Der Klappentext zu Bettina Storksʼ Erstlingsroman Das Haus am Himmelsrand wirbt mit der Geschichte um ein „Geheimnis aus finsteren Zeiten und eine Liebe, die alles wiedergutmachen kann“. Nach der Lektüre des Romans wirkt dieser Teaser wie blanker Hohn. Und das nicht, weil die finsteren Zeiten nicht finster sind, sondern weil sie zu finster sind, um durch die Geschichte der oberflächlichen Lizzy Tanner wiedergutgemacht werden zu können.
von PIA ALEITHE
In pastelligem Grün und Gelb zeigt der Papierumschlag des Romans Das Haus am Himmelsrand eine von sanftem Sonnenlicht durchflutete Landschaftsaufnahme, die Ostfrankreich im Spätsommer heraufbeschwören soll. Der Klappentext ringt mit Allgemeinplätzen um Spannungsaufbau und emotionale Identifikation mit der Ich-Erzählerin und Bonzentochter Lizzy, in deren perfektes weil sorgloses Leben sich ein Makel einschleicht, der in der Vergangenheit ihrer Großeltern begründet liegt. Alles an dieser Aufmachung schreit förmlich danach, dass Das Haus am Himmelsrand im Buchhandel in der Abteilung „für freche Frauen“ zu finden ist und die Aufmerksamkeit einfältiger Hausfrauen erregen soll. Die Lektüre belohnt diese dann mit einem Einblick in das Leben Lizzy Tanners, einer geistlosen, versnobten, shoppinggeilen, ehebrechenden und über die Konsequenzen jammernden Langzeitstudentin und Mutter Mitte 30, der in ihrem Leben noch nichts passiert ist, was ihren Charakter tiefgründig hätte prägen können.
Die deutsche Vergangenheit in unserer Gegenwart
Die Chance, an Tiefgang zu gewinnen, erhalten sowohl Lizzy als auch der Roman durch die eingebrachte Holocaust-Thematik. An seinem Sterbebett beauftragt ihr innig geliebter Großvater Bodo Kirchmann, Stammvater des freiburgischen Uhrenherstellers Kirchmann Uhren GmbH, Lizzy, ein ihr noch unbekanntes Familiengeheimnis zu lüften, um für Gerechtigkeit zu sorgen. Mit einigen Unterlagen aus einem alten Sekretär beginnt eine – praktischerweise stets erfolgreiche – Schnitzeljagd nach weiteren Informationen, Zeitzeugen und der Wahrheit, die Lizzy und dem Leser deutlich macht, dass die Abgründe ihrer Familie in Deutschlands Nazivergangenheit und in das Schicksal von Großvater Kirchmanns jüdischem Geschäftspartner Samuel Bloch führen. Hätte man die durch das Design des Buchumschlags auf Romantik getrimmte Zielgruppe auf diesen Twist im Klappentext vielleicht besser vorbereiten sollen? Durch Ausdrücke wie „finstere Zeiten“ oder „die 1930er Jahre“ um den heißen Brei herumzureden, zeugt vielmehr von Berührungsängsten mit dem Thema Holocaust als von einem erforderlichen Fingerspitzengefühl. Glücklicherweise ist die auf dem Papierumschlag noch sehr zu bemängelnde Reserviertheit gegenüber dem Thema Holocaust dem Romaninhalt nicht vorzuwerfen. In der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit ihrer Vorfahren ist Lizzy das erste Mal gefordert, aus ihrer Komfortzone herauszutreten und Charakterstärke zu zeigen. In diesen Episoden des Romans verschwindet die verzogene Göre hinter der emotional wohltemperierten und gelungenen Aufdeckung schmerzhafter Erinnerungen aus der Zeit der Judenverfolgung, die am Beispiel der Kirchmann-Familie verdeutlicht, dass der Holocaust noch kein abgeschlossenes Kapitel der jüdischen und deutschen Geschichte ist.
Lizzys Recherchen eröffnen den Blick auf diese zweite Zeit- und Handlungsebene des Romans, auf der das zu lüftende Familiengeheimnis puzzleartig in separaten Kapiteln durch Rückblicke in die Zeit des Naziregimes dargestellt wird und im Verlauf des Romans mit Hilfe der Nachforschungen auf Lizzys Zeitebene immer weiter zusammengesetzt wird. Die Qualität des Romans liegt in dem harmonischen Zusammenspiel der beiden sich ergänzenden und verwobenen Erzählstränge, die den Detektivromancharakter der Erzählung ausmachen und dadurch Spannung aufbauen. Die so entstehende Spannung hat der Roman allerdings nötig, um die teilweise sehr vorhersehbaren und oft viel zu platt angedeuteten Lösungen der einzelnen Rätsel auszubalancieren. Selbst dem einfältigsten Leser wird mit der Vielzahl pathetischer Warnungen verschiedener Gesprächspartner vor dem Schmerz, der in der zu entdeckenden Wahrheit liegen kann, Unrecht getan.
Die Banalität des Alltäglichen
In der Qualität der parallelen Handlungsentwicklungen liegt leider aber auch das befremdliche, schwerwiegende Manko des Romans. Im Kontrast zu der aufreibenden Hintergrundgeschichte und deren spannender Aufdeckung wirken die Episoden aus dem belanglosen Leben der reichen Egomanin Lizzy Tanner wie eine geschmacklose Beleidigung an den aufgeklärten Leser. Denn die alltäglichen Liebes- und Lebensgeschichten Lizzy Tanners werten den Roman im Ganzen eher ab, als in Harmonie zu einer Handlung zu stehen, die eigentlich das Potenzial hat, eine wichtige Aussage zu treffen.
Die Frage ist nun: Ist dieser Kontrast zwischen dem profanem Leben der Protagonistin, das sich häufig um Wein, teure Kleidung und zugedrehte Geldhähne dreht, und dem Schrecken des Holocaust gewollt? Falls ja, ist Bettina Storks ein genialer Coup gelungen, von dem nur zu hoffen ist, dass er den arglosen Lesern nicht anheimfällt und zwischen der flachen Liebesgeschichte und der unsympathischen Protagonistin nicht untergeht. Denn der Kontrast zwischen damals und heute tut weh und spiegelt – um an Hannah Arendt zu erinnern – die Banalität des Bösen von damals in der Banalität des Alltäglichen von heute wider. Wenn es sich hier jedoch nicht um einen gewollt schockierenden Kontrast handelt, so ist Das Haus am Himmelsrand eine Ausschlachtung weil banale Instrumentalisierung der Holocaustvergangenheit. Es bleibt zu hoffen, dass ersteres zutrifft und dass unter den schlichten Seelen, an die der Buchumschlag appelliert, zumindest einige sind, die begreifen, was uns Das Haus am Himmelsrand tatsächlich – ob gewollt oder ungewollt – zu sagen hat, sofern wir denn zuhören.
Bettina Storks: Das Haus am Himmelsrand
Berlin Verlag, 464 Seiten
Preis: 19,99 Euro
ISBN: 978-3-8270-1239-5