Die Sterne lügen nicht oder: Schiller lebt ja doch noch

Wallenstein am Schauspiel Düsseldorf   Foto: Matthias Horn

Wallenstein am Schauspiel Düsseldorf Foto: Matthias Horn

Das Nationaltheater Weimar präsentiert in seinem einwöchigen Gastspiel am Düsseldorfer Schauspielhaus Schillers Wallenstein-Trilogie in der Regie von Intendant Hasko Weber. Beeindruckend an dieser fünfstündigen Inszenierung ist bei Weitem nicht nur Dominique Horwitz in der Titelrolle – selten war alles so dicht, geladen, glaubwürdig.

von HELGE KREISKÖTHER

Als Schiller 1799 seinen dramatischen Dreiteiler über den Feldherrn aus dem Dreißigjährigen Krieg beendete, war der Ausbruch der Französischen Revolution gerade einmal zehn Jahre her und Napoleon im kometenhaften Aufstieg zur Macht begriffen. Brisante Zeiten also. Was vermögen uns Wallensteins Lager Die Piccolomini Wallensteins Tod aber heute noch zu sagen? Die Koproduktion des Nationaltheaters Weimar mit dem Theater Erfurt kennt die Antwort: Machtgier, Treue und Verrat, politische Willkür und fatale Selbstüberschätzung, das sind zeitlose Themen. Schiller hat dem 21. Jahrhundert mit seinem Werk einen Politthriller hinterlassen, voller Widersprüche, Intrigen, selbst- und fremdverschuldeter Schrecken. So klischeehaft wie es auch klingen mag: In Weimar weiß man offenbar, wie Schiller auch jenseits von Kabale und Liebe packend zu inszenieren ist.

Albrecht von Wallenstein (Dominique Horwitz) ist der ruhmreichste Feldherr des österreichischen Kaisers. Doch wie sich die Kriegslage ändert, so ändern sich die Interessen der Machthaber. Der einstige Landesretter wird zum Dorn im Auge, denn es macht ihm Freude, seine eigene Macht zu kennen. Selbst den Gesandten des Hofes macht Wallenstein lächerlich, demonstriert ihm, wie sämtliche Generäle von Rang und Namen hinter ihm stehen. Also helfen nur Intrigen, um den Untertan gefügig zu machen. Ausgerechnet Octavio Piccolomini (Ingolf Müller-Beck), den Wallenstein als einen der Treuesten in seinem Umkreis wähnt, zieht die Fäden der Verschwörung. Doch der Feldherr selbst will den Abgrund nicht sehen, auf den er zusteuert. Vielmehr glaubt er, sein Schicksal aus der Sternenkunde lesen zu können, paktiert mit den Schweden und verspekuliert sich. Alle kehren Wallenstein Schritt für Schritt den Rücken zu, nur Illo (Krunoslav Šebrek) und Terzky (Sebastian Nakajew) gehören noch zu seinen Getreuen. Auch Max Piccolomini (Tobias Schormann), der Sohn Octavios, ergreift leidenschaftlich Partei für den Feldherrn – aus Abscheu gegen seinen intriganten Vater und aus Liebe zu Wallensteins Tochter Thekla (Nora Quest) –, doch er stürzt in seinem Eifer davon, während die Würfel längst gefallen sind. Im Auftrag des Kaisers wird der Emporkömmling fein säuberlich eliminiert. Das hatte Octavio nicht gewollt – doch zum Schluss steht er allein da.

Ein Prachtensemble lässt widersprüchliche Charaktere blühen

Starke Ensembeleistung im Wallenstein   Foto: Matthias Horn

Starke Ensembeleistung im Wallenstein Foto: Matthias Horn

Dominique Horwitz erscheint zunächst allein und trägt eine ultra-gekürzte Fassung des Prologs vor – auf Schillers einleitende Worte zur Rolle von Geschichte, Kunst und dem dichterischen Individuum verzichtet die Inszenierung also nicht. Und auch Wallensteins Lager, der erste Teil der Trilogie, welcher oft ganz weggelassen wird, kommt vor. Zwei verschrobene, seltsam reimende Geistliche treten auf (Jonas Schlagowsky, Michael Wächter); sie empören sich, springen hinten von der Bühne und treten als Soldaten abermals auf. Das Ganze wird von wilder, abstrakter Musik kommentiert. So kann man’s machen, mehr lässt sich aus dem Lager dramaturgisch ohnehin nicht herauskitzeln.

Doch mit dem Beginn der Piccolomini folgt schließlich ein schauspielerischer Genuss dem nächsten. Ingolf Müller-Beck bietet einen Octavio, der zuvor vermutlich nie so gelesen wurde: Tuntig, voller Komplexe, stets mit Keksen aus der Prinzenrolle ausgerüstet. Niemand ahnt zu diesem Zeitpunkt, dass ausgerechnet er den Sturz Wallensteins in die Wege leiten wird. Zwar gibt er seinem Sohn Befehle und erscheint souverän, doch dies nur durch den Text. Die Darsteller der Generäle sind allesamt fantastisch: Sebastian Kowskis baritonale Stimme verleiht der Figur des Buttler eine seltene Intensität, Krunoslav Šebrek und Sebastian Nakajew geben Illo bzw. Terzky eine erstaunliche Glaubwürdigkeit. Hier ist zwar alles Schein, doch glaubt man sich mit jeder Geste, jedem Stimmduktus in einem echten Lager, in eine reale politische Sitzung involviert. Hervorzuheben ist außerdem Johanna Geißler: Als Gräfin Terzky scheint sie Wallenstein, ihrem Schwager, bis zur Besessenheit untergeben; gleichzeitig erkennt sie als einzige die Brisanz der Lage und macht diese jedem eindringlich klar, der zögerlich oder unvernünftig handelt. Eine starke Frauenrolle, die durch diese Inszenierung erst richtig zu schillern weiß.

Das schwärmerische Liebespaar Thekla–Max alias Quest–Schormann ist, last but not least, ebenfalls sehr passend besetzt. Es bleibt nur eine winzige interpretatorische Ratlosigkeit: Warum spielt Octavio in der Schlussszene Adriano Celentanos Azzurro ab anstatt zu verzweifeln?! So italophil kann er doch nun wirklich nicht sein.

Überaus stimmige Bühnenwirkung

Hasko Webers Szenerie lässt sich mit dem Untergang vergleichen: Wie Bruno Ganz als Hitler erscheint auch Dominique Horwitz als Wallenstein zerrissen, die (historische) Realität verkennend; wie im Führerbunker lassen sich auch die letzten Getreuen im Heereslager bald schon an einer Hand abzählen. Auf überspannte Aktualitätsbezüge (man denke an den IS, den Ukraine-Konflikt oder Syrien) verzichtet die Inszenierung – und dennoch vergisst man über die fünf Stunden völlig, dass sich das Geschehen im 17. Jahrhundert abspielt.

Viel Schnörkel braucht Hasko Weber für seinen Wallenstein nicht. Zunächst befindet sich auf der Bühne (Thilo Reuther) eine Rampe in der Form eines überdimensionalen Kreuzes. Drumherum liegen Klamottenfetzen, Uniformreste. Eine graue Wand, die auf- und abfährt, wuchtig einsetzende Klänge (Musik: Sven Helbig), ein paar Stühle, die eine oder andere Zigarette sowie eine dicke Pulle Jägermeister sind dann im Laufe des Abends die einzigen „Requisiten“ – mehr ist bei einem so perfekten Spiel und dermaßen konzentrierter Sprache schlichtweg nicht nötig. Ach ja: Vor der zweiten Pause hängt, während Wallenstein räsoniert, von der Hinterbühne kopfüber ein großes, aufgespießtes Pferd herunter – ein grandioses Bild, das man symbolhaft oder poetisch, in jedem Fall aber eindrucksvoll nennen kann.

Wie sich Horwitz mit seiner regelrechten Paraderolle identifiziert und seine spezifische Mimik auskostet, wie das gesamte Ensemble die erhabenen Verse mit Leben füllt und in der Schiller’schen Dramaturgie buchstäblich aufgeht, das verdient mehr als Beifall. Wie schön, gegen Ende der Spielzeit endlich mal wieder eine Produktion auf Burgtheaterniveau erleben zu können! In diesem Sinne sei angemerkt: Die Gäste aus Weimar spielen den Wallenstein innerhalb einer Woche stolze neun Mal. Wer dieses Theaterereignis verpasst, sollte sich kein Urteil über gegenwärtige Schiller-Inszenierungen erlauben.

Informationen zum Stück
Nächste Vorstellungen:
Freitag, der 5. Juni
Samstag, der 6. Juni
Sonntag, der 7. Juni

Kommentar verfassen