wilden‘ „noch die natürlichen Gesetze“ befolgen und „durch die unsrigen noch wenig verderbt“ seien (Essais, 1580ff.). Nur, es gibt sie nicht, denn die „natürlichen Gesetze“ sind eine contradictio in adiecto.
Über ‚Natur‘ zu sprechen, hat eine Funktion. Hier die (durchaus begrüßenswerte), den ‚unnatürlichen‘ oder ‚kultürlichen‘ Menschen der industrialisierten Welt anzusprechen: „Wir dürfen nicht länger unsere Erde, unser Wasser und unsere Luft verschmutzen“, heißt es im Ausstellungskommentar. Wer aber ist dieses Unser-Kolletiv, fragt man sich, und wen schließt es aus?
Distanz/Begehren
Gleich über Salgados Ausstellung zeigt C/O Berlin in der ersten Etage parallel die Ausstellung Distanz und Begehren: Begegnungen mit dem afrikanischen Archiv (Afrikanische Fotografie aus der Walther Collection). Zum Glück, denn diese Ausstellung wirkt als Kommentar und Korrektiv von Genesis. Wo Genesis als Ausstellung (nicht so sehr die einzelnen Bilder) sich eines ‚kultivierten‘ Blicks auf die ‚Natur‘ bedient, stellt Distanz und Begehren diesen Blick als solchen aus. Kaum ist der Fotoapparat erfunden, machen sich weiße Männer mit ihm bewaffnet auf, um von Ägypten bis Südafrika schwarze Menschen, ‚Wilde‘ und ‚Halbwilde‘ zu ‚dokumentieren‘. In umfangreichen Bildbänden erfasst und erschafft die pseudo-wissenschaftliche Sehmaschine den ‚Neger‘. Dass das in der westlichen Welt durchaus unterhaltenden Wert haben kann, zeigen zahllose Postkarten in der Ausstellung, die aus afrikanischen Ländern in die Welt verschickt wurden und noch immer werden. Im 19. Jahrhundert, so merkt man schnell, scheute man sich nicht, people of color mit Zylindern und anderen Alltagskleidungsstücken und -gegenständen abzulichten. Schon das ist in gewisser Weise ‚ehrlicher‘, zumindest aber weniger romantisch als die ‚paradiesische‘ Darstellung durch Salgado.
Viel wichtiger sind aber die zeitgenössischen Positionen von afrikanischen Künstlerinnen und Künstlern, die hier im einzelnen zu diskutieren zu weit führen würde. Erwähnt sei Candice Breitz’ Ghost Series, in der die aus Johannesburg stammende weiße Frau Fotografien schwarzer Körper mit weiß übermalt bzw. auslöscht und so weiße Zuschreibungen sichtbar macht. Außerdem Samuel Fosso, der sich in ‚Frauen‘- und ‚Stammes‘bekleidung ablichtet und u.a. Fragen zu queerness und blackness aufwirft. Im Kontext von Salgados Genesis sind solche dekonstruierenden Arbeiten bitter nötig, denn sie machen zumindest einige der Stereotype sichtbar, derer sich Salgado bedient und die nicht unkommentiert bleiben sollten.
Zu Sebastião Salgados Wanderausstellung Genesis ist bei Taschen ein Buch erschienen (Köln 2013).
Weitere Informationen zur Ausstellung, die noch bis zum 16. August 2015 im C/O Berlin zu sehen ist, gibt es hier.