Putzig ist er, der Koala, wie er da in aller Seelenruhe auf seinem Baum sitzt und an seinem Eukalyptus mümmelt. Wenn Koala aber nun der Spitzname des eigenen Bruders ist, der sich in die Badewanne legt und sich eine tödliche Injektion setzt, will das so gar nicht zu dem Bild des niedlichen Tieres passen. Oder doch?
von KATJA PAPIOREK
Lukas Bärfuss wählt für seinen Text einen klassischen Einstieg, die Erinnerung an die letzte Begegnung mit dem toten Bruder. Der Erzähler trifft ihn, als er für einen Vortrag über Kleist in seine Heimatstadt Thun reist. Besonders nah sind sich die Brüder – oder besser Halbbrüder – nicht, weshalb das Gespräch eher spärlich ausfällt. Als der Erzähler dann vom Suizid des Bruders erfährt, wirken die daran anschließenden Versuche, mit dem selbstgewählten Tod des Bruders umzugehen, zunächst vorhersehbar.Er versucht, das Leben des Bruders zu rekonstruieren und Erinnerungsbilder heraufzubeschwören, sucht nach Antworten in Gesprächen, zieht Literatur, Philosophie und Psychiatrie zurate, empfindet Wut, Schuld und Einsamkeit.
Fremd war ihm der Bruder, ein Totalverweigerer, der sich ambitionslos und genügsam in sein Schicksal fügte, die verhasste Kleinstadt nie verließ. Immer wieder kreisen die Gedanken um das Totemtier, das der Bruder bei den Pfadfindern erhielt. Hat sich der Bruder dem Beuteltier angepasst, dieser merkwürdigen Kreatur, die eigentlich gar nicht existieren dürfte? Oder haben die Kinder gefühlt, wie er wirklich ist? Dann aber verschwindet der Erzähler – und mit ihm scheinbar auch der tote Bruder. Plötzlich geht es um englische Strafkolonien im Australien des 18. Jahrhunderts, Tagebuchaufzeichnungen und Expeditionsberichte, die Geschichte des Beuteltiers.
Unzugängliches Erzählen?
Was Bärfuss hier macht, ist konsequent und folgerichtig: „Der Selbstmord sprach für sich, er brauchte keine Stimme, und er brauchte keinen Erzähler.“ Sein Exkurs in die Geschichte der Kolonialisierung mag sperrig und unbequem sein, kann sicher auch provozieren, ist aber ein adäquates Bild für die Verweigerungshaltung. Hier wird endlich mal nicht der Erwartungshaltung entsprochen. Hier wird es nicht kitschig, die Erinnerung an den Bruder wird nicht verklärt. Am Ende steht keine Geschichte eines Lebens, es gibt keine Lösungen, keine Antworten, vielleicht nicht einmal Fragen. „Er gab keine Ruhe, er ruhte nicht, er gab keinen Frieden, es gab kein letztes Bild im Fotoalbum, jedes Bild im Album seines Lebens war das letzte, das die ganze Existenz beinhaltet, seine Existenz hatte sich in keine Erzählung gerundet, nichts hatte sich vollendet, kein Sinn sich gezeigt, keine Moral ließ sich schließen aus dem, was er vorgelebt hatte.“
Genau das macht Koala zu einem großartigen Buch. Das hat auch die Jury des Schweizer Buchpreises erkannt, die Bärfuss im vergangenen Jahr mit dem mit 30.000 Franken dotierten Preis auszeichnete: „Der Roman ‚Koala‘ ist gross und autonom gerade darin, dass er keine Erzähllogik behauptet, in der alles aufginge. Das Wagnis der grossen Themen, die bleibende Verstörung ob der Brüche im Text sowie die ganz und gar eigenständige Formung des Erzählens zeichnen ihn aus.“
Sehr schöne Rezension zu einem Buch, das tatsächlich spaltete – auf meinen Beitrag erhielt ich auch einige kritische Stimmen, von Lesern, die mit der Konstruktion nichts anzufangen wußten. Ich dagegen fand es eines der Bücher 2014!